Richard Theiner schlägt auf den Tisch; oje oder oho?

Vor einiger Zeit veröffentlichte ich einen Artikel über die rhetorische Möglichkeit eine möglichst große Zielgruppe anzusprechen. Denn wenn man seine Kernwählerschicht verlässt, kann es mit der eigenen Glaubwürdigkeit durchaus kritisch werden. Genau diese Wähler-Erweiterung scheint Richard Theiner momentan anzustreben und hat dabei ein zweifaches Problem. Einerseits muss er als LH-Kandidat ja nun auf "Politiker für alle" machen und andererseits muss er die Fehler der (System-)Vergangenheit gutmachen. Mit seinem gestrigen SEL Vorschlag, diese komplett den Gemeinden zu übergeben, beginnt er eine Gratwanderung zwischen Vergangenheit und Zukunft. Ob er für diese Kehrtwende glaubwürdig genug ist nach 18 Jahren politisch aktiver Tätigkeit? Nachfolgend der Artikel über das "rhetorische Gummiband". Was meint ihr, wird sein Gummiband reißen?
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Wähler haben zuweilen das Gefühl, dass Parteien und Politiker je nach Windrichtung – sprich: nach auch kurzzeitiger Stimmung in Medien und Bevölkerung – ihre Positionen wechseln. Dies kann am Wahltag Folgen haben. Es gilt deshalb, „seine“ Wähler zu finden und diese gezielt anzusprechen, ohne sich zu verbiegen. Das kann unter anderem mit dem „rhetorischen Gummiband“ gelingen. Dieses grenzt, bildlich gesprochen, den Bereich an Wählerschichten ein, das ein Politiker abdecken kann. Dabei gibt es eine Kernwählerschicht und eine Schicht, in der weitere Wähler gefunden werden können. Und entsprechend können Politiker ihre rhetorischen Auftritte und Diskussionen danach ausrichten. Dabei ist entscheidend, wie überzeugend jemand die Botschaften „rüberbringt“. Aber der Reihe nach. Die Arbeit mit dem „rhetorischen Gummiband“ erstreckt sich in drei Phasen.

1. Jeder Politiker muss wissen, wo sein „Gummiband“ liegt – Dazu muss er sich über seine eigenen Kernbotschaften im Klaren sein und auch wissen, wie viele Menschen diese Botschaft teilen könnten. Dies ist die ethisch ehrlichste Form der Rhetorik (und der Politik). Wer das ausspricht, wovon er überzeugt ist, spricht je nach Thema mehr oder weniger Menschen an. Bei der Ausarbeitung der Kernbotschaften müssen sich Politiker jedoch so konkret wie möglich festlegen. „Arbeit für alle“ ist keine Kernbotschaft, sondern eine Floskel, die heutzutage niemanden mehr überzeugt. Rhetorisch gesehen gibt es hierbei durchaus unterschiedliche Positionen zwischen modernen Rhetorikern und vielen Wahlkampfberatern. Letztere raten oft dazu, sich nicht zu sehr festzulegen, weil dies einen Rückzug erschwert oder später die politische Konsensfindung einschränkt. Es gibt aber zum Glück auch viele Beispiele, dass es auch konkreter geht. Um herauszufinden wer überhaupt die potentiellen Wähler sind, werden Untersuchungen gemacht. Eine der interessantesten Untersuchungen ist eine Milieustudie, die das Magazin „Stern“ im deutschen Wahljahr 2009 veröffentlicht hat: „So sind die Deutschen – wie sie wohnen, wie sie denken, wie sie wählen“. In diesem Artikel wird die Studie der Firma Sinus Sociovision vorgestellt. Dieses Institut entwickelte sinus-milieus®, welches Eigenschaften wie Bildung, Beruf oder Einkommen mit den realen Lebenswelten der Menschen verbindet, d.h. mit ihrer Alltagswelt, ihren unterschiedlichen Lebensauffassungen und Lebensweisen. So ergeben sich verschiedene Milieus, in denen wir uns bewegen und denen unser Wahlverhalten entspricht (gesamter Artikel unter www. sociovision.de). Interessant ist, dass die viel zitierte Mitte gar nicht so ausgeprägt ist, wie mancher es gerne hätte. Nur 15 % sehen sich in der „bürgerlichen Mitte“ verankert. Nun geht die Arbeit mit dem „rhetorischen Gummiband“ weiter. Nachdem die Milieus studiert und die Kernbotschaften festgelegt wurden, besteht die erste Aufgabe darin, das schlaffe „rhetorische Gummiband“ über diese Grafik zu legen, um das eigene „Heimatgebiet“ einzugrenzen. Dem jeweiligen Heimatgebiet entsprechend wird dann die Größe des Gummibandes festgelegt. Natürlich kann das Gummiband auch mehrere Milieus berühren, die sich ähneln. Nun kennt der Politiker „seine“ Wählerschichten und seine zentralen Kernbotschaften. Darauf folgt Phase 2.

