Wirtschaft | Landwirtschaft

Milch: Eine Frage des Rubels

Was als Fortschritt für den wirtschaftlichen Austausch der Europaregion Tirol gesehen werden kann, verschärft die Probleme innerhalb von Südtirols Milchwirtschaft. Warum der Deal zwischen dem Milchhof Sterzing und den Tiroler Bauern vor allem dem Marktführer Bergmilch und der Sennereiverband Bauchweh beschert.

Joachim Reinalter hat zwei Gründe, alles andere als glücklich über den grenzüberschreitenden Milchdeal zwischen dem Milchhof Sterzing und 195 Nordtiroler Bauern zu sein. Als Obmann von Südtirols Milchriesen Bergmilch bringt er einen klaren Schritt zurück in den Bemühungen, die Restmilchmengen von immerhin noch 30 Millionen Liter im Jahr zu reduzieren, auf denen die Bergmilch sitzen bleibt. Und als Obmann des Südtiroler Sennereiverbandes muss er sich für die Zukunft mit der konkreten Frage auseinandersetzen, wie die Bewerbung der Südtiroler Milchprodukte unter einem gemeinsamen Qualitätslogo aussehen soll, wenn ein Teil der heimischen Produkte diese Marke vermarktet wird.

Denn was positiv als erstes Zeichen einer lebendigen Euregio gedeutet werden mag, macht mehr denn je die Risse deutlich, die den gemeinsamen Weg der Südtiroler Milchwirtschaft immer holpriger machen. Neu ist dies beim öffentlich gesponserten Qualitätssiegel, das nun erstmals ernsthaft aufgeweicht wird. „Die Sterzinger waren bisher in unserer Markenstrategie sicherlich unser wichtigstes Aushängeschild“, sagt Joachim Rainalter dazu als Obmann des Sennereiverbandes. Doch wie sollen künftig Markenwerte wie Gentechnikfreiheit, die Fütterung mit lokalen Produkten oder strenge Milchkontrollen transportiert werden, wenn das Joghurt des Aushängeschilds einmal ohne und einmal mit Qualitätssiegel verkauft wird? Fragen, auf die Reinalter heute noch keine Antwort hat. „Hier ist sicher erst einmal zu sehen, wie die konkrete Umsetzung der Sterzinger aussieht“, sagt er.

Deutlicher als jemals zuvor tritt mit dem Sterzinger Milchdeal jedoch zutage, dass entgegen aller politischen Wünsche nach einer vereinten Milchwirtschaft der Rubel bestimmt, wohin die Reise geht. Das zeigt sich nicht nur bei unzufriedenen Milchbauern, die ob besserer Milchauszahlungspreise den Milchhof wechseln, sondern eben auch bei den Milchhöfen selbst. Denn zumindest laut Bergmilch-Obmann Reinalter gäbe es noch auf Jahre hinaus ausreichend Milch, um den Bedarf der Sterzinger im Sommer abzudecken. Allerdings zu einem höheren Preis, als sie nun in Tirol geboten bekommen. Denn während  bei einem Bezug von Südtiroler bei einer Lieferung über das ganze Jahr mit einem Durchschnittspreis von rund 51 Cent pro Liter zu rechnen sei. „Das wäre günstiger als sei bei ihren eigenen Mitgliedern einkaufen“, sagt Reinalter.

Lieferung frei Haus

Allerdings war das Angebot der Tiroler Bauern noch günstiger. Obwohl in den offiziellen Mitteilungen von einem Preis von 52 Cent gegenüber den 40 Cent der Tirol Milch die Rede ist, sickert mittlerweile durch, dass davon nicht nur die Sammlungs- und Transportkosten abgezogen werden, da die Tiroler Bauern frei nach Sterzing liefern. Darüber hinaus soll es in den ersten Jahren einen langsam sinkenden Abschlag auf das Milchgeld geben, der sich in Folge reduziert. Wie der Obmann der Tirol Milch Stefan Lintner in der Südtiroler Tageszeitung vom Donnerstag erklärt, dürften sich die Sterzinger damit in den ersten Jahren vier bis fünf Cent pro Liter ersparen; andere Stimmen sprechen gar von über sechs Cent.

