Politics | Politikgehälter

"Was ist uns Politik noch wert?"

Die Diskussion um die Bürgermeisterentschädigungen nimmt langsam an Fahrt auf. Und muss laut Martin Ausserdorfer auch an Grundsatzfragen rühren.
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Foto: Salto.bz

In den kommenden Monaten soll das heiße Eisen der Bürgermeisterrenten im Regionalrat aufgegriffen werden. Und die Aktualität liefert den Ersten Bürgern des Landes immer wieder neue Anlässe, um ihr Anliegen mit Beweisen für die Belastung und Verantwortung des Amtes zu untermauern – sei es mit dem Rücktritt des Barbianer Bürgermeisters Alfons Klammsteiner oder mit den zahlreichen Fällen, in denen Bürgermeister für Unfälle oder andere Vorkommnisse auf ihrem Gemeindegebiet zur Verantwortung gezogen werden. Ob eine Leitplanke ein paar Zentimeter zu wenig hoch ist oder ein für die Gemeindekasse wirtschaftlich vorteilhafter Gebäudeankauf nicht zu 100 Prozent den immer komplizierteren rechtlichen Anforderungen gerecht wird: „Wir Bürgermeister haften für alles, und das vielfach mit unserem privaten Vermögen, sagt Gemeindenverbandspräsident Andreas Schatzer. Er forderte am Mittwoch im Morgentelefon von RAI Südtirol, einmal mehr eine offene Diskussion über die Entschädigung der Bürgermeister. Denn auch in kleinen und mittelgroßen Gemeinden werde das Amt immer mehr zum Hauptberuf, der viel Wissen, Fleiß, Belastbarkeit, Geduld, Mut und vor allem viel Zeit abforderte.

Bei einem Gehalt, das in kleinen Gemeinden auf 2000 Euro brutto sinkt und zumindest für alle Nicht-Angestellten keine Pensionsvorsorge vorsieht, ist das schwer leistbar, argumentieren Bürgermeister wie der Malser Ulrich Veith. „Warum soll ich für 900 Euro arbeiten“, begründete der bereits vor zwei Jahren einen Job, den er nach seinen Strafverfahren in Sachen  Sozialbeiträge neben seinem Bürgermeisteramt aufgenommen hatte.  Widerspruch kommt aber auch beim jüngsten Vorstoß des Gemeindenverbandes sofort wieder aus dem Landtag. „Der Präsident des Gemeindenverbandes kann wohl kaum für alle Bürgermeister im Land sprechen“, kontert der Freiheitliche Parteiobmann Walter Blaas Schatzer. Denn: Es gäbe auch unter den SVP-Bürgermeistern durchaus andere Ansätze hinsichtlich der Amtsentschädigung, unterstreicht Blaas. Als Beleg dafür zitiert der Freiheitliche frühere Aussagen namhafter SVP-Gemeindeverwalter, wie dem Bürgermeister von St. Lorenzen Martin Ausserdorfer oder Bozens Vizebürgermeister Christoph Baur. Gibt es also auch innerhalb des Gemeindeverbandes Uneinigkeit zu Renten und Amtsentschädigungen, die Schatzer nun schwierige Zeiten bescheren werden? Antworten vom Bürgermeister von St. Lorenzen und Direktor der BBT-Beobachtungsstelle Martin Ausserdorfer.

Herr Ausserdorfer, Sie werden vom Freiheitlichen Parteiobmann Walter Blaas mit einer früheren Aussage zitiert, wonach „die Tätigkeit als Bürgermeister kein Vollzeit-Job“, für den man 40 Stunden pro Woche investieren muss“. Wer zu viel Zeit als Bürgermeister habe, suche sich oft auch unnötig. Müssen Sie sich also im Gemeindeverband gegen ihren Präsident Andreas Schatzer durchsetzen, der dies ganz anders sieht?
Martin Aussdorfer:
Ich muss sagen, dass ich persönlich das Thema bislang im Gemeindeverband noch nicht diskutiert habe.  Aber für mich ist klar, dass diese Diskussion in jedem Fall differenziert angegangen werden muss. Hier gibt es nicht nur schwarz oder weiß, auch weil verschiedene Gemeinden eine unterschiedliche Komplexität und somit auch unterschiedliche Anforderungen haben. Und es gibt eben Situationen, wo es möglich ist, dass jemand nebenbei Bürgermeister macht und in anderen nicht.

