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ESF-Berichte unter der Lupe

Am Vormittag befasste sich der Landtag mit den ESF-Berichten. Hitzige Diskussionen und wenig Einigkeit unter den Abgeordneten. Auch die Schuldfrage ist nicht ausgeräumt.

Bei der Sitzung des Landtagsplenums zu Beginn des wahrscheinlich heißesten Monats des Jahres ist es nicht minder kühl zugegangen. Hitzig wurde die Debatte, als sich der Landtag am Mittwoch Vormittag mit dem Abschlussbericht des ESF-Untersuchungsauschusses sowie den Minderheitenberichten befasste. Zu Beginn der Sitzung wurden alle drei Berichte im Landtag verlesen.


Was die Mehrheit und die beiden Minderheiten zu sagen haben

Im Abschlussbericht des von Elena Artioli geleiteten Untersuchungsausschusses zum Europäischen Sozialfonds (ESF) wird auf eine anfängliche erfolgreiche Verwaltung der daraus verfügbaren Mittel vermerkt. Erst nach der Neubesetzung des ESF-Amtes und durch neue Verfahren sei diese ins Stocken geraten. In Folge wurden viele Beitragsgesuchte blockiert. Zu diesem Schluss kommt der Untersuchungsausschuss. In seinem Bericht lobt er die inzwischen von der Landesregierung gesetzten Schritte.

Der Minderheitenbericht von Hans Heiss, Pius Leitner und Paul Köllensperger spricht von einem “in vielen Jahren aufgebautem Desaster, in dem sich Systemfehler, strukturelle Mängel, Überforderung, persönliches Versagen und bewusste Täuschung zu einer unheilvollen Woge aufgetürmt haben”. Auch Heiss, Leitner und Köllensperger sehen die Verantwortung bei der früheren Landesregierung. Gleichzeitig üben sie Krtiik an Elena Artioli. Als Vorsitzende des ESF-Untersuchungsausschusses habe sie zunehmend als Vertreterin der Mehrheit agiert. Im Umgang mit den in der Sache angehörten Beamten sei sie darüber hinaus nicht objektiv genug gewesen.

Andreas Pöder, der einen eigenen Minderheitenbericht verfasst hatte, stellt darin eine zu lockere Handhabe des Fonds durch die frühere Landesregierung fest. Dadurch sei es zu einer Überprüfung durch die EU und schließlich zur Aussetzung der Förderung gekommen. Auch die Maßnahmen der neuen Landesregierung sind laut Pöder “zu gering”, um den Stapel der blockierten Förderungen abzuarbeiten.


Wo liegt die Verantwortung?

In der anschließenden Debatte unterstrich Pöder, dass seiner Meinung nach bei den Anhörungen klar geworden sei: Die Landesregierung habe die Schwindeleien einiger ESF-Projektträger bei den Abrechnungen toleriert. Dadurch seien dem Land beträchtliche Mittel entgangen. Einen Blick etwas weiter zurück in die Geschichte des ESF warf Hans Heiss: “Die Verantwortung für die Misere liegt weiter in der Zeit zurück”, so der Grüne Landtagsabgeordnete. Zwar hätten sich die Probleme erst in den Jahren 2010 und 2011 ergeben. Doch habe es über 25 Jahre lang eine sehr lockere Handhabung in der Ausschöpfung des Fonds gegeben. Dadurch sei auch der Einsatz der ESF-Mittel nicht immer zielführend gewesen. “Anstatt der Aus- und Weiterbildung hat man die Beschäftigung in gewissen Organisationen gefördert.” Derselben Meinung ist auch Pius Leitner. “Während die für den ESF zuständigen Mitglieder der Landesregierung nicht die sorgfältige Aufmerksamkeit gezeigt haben, ist es auffallend, dass bei den Förderungen immer wieder bestimmte Organisationen zum Zuge gekommen sind”, so der Freiheitliche Abgeordnete.

Der ESF-Untersuchungsausschuss (von links): Roberto Bizzo, Hans Heiss, Albert Wurzer, Andreas Pöder, Elena Artioli, Pius Leitner, Bernhard Zimmerhofer, Paul Köllensperger, Alessandro Urzì. Foto: Südtiroler Landtag

Dass dieses System “politisch gewollt” war, “um bestimmte Projektträger zu unterstützen”, davon ist Heiss überzeugt. Er sieht die Verantwortung weniger beim ehemaligen Leiter des EU-Büros Thomas Mathà und der früheren Direktorin des ESF-Amtes Judith Nothdurfter. Den beiden könne man vielleicht ein schlechtes Krisenmanagement vorwerfen, aber, so betont Heiss, es gebe viele erdrückende Belege für die Verantwortung von Ex-Landeshauptmann Luis Durnwalder und Barbara Repetto. Diese hatte das Amt des Europäischen Sozialfonds von 1986 bis 2008 geleitet. Und war gemeinsam mit Nothdurfter, Mathà und weiteren Personen vom ESF-Untersuchungsausschuss angehört worden.