2. In welche Gebiete kann ich mich „ausdehnen“, ohne unglaubwürdig zu werden? – Der Wahlwerber zieht nun an seinem Gummiband und schaut, in welche Richtung er es ziehen kann, ohne dass es reißt. Bin ich in diesem Milieu mit meiner Botschaften noch glaubwürdig? lautet die Frage. Wenn ja, kann das Gummiband je nach Situation ein wenig rhetorisch „gedehnt“ werden. Klar ist aber: Sobald jemand versucht, alle oder fast alle Schichten zu bedienen, reißt das Gummiband und um die Glaubwürdigkeit des Politikers ist es geschehen. Auch Volksparteien, die gegründet wurden, um das ganze Volk anzusprechen und zu vertreten, müssen sich bewusst sein, dass dies heutzutage nur mehr begrenzt möglich ist. Deshalb sollten Politiker, wenn sie von „den Menschen da draußen“ oder „den Bürgern unseres Landes“ sprechen, vorsichtig sein. Und genau hier beginnt Phase 3.

3. Auf welche Gebiete (Wählerschichten) muss ich verzichten, da sonst mein Gummiband reißt? – Politiker sollten diese Arbeit schriftlich machen und dabei ehrlich sein. Mein Rat: Grenzen Sie Meinungen, Argumente und politische Vorstellungen aus, die nicht in Ihr „Gummiband“ passen. Jeder Unternehmer weiß: Spezialisierung bedeutet Profilierung und somit bessere Sichtbarkeit, aber auch Verzicht. Am Ende stehen jene, die Profil besitzen, in neun von zehn Fällen besser da. Und genauso ist es in der Politik. Diese Überlegungen haben nichts mit Manipulation von Menschen zu tun, sondern mit ehrlicher Selbst- und Fremdanalyse. Wer sich klar darüber ist, was er überhaupt zu sagen hat, spricht die Menschen mit gleicher oder ähnlicher Meinung an. Weiters ist es durchaus legitim, in den Teilbereichen zu fischen, wo es Schnittmengen mit anderen Wählerschichten gibt. Politiker sollten aber den Mut haben, Dinge, die sie nicht ehrlich vertreten, auch beim Namen zu nennen. Die Eier legende Wollmilchsau gibt es nicht – und lässt sich auch mit rhetorischen Kniffen (die es leider auch gibt) nicht herbeireden. Spätestens beim Begriff „ökosoziale Marktwirtschaft“ ist das rhetorische Gummiband so gespannt, dass es zu reißen droht.

Für alle die die SINUS Milieus speziell für Südtirol interessieren sei die Studie von Dr. Gruber & Partner empfohlen. Das Marktforschungsinstitut aus Bozen hat schon vor einigen Jahren die Milieus in Südtirol untersucht und eine landestypische Milieu-Karte entworfen.