Und in St. Lorenzen ist dies möglich?
Wir haben im Dorf sicherlich eine hohe politisch Kultur und eine sehr konstruktive Zusammenarbeit. Ich kann auch vieles meiner Arbeit digital abwickeln, was zeitlich vorteilhaft ist. Was schon unterschätzt wird und wo ich selbst auch viel dazugelernt habe, ist das Thema Verantwortung. Die Verantwortung der Bürgermeister ist wirklich groß, für jeden Bauakt, den man unterschreibt, für jede Ausgabe und jeden öffentlichen Beitrag haftet der Bürgermeister immer persönlich. Das heißt, jeder von bezahlt sich auch noch Versicherungen ein, wovon auch niemand spricht.

Das heißt aber auch, dass solche Zahlungen ebenfalls vom Gehalt weggehen, das in kleinen Gemeinden bei rund 2000 Euro liegt?  
Klar. Neben Parteiabgaben zahle ich mir zum Beispiel auch eine Rechtsschutzversicherung, einen Teil der Haftpflichtversicherung, das läuft alles mit. Aber sprechen wir auch über die  Gemeindereferenten, die 700 oder 800 Euro, in größeren Gemeinden vielleicht 1000 Euro bekommen. Doch wissen Sie, wie viel die Arbeit eines guten Gemeindereferenten tatsächlich wert ist?

Wohl mehr?
Die ist unbezahlbar. Aber schauen wir doch, wie die Lage ist. Wenn Studien in Auftrag gegeben werden, die 100.000 Euro kosten, ist das kein Problem. Wenn bei der Bauabrechnung 30.000 Euro mehr herauskommen als geplant, kräht kein Hahn danach. Doch wenn ein Referent statt 600 Euro 650 verdienen würde, dann gibt es gleich eine Grundsatzdiskussion. Wir haben einen Referenten, einen pensionierten Hydrauliker, bei dem keine Bauabrechnung höher als veranschlagt ist, weil er den Dingen so genau nachgeht. Das ist wertvolles Know How, und dennoch diskutieren wir über 50 Euro.

"Ich zum Beispiel wäre nicht in die Politik gegangen, wenn ich das Bürgermeisteramt nur als Vollzeitjob ausüben könnte. Denn das würde auch heißen, deine Arbeit zu kündigen, alles aufzugeben, was man nach dem Studium aufgebaut hat – ohne zu wissen, ob man das nächste Mal wiedergewählt wird."

Das heißt, im Gegensatz zur Meinung des Freiheitlichen Parteiobmanns finden auch Sie, dass es eine Überarbeitung der Entschädigungen braucht?
Ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass Bürgermeistern genauso wie Landtagsabgeordneten eine bestimmte Rente zusteht. Es geht einfach nicht, Menschen bis zu 15 Jahre ohne Sozialbeiträge arbeiten lassen.  Hier muss es mehr Fairness geben, wie bei jedem Job. Denn man riskiert ohnehin schon, wenn man in die Politik geht....

Inwiefern?
Also ich zum Beispiel wäre nicht in die Politik gegangen, wenn ich das Bürgermeisteramt nur als Vollzeitjob ausüben könnte. Denn das würde auch heißen, deine Arbeit zu kündigen, alles aufzugeben, was man nach dem Studium aufgebaut hat – ohne zu wissen, ob man das nächste Mal wiedergewählt wird. Gerade deshalb ist es umso wichtiger die Rahmenbedingungen zu schaffen, unter anderem auch eine Rente, damit bestimmte Menschen noch Politik machen. Also bestraft sollte man dafür wirklich nicht werden.

