Economy | TTIP

David und Goliath

Über das Freihandelsabkommen EU-USA sprach die TTIP-Kritikerin Monica di Sisto in Bozen; Auftakt zu „OltrEconomia“, dem alternativen Wirtschaftsfestival in Trient.

Zum zehnten Mal startet heute, Freitag 29. Mai, das Erfolgsmodell des Festival dell’Economia in Trient, mit 93 Veranstaltungen, 300 akkreditierten Journalisten und 40.000 verkauften Eintrittskarten. Bis 2. Juni werden Politiker und Wirtschaftsexperten zum Thema „Soziale Mobilität“ refererieren, darunter Größen wie Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, der zum Auftakt des Festivals referiert und der nicht minder berühmte Volkswirtschaftler Paul Krugman, der die Abschlussveranstaltung gestalten wird. Eine großartige, die globale Wirtschaft sicher auch kritisch unter die Lupe nehmende Veranstaltung, der aber seit zwei Jahren eine Gegenveranstaltung entgegengesetzt ist.

Das Festival „OltrEconomia“ bietet im Park des Santa Chiara Zentrums all jenen eine offenen Diskussionsraum, die nichts von den sich selbst regulierenden Dynamiken der globalisierten Wirtschaft, der Finanzmärkte und der Vorherrschaft von internationalem Währungsfond und Weltbank halten. Vom 29. Mai bis 2. Juni wird ein Programm angeboten, das die Hierarchien und Privilegien der herrschenden Wirtschafsmodelle hinterfragen will, unter dem Motto „Il clima del cambiamento“ und mit Gästen wie Alberto Tena von Podemos Spanien, Haris Golemis der Bewegung Syriza aus Griechenland und Marco Bersani von Attac Italia.

Um auch den Boznern das Trientner Alternativfestival schmackhaft zu machen, organisierten die Veranstalter einen Diskussionsabend im Kolpinghaus, mit dem dem Yaku-Aktivistien Argante Brancalion, dem Präsidenten der Herausgebergenossenschaft von salto.bz, Max Benedikter und der Wirtschaftswissenschaflerin und Fairwatch-Vizepräsidentin Monica di Sisto. Sie ist eine ausgewiesene Kennerin und Kritikerin  des Welthandels, lehrt an der Pontificia Università Gregoriana di Roma und kennt vor allem die Geschichte des TTIP, des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens zwischen USA und Europa sehr gut. So gut, wie es denn möglich ist, werden doch die Verhandlungen zwischen Europäischer Kommission und den USA seit 2013 hinter verschlossenen Türen geführt, die genauen Vertragsbedingungen der weltgrößten Freihandelszone sind nicht einmal den EU-Parlamentariern bekannt. Und das nicht ohne Grund, sagt Monica di Sisto: „Seit der World-Trade-Organisation-Konferenz in Seattle 1999 beobachte ich die Aktivitäten der Welthandelsorganisation, damals in Seattle platzte das Treffen zu den internationalen Handelsabkommen erstmals durch die Proteste von Globalisierungsgegnern, ich war auch dort, und habe mitbekommen, worum es eigentlich ging.“

Battle for Seattle 1999 - früher Widerstand gegen Freihandel

Die Proteste in Seattle richteten sich gegen die WTO, auf den Straßen protestierten vielfach die entlassenen Arbeiter aus den metallverarbeitenden Fabriken, die geschlossen wurden und beispielsweise nach Indonesien ausgelagert wurden, erzählt Di Sisto am Abend im Kolpinhaus von Bozen. Damals sei ihr klar geworden, dass diese Gleichung nicht stimmen kann: Die Frustration der entlassenen Fabriksarbeiter in Seattle werde aufgewogen mit der Ausbeutung von indonesischen Arbeitern in den ausgelagerten Fabriken.

Seit damals versuchten die Wirtschaftspartner USA und Europa zu einander begünstigenden Handelsverträgen zu kommen, doch waren diesem Anliegen die aufstrebenden Länder Russland, China, Brasilien oder Indien im Weg, die bei den diversen Wirtschaftsgipfeln ebenfalls ihre Interessen vertreten sehen wollten.

Das Téte à Téte USA – Europa sollte zustande kommen: 2010, so Di Sisto, wurde in einer Studie eruiert, wie ein solches bilaterales Handelsabkommen aussehen könnte, welche Instrumente zur Beschleunigung der jeweiligen Wirtschaftmärkte nötig seien. Es sollte mehr verhandelt werden, als die verschiedenen Produktionsbedingungen von Sicherheitsgurten oder die Hygienebestimmungen bei Lebensmitteln. So einigte man sich in den bisherigen TTIP-Treffen auf einige besonders eloquente Strategien, die die Gleichbehandlungen bei öffentlichen Aufträgen, bzw. dem Abbau von Gesundheitsstandards, Lebensmittelgesetzen, Umweltstandards und ähnlichem Vorschub leisten sollten:

-        Das Investor-State Dispute Settlement – ISDS, eine Art nicht-staatliche Schiedsgerichte die den Investitionsschutz von Unternehmen und ihre eventuellen Schadensersatzansprüche wahrnehmen sollen, gegen die Vertragsstaaten

-        Die Einführung eines Regulatory Cooperation Council, ein Expertenrat der die Wirksamkeit von Arbeitsverträgen, Sicherheitsstandards, Marken, Handelsregelungen etc. unter die Lupe nimmt und gegebenfalls kippen kann, immer in Hinblick auf die Wirtschaftsperformance EU-USA

-        Schließlich soll ein weiteres Organ installiert werden, das losgelöst von nationalen Interessen, den Anschub und die Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums innerhalb der Freihandelszone regulieren kann, ohne Anhörung der einzelnen Nationen.

Mit Twitterstorm die EU-Parlamentarier bestürmen

Diese drei Institutionen sind nur einige Bausteine des komplexen Abkommens, dessen Verhandlungsstatus und Inhalt niemand kennt; auch EU-Parlamentarier haben keine Zugang zu den Texten und stimmen lediglich von Fall zu Fall ab, so wie am Donnerstag geschehen, als der Handelsausschuss sich für eine Reform des Investorenschutzes aussprach, die geplanten Schiedsgerichte aber nicht ausdrücklich ablehnte.

Monica di Sisto weiß in solchen Fällen wie reagieren: Sie twittert. Und mit ihr tausende andere TTIP-Gegner aus den europaweiten Initiativen. Sie befragen mit gemeinsamem hashtag die Europaparlamentarier zu ihrem Abstimmungsverhalten; dies sei eine von vielen Strategien, um der Komplexität und Intransparenz rund um das Phänomen beizukommen, sagt die Aktivistin. Und um zu zeigen, dass die Wachsamkeit nicht nachlässt.