Culture | Roman

Frieda und James Bond

Welcher innerlichen Stimme zuhören? Jener der frommen Tante Frieda, oder jener des unerschütterlichen James Bond?

Frieda und James Bond von Reinhilde Feichter

Wer kennt sie nicht, diese innere Stimme, die immer einen schlauen Rat auf Lager hat und meint, alles besser zu wissen. Diese Stimme kann einen ganz schön in den Wahnsinn treiben. Aber dann gibt es da auch noch die Stimme der Unvernunft, des Abenteuers, die Spaß will und von starren Konventionen nicht viel hält. So geht es auch der dreizehnjährigen Emeli, die im Südtirol der späten 1960er-Jahre aufwächst. Bisher hatte sie nur die strenge Stimme ihrer Großtante Frieda im Kopf, doch dann hört sie James Bond im Fernseher sagen: „Bescheidenheit ist die höchste Form von Eitelkeit“ und Emeli weiß, dass er Recht hat: Sie will nicht so werden wie Frieda, sie will nicht bescheiden und frömmelnd sein. Und so wird sie immer mutiger und stürzt sich, nicht ganz pannenfrei, in jedes Abenteuer – immer mit dabei, Geheimagent 007. Man kann ihn sich super vorstellen, wie er im schwarzen, perfekt sitzenden Anzug, moralische Unterstützung bietet.
Eine Erzählung mit Witz und Selbstironie für alle, die über allzu Menschliches und über sich selbst lachen können.

Leseprobe: "Schellbacher Schneegeschichte"

Der Winter 1976 war nicht nur kalt. Es schneite auch viel. Und wenn es das tat, spielte sich jedes Mal dasselbe Szenario ab: Niemand außer mir räumte seinen eigenen Parkplatz vom Schnee frei. Und so blieb mir nichts anderes übrig, als die weiße Pracht rund um mein Auto selbst wegzuschaufeln. Am schwersten war der zusammengedrückte Schnee, den der Schneepflug am Parkplatzrand hinterließ. Er war hart wie Beton. Ich hatte hinterher stets Muskelkater. Wenn ich bei meiner Rückkehr wieder diesen Parkplatz vorgefunden hätte, wäre es nicht wert, auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Doch jedes Mal, wenn ich nach Hause kam, stand bereits ein anderes Auto auf meinem sorgfältig ausgeschöpften Platz und ich musste mir einen neuen freischaufeln. Also hieß es für mich: Tu was dagegen!
„Bitte haben Sie die Güte ...“, begann ich auf ein DIN-A4-Blatt zu schreiben. Ich zerriss es gleich wieder. Niemand von diesen exzentrischen Führerscheinfrischlingen und bereits Autobesitzern würde „die Güte haben“. Das klang nach Frieda.
Ich begann von neuem, diesmal anders: „Da ich Rückenprobleme habe, würde ich mich freuen, wenn ...“ Nein, auch nicht. Das klang ja noch mehr nach Frieda, nach Selbstmitleid. Aus und zerrissen! Weg damit!
„Die sollen Angst bekommen, richtige Angst!“, schoss mir James Bond in den Kopf. Ich schrieb nun: „Wer zu faul ist, sich selbst einen Parkplatz freizuschaufeln, und sein Auto auf meinen Parkplatz stellt, der kann sich auf etwas gefasst machen!“ Vielleicht glauben sie dann, den Zettel habe ein Karate-Meister geschrieben. Ich fügte noch hinzu: „wenn ich um 22 Uhr heimkomme!” Das „der kann sich auf etwas gefasst machen!“ unterstrich ich zweimal. Den Zettel klebte ich an die Eingangstür, dort, wo sie alle vorbeimüssen: der muskulöse Werner, ein Extrem-Skitourengeher, der gut trainierte Ulrich, dem sein rheumatischer Vater ab und zu das Auto putzt, die sportliche Eva, die täglich ins Fitnessstudio steppen geht, der Herr vom Alpenverein, der viel wandert und joggt, und all die anderen Autobesitzer dieses Hauses.
Ich schöpfte den Platz rund um mein Auto wieder frei, räumte mit größter Mühe auch den hartgefrorenen Haufen am Rand weg. Mit Genugtuung sah ich im Rückspiegel das Resultat mühevoll geleisteter Schwerstarbeit. Heute würde es sich gelohnt haben! [...]

Reinhilde Feichter, Frieda und James Bond
Edition Raetia 2015, Hardcover mit Schutzumschlag, 120 Seiten,
Online Preis: Euro 17,90. Ladenpreis: Euro 17,90 - ISBN: 978-88-7283-540-1

Reinhilde Feichter. Geboren in Bruneck. Besuch der Lehrerbildungsanstalt in Meran. 1995 erschien ihr erstes Buch „Die Litanei. Erzählung“ bei Edition Raetia, das eine zweite Auflage erlebte und mit dem Literaturpreis der Städte Brixen/Hall sowie dem Literaturstipendium des österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst ausgezeichnet wurde.

www.raetia.com