Und das wird man heute?
Heute wird man als Politiker vielfach von vorherein als Schwerverbrecher gesehen. Und wenn du dann ausscheidest, darfst du dich danach nirgends beruflich niederlasen, weil es für überall Wettbewerbsverbote gibt, man darf sich nicht selbstständig machen, weil man keine Kontakte mit der öffentlichen Hand haben darf und so weiter. Also, es hat eine Zeit gegeben, da gab es tatsächlich viele Privilegien für Politiker, die nicht rechtfertigbar waren. Aber ich denke nach Monti und anderem Sparreformen sind wir auf einem Punkt angekommen, wo wir uns grundsätzlich die Frage stellen müssen: Was ist uns Politik noch wert? Denn es gibt Grenzen nach oben, aber es muss sie auch nach unten geben.

"Das Auseinandertriften der Gehälter in Wirtschaft und Politik ist mittlerweile so brutal geworden, dass einfach die Verhältnismäßigkeit fehlt. Ich denke, in einer Gesellschaft sollte es aber auch ein Bewusstsein dafür geben, wie viel ihr eine gute Politik wert ist. Und wir sollte uns fragen, wer noch Politik macht."

Doch die gibt es heute nicht? 
Schauen Sie, ich habe wirklich oft versucht, Menschen dazu zu motivieren, in die Politik zu gehen, ob auf Landes- oder Gemeindeebene. Doch meistens bekomme ich zur Antwort: Warum soll ich mir das antun? Das Auseinandertriften der Gehälter in Wirtschaft und Politik ist mittlerweile so brutal geworden, dass einfach die Verhältnismäßigkeit fehlt. Ich denke, in einer Gesellschaft sollte es aber auch ein Bewusstsein dafür geben, wie viel ihr eine gute Politik wert ist. Und wir sollte uns fragen, wer noch Politik macht. Haben wir die besten Leute dort, und wie soll sie sich sonst weiterentwickeln, mit all dem Populismus und sonstigen Problemen?

Also genügend Stoff für eine weitere Diskussionsrunde über Politikergehälter?
Wichtig ist, dass der Aufhänger einer notwendigen  Regelung der Bürgermeisterrenten jetzt nicht wieder für eine politische Schlammschlacht zwischen Mehrheit und Opposition missbraucht wird. Es geht darum, eine differenzierte Lösung zu finden, die ermöglicht, das fair für alle abzuwickeln. Und dafür brauchen wir eine vernünftige Diskussion und keine gegenseitigen Vorwürfe, sei es hinsichtlich Renten oder Amtsentschädigungen.

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Sell Woll Thu, 02/02/2017 - 11:29

Eine Rente für Bürgermeister kann eingeführt werden, wenn:
1. Kleinstgemeinden zusammengelegt werden;
2. der BM sein Amt in Vollzeit ausübt;
3. der BM keine weiteren mit Steuergeldern entlohnten Posten innehat (wie bspw. Herr Außerdorfer, dessen Ämterhäufung in starkem Verdacht eines Interessenskonflikts steht);
4. der BM auf Immobilienangelegenheiten in eigener Sache (und jener der Familienangehörigen) während seiner Amtszeit verzichtet.

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Peppi Stecher Fri, 02/03/2017 - 00:52

BM Veith arbeitet in der Schweiz in Teilzeit zu 70% und kassiert für die restlichen 30% die ganzen 100% Amtsentschädigung. Macht in Totale 170%. Übrigens sind 100% Amtsentschädigung in Mals nicht 2.000 brutto oder gar "Warum soll ich für 900 Euro arbeiten", sondern brutto ca. 5.500 Euro. Eine kurze Recherche vor dem Artikelschreiben wäre sicher hilfreich gewesen.

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Martin Daniel Fri, 02/03/2017 - 07:56

In reply to by Peppi Stecher

Wenn ein Teilzeitjob in einer der größeren Gemeinden wie Mals möglich ist und meist noch andere bezahlte Posten wie etwa in der Bezirksgemeinschaft dazukommen, dann fragt sich schon, ob eine BM-Rente auch für Selbstständige eingeführt werden soll. Diese werden sowieso - aus nachvollziehbaren Gründen (Kundenstamm) - nie ganz ihr Business ruhen lassen.

Fri, 02/03/2017 - 07:56 Permalink
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Albert Hofer Fri, 02/03/2017 - 10:19

In reply to by Martin Daniel

Erwähnenswert vielleicht, dass ein gewisser Peppi Stecher 2015 Gegenkandidat von Ulrich Veith in Mals war...