Eine Entscheidung, die aus wirtschaftlicher Sicht eines Milchhofes nachvollziehbar ist. Aus Sicht der Südtiroler Milchwirtschaft verschärft sie allerdings bereits bestehende Problematiken. Schon heute stehen Südtirols Milchhöfe auf dem italienischen Markt in starker preislicher Konkurrenz, der sich zu verschärfen droht, wenn die Sterzinger ihre Preispolitik nun aufgrund günstigerer Einkaufskonditionen anpassen können. „Hier müssen wir sicher gemeinsam Wege suchen, damit wir uns nicht durch Preiskämpfe letztlich den Preis unserer Mitglieder kaputt machen“, sagt Joachim Reinalter.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie sich der Alleingang der Sterzinger auf die ohnehin äußerst schleppenden Verhandlungen um einen Südtiroler Milchpool auswirkt. Die ursprüngliche Absicht, den steigenden Unmut über die unterschiedlichen Auszahlungspreise zwischen der großen Bergmilch und den kleinen Milchhöfen über einen gemeinsamen Rohstoffpool zu beseitigen, ist ohnehin bereits ad acta gelegt. Doch gibt es überhaupt noch genügend Interessenten für den nun angestrebten kleinen Milchpool, in dem jeder Milchhof jene Mengen entnimmt, die er im Verhältnis zu seinem Sommer- und Winterbedarf braucht? Immerhin haben die Kastelruther Bergmilch-Bauern bereits ihren Wechsel zur Brimi angekündigt; auch beim Milchhof Meran wird über Neuzugänge vom Tschöggelberg, Vöran und Mölten gemunkelt. Haben sich damit die kleinen Höfe mit dem größten ungedeckten Bedarf nicht ohnehin schon anderswo eingedeckt? Sollte die Milchanlieferung dort so weit ausgedehnt werden, dass der Sommerbedarf abgedeckt wird, würden sie im Winter auf der Restmilch sitzen bleiben, antwortet Obmann Reinalter. Gerade deshalb sei es wichtig, diesen schwierigen Ausgleich zwischen Sommer- und Winterproduktion weiterhin in einer gemeinsamen Südtiroler Lösung zu suchen. „Und wir hoffen schon sehr darauf, dass hier auch mit dem Milchhof Sterzing in Zukunft noch eine Zusammenarbeit möglich ist.“ 

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Sebastian Felderer Do., 30.05.2013 - 18:10

Ist es schon eine Frage des Rubels oder wie so oft des gegenseitigen Misstrauens? Hat da etwa der Riese mit den Zwergen zu lange Katz' und Maus gespielt? Den Verdacht für meine These liefert Obmann Rainalter selbst mit der Aussage, dass die Verhandlungen zwischen Bergmilch und den kleinen Milchhöfen um den Südtiroler Milchpool äußerst schleppend verliefen. Wahrscheinlich zu schleppend und dann entscheiden schlaue Verwalter eben anders. Kleine Betriebe sind flexibler, dürfen aber nicht lange zuwarten, weil sie den kürzeren Atem haben. Zwischen Groß und Klein gilt nicht immer das amerikanische Prinzip des win-win, das heißt, beide Partner sollen gewinnen. Deshalb kann man den Kleinen nichts vorwerfen, wenn sie andere Lösungen suchen, wenn sie das Gefühl haben, über den Tisch gezogen zu werden. Wir sind eben wieder bei der Kluft zwischen Betriebs-und Volkswirtschaft. Nur den großzügigen Kühen ist es wurscht, wer ihre Milch bekommt. Hauptsache das Futter stimmt. An die künstliche Besamung haben sie sich mittlerweile sowieso gewöhnt. Der Stier lässt grüßen!

Do., 30.05.2013 - 18:10 Permalink
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Martin Geier Do., 30.05.2013 - 18:40

@Sebastian
Natürlich ist es eine Frage des Rubels und der Interessen die mit daran hängen; gäbe es aus Tiroler Sicht nicht den Unterschied im Auszahlungspreis und aus Südtiroler Sicht nicht den Bedarf und günstigere Konditionen an die Milch zu kommen der Deal hätte nie stattgefunden. Wohlgemerkt; aus euregionaler Sicht begrüße ich den Deal aber ich mache mir keine Illusionen über die Gründe. Natürlich ergeben sich aus diesem Deal Konsequenzen. Was ist mit der Qualitätsmarke die in diesem Punkt im Unterschied zum Speck auch die (Südtiroler) Herkunft vorschreibt? Was wird nun mit der Übereinkunft zwischen den Südtiroler Milchhöfen?
Die Sterzinger haben sich für einen anderen Weg entschieden? Die Marke könnte man ja auch wie beim Speck in diese Richtung verändern; ganz indem man Produktion und Herkunft der materia prima trennt und Herkunft auf die von mir aus Alpenregion ausdehnt. Aber wie gesagt; es ist ein casino.

Do., 30.05.2013 - 18:40 Permalink
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Benno Kusstatscher Do., 30.05.2013 - 18:55

Antwort auf von Martin Geier

@Martin: warum sollte sich eine Schutzmarke "Wipptal" mit der "Südtirol" widersprechen? Der Vergleich mit dem Speck ist kläglich gelungen. Immerhin ist Wipptal (ok, Stubai einmal salopp mit genommen) Ursprungs- und Verarbeitungs-"land". Sterzing wäre schlecht beraten, plötzlich Milch aus Holland oder sonst wo zu "importieren", wenn sie die Möglichkeit haben, Wipptaler Qualitätsprodukte zu etablieren.
Die offene Frage, die ich noch habe, ist, ob sich denn die Sterzinger nun implizit gegen die Marke "Südtirol" entschieden haben, weil Doppelmitgliedschaft nicht möglich bzw. von der anderen Seite nicht gewollt? Ach was, wir leben ja im Land der angestrebten Doppelstaatsbürgerschaft. Also, wo ist der "Casino"?

