Gesellschaft | Grenzgebiete

"Wir wollen Aktion am Brenner!"

David Calas, Architekt aus Bozen, und Paul Rajakovics haben ihre Studenten an den Brenner geführt. Ein Gespräch über einen "Paradekrisenort", Grenzen und ihr Potential.

Eine Gruppe junger Menschen steht mitten auf der Straße, bildet eine Menschenkette und versperrt den herannahenden Autos den Weg. So geschehen vergangene Woche am Brenner. Keine politische Aktion, sondern ein Experiment einer Gruppe Studierender. Begleitet von den Architekten Paul Rajakovics und David Calas, sind sie von Wien an die italienisch-österreichische Grenze gekommen, um dort ihre Vision eines "neuen Brenners" zu entwerfen. salto.bz hat die beiden Lehrenden am Institut für Architektur und Entwerfen der Technischen Universität Wien zu einem Gespräch getroffen.

Herr Rajakovics, Herr Calas, wie ist die Idee zu dem Projekt "Brennero" entstanden?

Rajakovics: Im Rahmen meiner Tätigkeiten beschäftige ich mich bereits seit Längerem mit dem Thema "Grenze", wie etwa in Gorizia/ Nova Gorica. Unsere Entwerfenthemen gehen oft von komplexen städtebaulichen Fragestellungen aus. Vergangenes Jahr etwa war ich mit einer Gruppe Studierender in Triest, wo wir ein Projekt zum Thema sozialer Wohnbau durchgeführt haben. Als ich dann eine Reportage über die "Bumser" gesehen habe, ist mir die Idee gekommen, dass der Brenner ein spannendes Thema sein könnte. David stammt ja aus Bozen und wir haben uns gemeinsam überlegt, wie wir das Thema aufgreifen könnten und es im Anschluss dann für die Studierenden definiert.

Der Brenner ist ein Transitionsgebiet, ein Übergang und es geht darum, Strategien zu finden, wie man einem solchen Übergang ein Gesicht verleihen kann.

Warum der Brenner?

Calas: Wir fanden es ein sehr konstruktives Feld, und haben uns ganz unvoreingenommen einem politisch brisanten Thema genähert. Was uns dabei wichtig war, ist, einen Bogen zu spannen, zwischen dem Lernen aus der Vergangenheit und der Situation, die wir heute vor Ort vorfinden.

Rajakovics: Der Brenner ist sozusagen ein "Paradekrisenort". Als Grenzort waren für uns jedoch nicht nur die politischen Themen wichtig, sondern sowohl die wirtschaftlichen und demografischen als auch strukturelle und architektonische Auswirkungen.

Der Brenner bietet sicherlich Vorteile für Asylanten, und einen Raum, um über europäische Themen nachzudenken. Denn Europa hat grundsätzlich genug Platz für Asylanten. Es gilt, das Denkmodell für ein Europa ohne Grenzen endlich weiterzubringen. 

Was macht einen Grenzort aus?

Calas: Im Fall des Brenners – und auch in Triest – ist es zur Kommerzialisierung solcher Orte gekommen. Während in Triest mit dem Thema "Vista Mare" für ein hippes Viertel geworben wird, ist am Brenner das Shoppingcenter der – für viele noch einzige – Anziehungspunkt. Es genügt aber nicht, nur die ökonomischen Aspekte zu berücksichtigen, es muss auch die gesellschaftliche Ebene bedacht werden und welche Bedürfnisse diese in Zukunft hat.

Rajakovics: Wir sehen die Grenze als Generator für etwas Zukünftiges.

Wie etwa könnte ein Haus für Asylanten funktionieren, welches zwei Eingänge hat - einen in Österreich und einen in Italien?

Paul Rajakovics und David Calas

Wie passt das Vorhaben der Südtiroler Landesregierung, am Brenner eine Anlaufstelle für Flüchtlinge einzurichten, in Ihr Projekt?

Rajakovics: Grundsätzlich erlauben wir unseren Studierenden ein Denken in alle Richtungen, auch radikalere Ansätze sind zulässig. Aber wenn, dann muss die Auseinandersetzung mit dem Thema "Flüchtlinge" von Qualität sein. Wir haben ja vor Ort mitbekommen, welche Szenen sich abspielen, mit dem Abtransport der Menschen durch die österreichischn Polizei, die in in den Zügen über den Brenner aufgegriffen worden sind. Der Großteil steigt wieder in den nächsten Zug Richtung Norden ein.