Debatten sind naturgemäß schwierig, wenn der Tenor insgeheim in die Richtung "warum sollen die was kriegen, was ich nicht kriege?" geht. Die enorme Kandidatenarmut bei den Bürgermeisterwahlen 2015 in Südtirol waren ein beredtes Zeugnis, dass das Brutto-Gehalt beim Bürgermeisterjob im Verhältnis zu Arbeitsaufwand, sozialer Absicherung und rechtlichen Risiken offenkundig nicht wirklich als lukrativ angesehen wird. In fast einem Drittel aller wählenden Gemeinden gab es damals überhaupt bloß einen Kandidaten, der sich zur Verfügung gestellt hat. An dem Punkt stellt sich die berechtigte Frage, wieso nicht mehr Menschen in den Ring steigen. Da wird ein Job für ein paar Tausend Euro brutto angeboten und kaum jemand will ihn haben?

Fri, 02/03/2017 - 10:19 Permalink
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Albert Hofer Fri, 02/03/2017 - 12:58

In reply to by Martin Daniel

Die SVP lässt durchaus auch mehrere Bürgermeisterkandidaten auf ihrer Liste zu und die Kandidatenarmut gab es auch in Gemeinden, wo der amtierende BM nicht mehr angetreten ist. Und selbst wenn die von dir genannten Punkte entscheidende Faktoren wären: Bewirbt man sich deshalb nicht um eine Stelle, die, wenn man hier so mitliest, angeblich für wenig Arbeit hohes Einkommen verspricht?

Es gibt wohl nicht den einen einzig wahren Grund, wieso kaum mehr jemand Gemeindepolitik machen will. Wenn man die Interviews der letzten Jahre mit zurückgetreteten oder nicht mehr angetretenen BM gelesen hat, dann ergibt sich ein differenziertes Bild. Viele sagen tatsächlich: "Leute, entweder ich mach zwei Jobs nebeneinander oder es zahlt sich finanziell für mich einfach nicht aus, weil die Sozialabgaben mein ganzes Bruttogehalt wegfressen." Eine Doppelbelastung à la Ausserdorfer oder Veith ist halt nicht für alle gangbare Option, sei es aus Gründen der Arbeitsbelastung (ich würd mir nicht zwei Jobs zumuten...), sei es aus zeitlicher Unvereinbarkeit mit dem normalen Beruf. Dann haben viele einfach keinen Bock mehr auf das erhebliche rechtliche Risiko (erneut: bei der Bezahlung?), sei es wegen Rechnungshof, Anzeige wegen Amtsmissbrauch oder Unterlassung einer Amtshandlung, weil eine Leitplanke nicht korrekt montiert war oder man irgendeinem Dekret aus dem Jahr 1978 zuwidergehandelt hat. Und zuletzt, da ist mir ein Fall persönlich bekannt, ist auch die emotionale Belastung nicht zu unterschätzen... Ein Bekannter von mir hat vor über zwei Jahrzehnten das Handtuch als BM einer mittelgroßen Gemeinde geworfen, weil er's nicht mehr ausgehalten hat, ins Dorfgasthaus zu gehen und am Tresen mithören zu müssen, was für ein Volltrottel er sei. Das Ausmaß an Politiker-Bashing und persönlichen Anfeindungen ist seither eher noch schlimmer geworden. Summa summarum halte ich den Vergleich mit "normalen" Selbstständigen für nicht sehr geglückt.

Fri, 02/03/2017 - 12:58 Permalink
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Peppi Stecher Fri, 02/03/2017 - 12:21

Warum es Erwähnenswert sein soll, dass ich 2015 BM-Kandidat war, erschließt sich mir in diesem Zusammenhang hier jetzt nicht so ganz. Fakt ist doch, dass Veith als BM nur 30 % in der Gemeinde arbeitet, aber 100% der Entschädigung kassiert. Außerdem sind seine Zahlenspiele so was von weit hergeholt.
p.s.: in Mals gab es 2015 drei BM-Kandidaten

Fri, 02/03/2017 - 12:21 Permalink