Do., 30.05.2013 - 18:55 Permalink
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Martin Geier Do., 30.05.2013 - 19:48

Antwort auf von Martin Geier

Casino habe ich geschrieben weil nicht klar ist wie man die Dachmarke Südtirol in Zukunft handhaben will und wo man die Grenzen setzt. Aus dem Artikel geht ja klar hervor daß Marke und Interessen eben nicht immer zusammenpassen. Entwedr man ändert also im Falle der Milch die Bestimmungen und weitet das 'Einzugsgebiet' aus, trennt also Herkunft von Verarbeitung, oder die Sterzinger verzichten für einen Teil ihrer Produkte auf die Dachmarke, was innerhalb eines Betriebes ein gran casino ist und villeicht dem Milchhof Sterzing auf dem Kopf fallen kann. Und ich weis jetzt nicht wie es mit Doppelmitgleidschaften rechtlich aussieht; die Nordtiroler sind ja in diesem Fall nicht Mitglieder sondern salopp formuliert 'nur' Lieferanten.

Do., 30.05.2013 - 19:48 Permalink
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Sebastian Felderer Do., 30.05.2013 - 20:24

Antwort auf von Martin Geier

.. wenn die Nordtiroler Bauern die Milch den Wipptaler Bauern liefern würden. Dann hätte niemand ein Problem.
Glaubt ihr wirklich, dass die gesamte Südtiroler Bergbauernmilch immer und nur vom SBB -steht diesmal nicht für Südtiroler Bauernbund- kommt. Jede Regel wird durch ihre Ausnahmen bestätigt. Die Sterzinger werden wahrscheinlich auf die Dachmarke verzichten, solange ihnen der Nordtiroler Deal mehr Vorteile bringt. Aber für solche Überlegungen müsste man Insider sein, weil sonst können wesentliche Informationen einfach fehlen. Nicht immer wird geschrieben, was gesagt worden ist. Und mache denken nur und sagen gar nichts.

Do., 30.05.2013 - 20:24 Permalink
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Benno Kusstatscher Fr., 31.05.2013 - 13:28

Antwort auf von Martin Geier

Mit fehlt die sachliche Kompetenz, da jetzt weiter zu spekulieren. Ich kann aber mit Sicherheit hier hinterlassen, dass ich als Konsument einem Wipptaler Qualitätsprodukt sehr aufgeschlossen gegenüberstehe und ich einem geschickt platzierten (und gelebtes) Bio-Label große Erfolgschancen beidseitig des Brenners zutrauen würde. Mit entsprechend ökologischer Produkteverpackung und wenn weiterhin Joghurt natürlich in echten 500g Bechern verkauft wird, dann haben die Sterzinger alles richtig gemacht. Morderne alpenländische Qualität, Fairness, Ökologie und Wirtschaft eben. Was soll da der Dachmarkenklotz am Bein?

Fr., 31.05.2013 - 13:28 Permalink
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Sepp.Bacher Do., 30.05.2013 - 21:21

Soweit ich verstanden habe, kauft Sterzing z. Z. Überschussmilch von der Bergmilch, um die Kriterien der Dachmarke, die – wie ich von Durnwalder verstanden habe – eine rein geografische und nicht eine Qualitätsmarke ist. Milch aus Holland oder Deutschland wird jetzt schon getrennt verarbeitet und zwar wenn der Milchhof für andere Marken z. B. Despar produziert.
Frau Kaser vom Sennerei-Verband versucht zwar die besondere Qualität und Hochwertigkeit der Südtiroler Milch dadurch zu erklären, dass Südtiroler Kühe durch mehr Sonnentage und die optimalere Sonneneinstrahlung auf der Alpensüdseite ein besseres Fütter erhalten. Dazu komme noch die Gen-Freiheit – die mW aber wohl durch ein eigenes Siegel gekennzeichnet wird.
Der Obmann des Milchhofes Sterzing argumentiert hingegen mit der höheren Qualität der Nordtiroler Milch, und weil mehr Bio-Milch angeliefert werde. Ich habe einen Verwandten, der Bauer im nördlichen Wipptal ist, von dem ich weiß, dass in Nordtirol schon seit Jahrzehnten eine stark Natur nahe Landwirtschaft gefördert wird. Ich frage mich, was an der aus der Turbo- Grün-Landwirtschaft Südtirols stammenden Milch schon so hochwertig ein soll?

Do., 30.05.2013 - 21:21 Permalink