Gesellschaft | Interview

„Ich holte mir Unterstützung“

Wie können wir unser Potential entfalten und Veränderung anstoßen? Darum geht es beim ersten Thrive Festival in Bruneck, Initiatorin Nora Dejaco über ihre Motivation.
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Foto: Valentina Strobl
salto.bz: Frau Dejaco, wie entstand die Idee im Herbst im NOBIS Bruneck das Thrive Festival zu veranstalten?
 
Nora Dejaco: Der Grund wieso es Thrive gibt, hat auch mit mir und meiner Lebensgeschichte zu tun. Bevor ich die Stelle beim Netzwerk Automotive Excellence Südtirol angetreten habe, habe ich in Wien ein Startup im Mobilitätsbereich mitaufgebaut und führte eine eigene Agentur. Berufsbegleitend schloss ich den Master of Business Administration (MBA) ab und beschäftigte mich in meiner Abschlussarbeit mit Innovationsnetzwerken und regionaler Entwicklung. Ehrenamtlich arbeitete ich als Mentorin für Startups für den NOI Techpark in Bozen. So erfuhr ich, dass das Automotive Netzwerk in Bruneck eine Clustermanager*in suchte. Ich habe mich für die Leitung des Netzwerkes beworben und wurde genommen. Das Ankommen in dem neuen Sektor Automotive und dem neuen Umfeld war spannend, aber auch fordernd. Heute bin ich gut angekommen und lebe zwischen Wien und Bruneck.  
Ich habe es wahnsinnig zu schätzen gelernt, welche Kraft hier ein gutes Netzwerk entfalten kann.
Können Sie diese Phase näher beschreiben?
 
Man landet in einem komplett neuen Umfeld, mit einer komplett neuen Struktur und lernt eine Menge neuer Menschen kennen. Es war anfangs viel abstrakte Aufbauarbeit notwendig. Das hat mich sehr herausgefordert, mitunter auch deswegen, weil ich dachte, ich muss erstmal beweisen, dass ich es wert bin. Das führte dazu, dass ich ständig das Gefühl hatte, etwas abliefern zu müssen und dadurch setzte ich mich selbst enorm unter Druck. Ich holte mir Unterstützung, nahm Coaching in Anspruch und sprach mit vor allem weiblich gelesenen Personen, die schon einen Karriereschritt weiter waren oder ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht hatten. Dabei kam mir der Gedanke, wie cool es wäre, wenn all die Unterstützung, die ich mir mühsam gesucht hatte, bereits intuitiv und schnell nutzbar wäre, um das eigene Potential besser maximal entfalten zu können. Ich wollte eine solche Community in Südtirol gründen.  
 
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Nora Dejaco: „Es wird zu uns gesagt, wie wir sein sollen und was wir zu tun haben. Das ist bei Männern vermutlich auch nicht anders.“ (Foto: Valentina Strobl)
 
Wie ging es dann weiter?
 
Ich fing an zu recherchieren, machte Umfragen und führte mit über 300 Personen Gespräche. Ich merkte, dass es in Südtirol bereits sehr viel gibt, etwa wnet, den Landesbeirat für Gleichstellung, die Südtiroler Bäuerinnen, die Allianz für Familie, Youkando, die Susi Sisters, der feministische Podcast ätsch bätsch im Vinschgau, das Café Fem, das FemCafé, die Donne Nissa und viele mehr. Irgendwie vermisste ich aber eine Plattform, die Weiterbildung, Coaching, Netzwerken und Inspiration vereint. Deshalb steht Thrive heute für inspire, enable und connect. Es geht nicht um „fix the woman“, aber unsere Gesellschaft drängt uns nach wie vor tradierte Rollenbilder und -verhaltensmuster auf, deren Überwindung - abgesehen von nötigen strukturellen Veränderungen - enormes Potential für jedes Individuum bringt. Es wird zu uns gesagt, wie wir sein sollen und was wir zu tun haben. Das ist bei Männern vermutlich auch nicht anders. Diese Prägungen zu überwinden und unabhängig davon zu fragen, welches Potential und welche Stärken ich habe, so fokussiert muss man erstmal denken - und dann brauchst du das richtige Umfeld, das dich unterstützt. Ich habe es wahnsinnig zu schätzen gelernt, welche Kraft hier ein gutes Netzwerk entfalten kann.
Für welche Werte stehe ich ein - und das Unternehmen für das ich arbeiten will?
Was ist der Stand der Dinge?
 