Calas: Der Brenner ist dabei ein Transitionsgebiet, ein Übergang. Es geht also darum, Strategien zu finden, wie man einem solchen Übergang ein Gesicht verleihen kann. Die Schaffung von temporären Wohnmöglichkeiten etwa.

Rajakovics: Der Brenner bietet sicherlich Vorteile für Asylanten, und einen Raum, um über europäische Themen nachzudenken. Denn Europa hat grundsätzlich genug Platz für Asylanten. Das Problem ist jedoch, adäquate Verhältnisse zu finden, wenn sie sich einmal permanent niederlassen wollen. Die Möglichkeit für kulturell konforme Wohnmöglichkeiten zum Beispiel. Dabei muss den Menschen die Möglichkeit gegeben werden, neben der Herausforderung Integration auch ihre eigene Kultur weiterzupflegen.

Ausgangspunkt für unsere Intervention war die politische-historische Vorarbeit, aber die Diskussion, das Zerreden, muss aufhören.

Und der Brenner bietet dafür Platz?

Rajakovics: Die Grenzsituation bietet sich an, darüber nachzudenken. Wie etwa könnte ein Haus für Asylanten funktionieren, welches zwei Eingänge hat - einen in Österreich und einen in Italien? Dabei gilt es nicht konkret einen Vorschlag für den Brenner zu machen, sondern das Denkmodell für ein Europa ohne Grenzen endlich weiterzubringen.

Der Brenner ist sozusagen ein "Paradekrisenort".

Welche waren die Aufgaben Ihrer Studierenden während des Aufenthaltes in Südtirol und am Brenner?

Calas: Die Aufgabenstellung lautete: Was ist am Brenner vorhanden bzw. historisch gewachsen? Was macht Sinn? Wie sehe ich den Brenner in Zukunft? Die Studierenden sollten anhand dieser Fragen ein Gesamtkonzept zur Revitalisierung des Ortes entwerfen, ganz nach ihren Wunschvorstellungen. Manchmal können in diesem Prozess auch Kompromisse eingegangen werden.

Rajakovics: Ausgangspunkt für die Exkursion war ein Besuch im Dokumentationszentrum in Bozen. Denn den 33 Teilnehmern aus 12 Nationen – übrigens war kein Südtiroler, sehr wohl aber Studenten aus dem Trentino und Tirol dabei – sollte die Ambivalenz des Themas erst einmal näher gebracht werden. Das Projekt sollte ernsthaft und qualitativ angegangen werden, dazu haben wir auch Treffen mit Experten im Bereich Geschichte, Kultur und Kunst organisiert – um die Studierenden für das Thema zu sensibilisieren.

Es ist zur Kommerzialisierung solcher Grenzorte gekommen.

Welche Ergebnisse erwarten Sie sich?

Rajakovics: Wir wissen nicht, was rauskommt, das ist offen. Nun ist es an den Studierenden, etwas zu tun. Das Projekt soll die Initialzündung für etwas Konkretes sein. Und falls wir das Gefühl haben, die Ergebnisse haben einen Wert, werden wir sicher darauf zurückkommen und sie auch präsentieren. Wie das auch in Triest geschehen ist – da hat es großes Echo gegeben.

Calas: Wir wollen Aktion am Brenner! Ausgangspunkt für unsere Intervention war die politische-historische Vorarbeit, aber die Diskussion, das Zerreden, muss aufhören. Und unser Beruf bietet zahlreiche Chancen, sich – kontrolliert, sinnvoll – auszutoben. Das wollen wir den Studierenden vermitteln.

 

franzmagazine hat eine Bildergalerie zur Exkursion erstellt.

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A Bubba Sa., 08.11.2014 - 18:30

Nichts für ungut aber worum geht es in dem Artikel? Das Projekt wird vorgestellt, bevor es überhaupt begonnen hat und die händchenhaltenden Studenten sind jetzt auch nicht wirklich so experimentell, dass man drüber reden müsste. Vielleicht entwickelt sich im Laufe des Projektes ja was interessantes, dann würd ich gerne mehr drüber erfahren!

Sa., 08.11.2014 - 18:30 Permalink