Wie ich einen Massive Open Online Course besuchte und dabei MOOC-süchtig wurde

Ein Erfahrungsbericht

Wenn mich wer fragt was ich denn so tu, was meine Hobbies sind, schwindle ich meistens ein bisschen. Ich sage ich lese gerne und im Winter tu ich gern langlaufen, im Sommer wandern und radfahren. Wenn man ein ungewöhnliche Leidenschaft hat, möchte man damit nicht den Smalltalk stören; Ziel des Smalltalks ist es ja eine gemeinsame Form zu finden, sodass man sich ein bisschen beschnuppern kann. Man wählt also jene Hobbies die dem Gegenüber angenehm sein könnten, mit denen er vertraut ist. Da es viel mehr Radfahrer gibt als Wahrscheinlichkeitsfreaks ist man beispielsweise gut beraten “Radfahren” zu sagen und das seltenere Hobby zu verschweigen. Je nach Theorien-Schule der Statistik nennen diesen Entscheidungsgrundlage die einen “A-Priori Wahrscheinlichkeit”, die anderen “Base Rate”.

Als Wahrscheinlichkeitsfreak habe ich mich bei Coursera angemeldet, einen der grössten Massive Open Online Course Anbietern. Massive Open Online Course ist ein amerikanisches Phänomen. Irgendwann in den letzen Jahren hat der Kalifornier Salman Khan seinen Job gekündigt und nur noch Videotutorials zu allen möglichen akademischen Fachgebieten auf Youtube gestellt. Viele, viele Menschen haben diese Videos angeschaut. Der Statistiker Sebastian Thrun und sein Kollege Peter Norvig haben darauf den ersten MOOC gestartet der von Professoren von Eliteuniversitäten ausging. Thrun lehrt in Stanford und Norvig lehrte damals in Berkely. Noch mehr Menschen weltweit haben diesen Kurs “Introduction to Artificial Intelligence” besucht. Damit schossen einige MOOCs in Amerika aus den Boden: Udacity, Coursera, Edx, Venturelab, Khan Academy.

Ich habe bislang 2½ MOOCs besucht. Vom letzten möchte ich berichten, denn dieser hatte eine interessante Dynamik.

Google Plus ist ein Facebook Konkurrent wo man gut Menschen mit ähnlichen Interessen kennenlernen kann. Genau wie bei Salto.bz “verfolgt” man Leute die was interessantes posten. Dadurch muss man weniger smalltalken, man hatt ja schon gemeinsame Interessen. Ich habe dort Rich Gillin kennengelernt, einen Iren der in Anchorage, Alaska lebt. Er teilt mit mir die Liebe zu Wein und Wahrscheinlichkeit. Dieser Rich fragt mich eines Tages ob ich den “Data Analysis” Kurs auf Coursera machen will.

Ich war neugierig, und stieg ein. Bei Coursera hatte ich schon mal einen Kurs angefangen, doch dieser erschlug mich mit langweiligem Abspulen von Definition im Frontalunterricht. Ich hatte keine hohe Meinung von Coursera. Sebastian Thrun’s Udacity fand ich geil. “Sebastian”, wie man Menschen in Amerika vertraut nennen darf die man nicht kennt, Sebastian hat eine partizipative Unterrichtsmethode: Er erklärt was und schreibt es auf einen digitalen Tageslichtprojektor. Dann mahlt er Kästchen hin, die ich mit Zahlen oder Multiple-Choice Eingabe ausfüllen kann. Man arbeitet gemeinsam in einer virtuellen Meister/ Lehrlingsbeziehung. Im Gegensatz dazu schaut man sich bei Coursera Videos an und macht dann jede Woche einen Quiz und kriegt im Kursverlauf ein oder mehrere Hausaufgaben.