Aus den Gesprächen heraus begann sich organisch ein ehrenamtliches und sehr heterogenes Team aus 15 Personen zu formieren, das gemeinsam mit mir eine Community und ein Festival aufbaut. Der Kick Off ist die erste Ausgabe des Festivals am 7. Oktober 2023 mit unseren zahlreichen Partnern, etwa die Uni Bozen, das Fraunhofer Italia, Eurac Research, wnet, die Südtiroler Bäuerinnen, der Landesbeirat für Chancengleichheit, Automotive Excellence, Innovalley, tba, Female Founders, Startup Zentrum Kitzbühel, Youkando und unzähligen Sponsoren. Es ist inzwischen ein echt mächtiges Projekt geworden, das neben dem Festival auch weitere Projekte vorsieht. Beim Festival selbst erwartet die Besucher*innen ganz nach dem Prinzip inspire, anable, connect eine Mischung aus auch sehr politisch besetzten Podiumsdiskussionen, Key Notes, Workshops, Coachings, Startup Pitch, World Cafe, Konzerte, eine Ausstellung und mehr.
 
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Das Team von Thrive: „Aus den Gesprächen heraus begann sich organisch ein ehrenamtliches und sehr heterogenes Team aus 15 Personen zu formieren, das gemeinsam mit mir eine Community und ein Festival aufbaut.“ (Foto: Valentina Strobl)
 
Sie haben offenbar den Nerv der Zeit getroffen.
 
Das hängt mit zwei Aspekten zusammen. Thrive hat den Anspruch lösungsorientiert zu sein, zum einen über Bewusstseinsbildung zu Geschlechtergerechtigkeit, Diversität und Empowerment, zum anderen soll es Personen darin unterstützen, ihr Potential maximal zu entfalten - und wir möchten Sichtbarkeit für Themen, Personen und existierenden Initiativen schaffen. Die volle Kraft für Veränderung, die in Südtirol da ist, soll eine Bühne bekommen. Oft läuft man Zielen hinterher, ohne sich zu fragen, ob das wirklich die eigenen sind. Ich finde das sehr relevant. Wenn ich weiß, was ich will und was meine Stärken sind, dann bin ich motivierter meine Ziele auch zu erreichen. Sonst fragt man sich unterwegs, wieso man das überhaupt macht.
 
Kann das Empowerment von Frauen dazu beitragen, dass mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt zurückkehren?
 
Für die Seite der Unternehmen werden Geschlechtergerechtigkeit und Diversität sehr wichtig werden, nicht nur weil sich unsere Gesellschaft verändert, sondern auch unsere Werte. Deshalb muss die Unternehmensstruktur genauer angesehen werden und auch die Personen, die dort arbeiten. Das sind keine neuen Themen, aber sie bekommen in Zukunft mehr Relevanz, weil jüngere Generationen ein anderes Bewusstsein für Unterschiedlichkeit und Vielfalt mitbringen. Was ist meine Identität und wer sind die Personen, mit denen ich zusammenarbeiten will? Für welche Werte stehe ich ein - und das Unternehmen für das ich arbeiten will?
 
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Beim ersten Teamtreffen im Lumen Museum am Kronplatz im Februar 2023: Auf dem Programm standen das Festival sowie das Vereinsstatut und nächste Projekte. (Foto: Valentina Strobl)
 
Was hat das mit Geschlechtergerechtigkeit zu tun?
 