Ganz anders sieht Elena Artioli die Sache. Sie übt scharfe Kritik an den beiden Minderheitenberichten und wirft den Verfassern “schlampige Arbeit” vor. Die Verantwortung für die hinfällig bekannten Probleme und Blockaden macht Artioli woanders aus. In den Anhörungen habe sich klar herausgestellt, dass die Probleme durch die Einführung neuer Regeln von der neuen Verwaltung entstanden seien. “Unter der Führung von Mathà und Nothdurfter sind viele Projekte direkt und ohne Absprache mit dem Rechtsamt an den Rechnungshof übermittelt worden, während man die Kontakte zu Rom und Brüssel vernachlässigt hat”, so Artioli. Zur unterschiedlichen Behandlung der angehörten Beamten, die ihr in den Minderheitenberichten vorgeworfen wird, erklärte sie: “Repetto hat umfassend und klar Auskunft gegeben, Mathà und Nothdurfter nicht.” Vor der Amtsübernahme von Judith Nothdurfter habe die Verwaltung jedenfalls funktioniert, danach nicht mehr. Und deshalb sei die EU auch strenger geworden.

“Es ist im Nachhinein schwer zu sagen, wer Schuld ist”, startet Albert Wurzer einen Beschwichtigungsversuch. Es sei nicht Aufgabe des Untersuchungsausschusses gewesen, die Schuldigen ausfindig zu machen, so der stellvertretende Ausschussvorsitzende. Er erinnert jedoch daran, dass die beanstandete Verwaltungspraxis bis 2010 von allen akzeptiert wurde. Erst als die EU 2011 die Regeln änderte, sei plötzlich auch das ESF-Projekt beanstandet worden. Bis dahin habe es italienweit als Vorzeigemodell gegolten.


Des Landeshauptmanns Schlusswort

“Für die heutige Situation gibt es viele Gründe und nicht nur einen Schuldigen”, so Landeshauptmann Arno Kompatscher zum Abschluss der Debatte. Für ihn stehen die bereits getroffenen Maßnahmen – die Neubesetzung der Amtsführung etwa – im Mittelpunkt. Mit dem neuen EU-Programm sei man zeitgerecht am Start, während die alten Projekte noch aufzuarbeiten seien. 500 von 600 Projekten seien inzwischen geprüft worden, einige seien mangelhaft, während die Beiträge für andere nun ausgezahlt werden könnten. Den größten Teil der Mängel stellten laut Kompatscher die Beauftragungen dar. Man versuche – in Absprache mit der EU-Kommission – auch jene Projekte zu retten, die wegen Formfehlern blockiert wurden, ansonsten aber vertretbar sind. Auch das bringe eine Verzögerung, sei aber im Sinne der Projektträger. Er habe sich auch bei den Banken um einen Aufschub bemüht, teilweise mit Erfolg. “Die Regeln der EU sind inzwischen noch komplizierter geworden, daher muss noch präziser gearbeitet werden”, mahnt der Landeshauptmann.

Unstimmigkeit darüber, wer für das Schlamassel verantwortlich ist. Einigkeit hingegen gibt es darüber, wie es weiter gehen soll. “Man muss jetzt in die Zukunft schauen und dafür sorgen, dass die Förderung durch den ESF wieder funktioniert”, sagt Elena Artioli. “Man muss die Voraussetzungen schaffen, damit der Fonds wieder zügig verwaltet werden kann”, Pius Leitner. “Wir wollen die nötigen Lehren aus der Geschichte ziehen, damit Südtirol wieder dort hin kommt, wo es hin gehört: vorne dran”, so das Plädoyer von Arno Kompatscher. Um die blockierten Gesuche abzuarbeiten, wird im Bericht des Untersuchungsausschusses, der von der Mehrheit des Auschusses – nach gewichtetem Stimmrecht – genehmigt wurde, eine Personalaufstockung für das ESF-Amt empfohlen. Damit habe man laut Kompatscher bislang noch gewartet, bis die Strategie klar sei. Man habe jetzt zwölf neue Stellen ausgeschrieben, da das Konzept nun vorliege. Gleichzeitig soll eine Zusammenarbeit mit den einschlägigen staatlichen Stellen, die Erfahrung im Umgang mit dem ESF haben, angestrebt werden.