Also, ich war noch etwas skeptisch als ich bei Coursera auf den “Sign Up” Button drückte. Die ersten Quizzes machte ich ohne mir die Videos anzuschauen, das waren ja Basics. Nach und nach wurden die Quizzes immer schwieriger, man surft die Foren ab um die Fragen und Antworten der Mitschüler zu lesen. Man schreibt selbst mal eine Antwort oder eine Frage. Dann kommt die erste grosse Hausaufgabe, wir mussten die Creditscore Parameter eines crowdsourced Lending Clubs analysieren und feststellen welche Faktoren für die Kreditgeber ausschlaggebend waren um den Kredit zu gewaehren. Wir diskutieren vieles in den Foren, spekulieren welche Methoden wir anwenden sollen. Aber das ist eigentlich nicht wichtig. Denn der Bewertungskatalog zeigt dass nur die Form bewertet wird, nicht die Richtigkeit des Ergebnisses. Ha, wie absurd!

Doch es gibt da einen Sachzwang der das nötig macht. Wer korrigiert in einem MOOC die Hausarbeit? Die Mitschüler! Das M in MOOC bedeutet “Massiv” und das waren bei “Data Analysis” 20.000 Studenten. Im Peer-Review Verfahren musste jeder Student vier Hausarbeiten korrigiert und die Richtigkeit der Methode ist sicher sehr schwierig zu bewerten. Deshalb nur die Form. Eine Enttäuschung.

Doch Amadou Dicko ein Student aus Senegal hatte eine zündende Idee. Als wir die zweite Hausarbeit schrieben, schlug er diese im Forum vor.

Bei der zweiten Hausarbeit mussten wir ein “Prediction Model” bauen. Das finden wir Probability Nerds grossartig! Wir mussten ein Model beschreiben mit dem man aus den Sensordaten eines Smartphones errät, was die Person gerade für eine Aktivität ausführt: geht sie? Sitzt sie? Steht sie nur rum?

Amadou schlug vor daraus einen Wettbewerb zu machen: welches Model errät die Aktivitäten am besten? Eine Webseite namen Kaggle bietet das als Crowdsourcing Modell für Unternehmen an. Mit teilweise hohen Geldpreisen werden Quantitative Analysten aus der ganzen Welt angelockt um Vorhersagen zu treffen. Z.B. um Walgesänge zu erkennen, “Create an algorithm to detect North Atlantic right whale calls from audio recordings, prevent collisions with shipping traffic” oder Vorhersagen welche Patienten das höchste Risiko haben nach einem Jahr wieder im Spital zu landen.

Mein Mitschüler Amadou hat mit Kaggle verhandelt und eine Wettbewerbsseite nur für unseren Kurs eingerichtet. Dort spielen wir seither rum. Gestern habe ich mich via Skype mit zwei Mitschülern getroffen um über unsere Modelle zu reden. Einer sass in Bangalore, Indien, einer in Mountain View, Kalifornien und einer in Girlan, Südtirol. Wir hatten eine Mords-Gaudi. Wenn ich von meinem Hobbies erzähle werde ich in Zukunft erwägen zu sagen: Ich mach diese Onlinekurse ich bin richtig süchtig danach. Coursera startet jetzt die ersten Kurse in italienischer Sprache “La visione del mondo della Relatività e della Meccanica Quantistica”. Gehts hin, schauts enk des on.

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salt & pepe So., 24.03.2013 - 23:06

Lieber Roland, deinen Artikel hab ich total gern gelesen, weil die 'passione', wie Slaiko sagen würde, in jeder Zeile zu spüren ist, und obwohl ich immer noch nicht durchblicke, was denn jetzt eigentlich ein MOOC ist...

Aber ist es nicht herzzerreißend, wenn ein Wahrscheinlichkeitsnerd und eine ebensolche Nerdine sich treffen, und beim Smalltalk beide verschweigen, dass sie es sind, weil das ja unwahrscheinlich wäre, und am Ende reden sie übers Radfahren, und finden sich nicht...?

So., 24.03.2013 - 23:06 Permalink