Das ist ein extrem komplexes Thema, ich bin auch keine Expertin, aber nehmen wir abgesehen vom individuellen Wertethema ein Beispiel: Unternehmen müssen sich die Frage stellen, ob ausreichend getan wird, wenn junge Menschen eine Familie gründen wollen. Was verändert sich dann? Warum kommt eine Frau nicht aus dem Haushalt heraus, wenn ein Kind da ist? Hier ist es auch die Aufgabe der Politik, Lösungen zu finden, die gut funktionieren. Auf individueller Ebene bleibt die Frage, wie wir leben wollen - gerade auch als weiblich gelesene Personen. Möchte ich, dass mein Partner und ich beide in Teilzeit arbeiten, um eine Familie zu gründen? Will ich in einem Unternehmen arbeiten, wo ich auch zuhause arbeiten kann? Leider ergreifen noch immer sehr wenige Frauen technische Berufe, das merke ich auch bei meiner Arbeit mit Unternehmen.
Wir reden alle davon, dass unsere Welt heute volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig ist.
Welche Rolle können männlich gelesen Personen in diesem Wertewandel spielen?
 
Unsere Zeit hält eine riesige Chance bereit. Schon alleine, dass ich als weiblich gelesene Person diese Position im Automotive Netzwerk innehabe, ist ein Statement. Dabei ist wichtig, dass eine integrierte Diskussion stattfindet, also nicht nur ein Gespräch unter ausschließlich weiblich gelesenen Personen, sondern miteinander. Deshalb binden wir männlich gelesene Personen beim Thrive Festival auch mit ein. Ansonsten bleiben wir in der Blase, aus der wir raus wollen.
 
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Potentialentfaltung: „Wenn ich weiß, was ich will und was meine Stärken sind, dann bin ich motivierter meine Ziele auch zu erreichen.“ (Foto: Valentina Strobl)
 
Am Dienstag sprechen Sie in der BASIS in Schlanders zu den Veränderungen der Arbeitswelt. Wie hängen diese Veränderungen mit Potentialentfaltung zusammen?
 
Sehr viel. Wir reden alle davon, dass unsere Welt heute volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig ist. Man weiß nicht genau, was morgen ist, man muss sich dauernd auf Veränderungen einstellen, egal in welcher Branche man arbeitet. Wir kommen an manchen Entwicklungen wie der Digitalisierung und dem Klimawandel als Gesellschaft nicht vorbei. Dadurch landet man manchmal in sehr fordernden Situationen. Das ist das Thema, was die neue Arbeitswelt beschäftigt. Wenn ich in einer Situation bin, die extrem unangenehm für mich ist, ich mich mit neuen Technologien oder einem neuen Umfeld auseinandersetzen muss, brauche ich Offenheit, Unterstützung und das Gefühl der Kontrolle bzw. etwas verändern zu können - auch wenn es nur kleine Dinge sind. Dann kann man mit Veränderung konstruktiv umgehen. Als Individuum muss ich mir hier die Frage stellen, wie ich mich zwar nicht abgrenzen, aber wie ich meine Ruhe und meinen Fokus finden kann. Nur so kann ich dann auch zur gesellschaftlichen Entwicklung beitragen.
 
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Profil für Benutzer Josef Fulterer
Josef Fulterer Sa., 17.06.2023 - 06:42

Mit den technischen Hilfsmitteln und der Reduzierung des Stückgewichtes, von den noch aus der Urbar-Machung des Landes her stammenden bis zu 100 kg, auf unter 30 kg, ist der Weg für die Frauen in ,nahezu allen technischen Berufen offen.
Neben der bereits seit der voderen Generation allmählich einsetzenden Mithilfe der Männer, bei der von der heutigen Gesellschaft geforderten ARBEIT-ohne-BEZAHLUNG, ist die TEILZEIT-ARBEIT sehr sinnvoll, da sonst in der immer schneller drehenden Berufswelt die geforderte WEITERBILDUNG ab-gebrochen wird. (Da hat es mit der Pensions-Regelung im Beamten-Bereich, für die Frauen früher schon bessere Regelungen gegeben.)
Absolut notwendig ist auch, dass die Politiker den veränderten Entwicklungen in der Gesellschaft folgend, endlich die Kinder-Tagesstätten und die Kindergärten vom Schulbetrieb abkoppeln und bei Bedarf einen Dienst für das ganze Jahr zur Verfügung stellen.

Sa., 17.06.2023 - 06:42 Permalink