Società | G.S. Excelsior

Jenseits von Vorurteilen

GS Excelsior ist die ungewöhnlichste Fußballmannschaft Südtirols. Salto-Reporter Andreas Inama hat eine Woche lang mittrainiert. Teil 1 seiner Reportage.
Mannschaft.jpg
Foto: La Strada|Der Weg

Das Team trifft sich auf einem der Trainingsplätze in der Reschenstraße in Bozen, auf der Anlage direkt neben der Stadthalle. Um 20:30 Uhr ist Trainingsbeginn, jedoch verlangt der ziemlich umfangreiche Regelkatalog das Erscheinen eine halbe Stunde früher. Massimo, Gründer, Spieler und erster Fan in Personalunion empfängt mich am Parkplatz und führt mich gemeinsam mit Trainer Pedro, den ich zuvor bei einer Zigarette kennengelernt habe, in die Kabine. Am Tisch direkt hinter der Tür sitzt breitbeinig ein ziemlich robuster Mann, das Kopfhaar hat ihn wohl schon einige Jahre davor verlassen, dafür ziert sein Kinn ein Bärtchen. „Ciao, sono Antonio, l'allenatore dei portieri”, stellt er sich mit seiner rauchigen, unmittelbare Sympathie vermittelnden Stimme vor. „Se stai cercando pazzia e mania, qua sei nel posto giusto”, fügt er mit einem spitzbübischen Lachen an.

Il concetto che noi portiamo avanti si basa sull'uguaglianza delle persone. Siamo in terza categoria, non siamo in un cortile dove organizziamo partite tra amici o in una parrocchia. Però all'interno di un campionato utilizziamo un sistema non convenzionale. Accogliamo le persone che hanno voglia di venire ponendo come limite solo quello numerico. 
Massimo Antonino, La Strada|Der Weg

Ich lasse meinen Blick von einer Seite der Kabine zur anderen schweifen, um einen ersten Eindruck meiner Mannschaftskameraden für die nächste Woche zu erhalten. Es sind noch nicht allzu viele da. Links gleich neben dem Bad sitzt ein junger Mann, asiatisch und, wie ich später erfahren werde, heißt er Khudadad und kommt aus Afghanistan. Gleich daneben ein Junge offensichtlich afrikanischer Abstammung mit einem grell gelb leuchtenden Torwartrikot, das im Kontrast mit seiner Hautfarbe fast schon blendet. Wie sich herausstellen wird, ist Alasana einer von zahlreichen gambischen Staatsbürgern in der Mannschaft und nicht der einzige aus jener Ecke unserer Welt mit einer Vorliebe für phosphoreszierende Farben. Rechts im Eck kauert etwas zurückgezogen ein blonder Junge, blauäugig, der auf dem ersten Blick etwas verunsichert und schüchtern wirkt. Vasile, er kam vor ein paar Jahren aus Moldawien hier her. Daneben mit überkreuzten Beinen ein anderer, Anfang 30, mit einer dicken Brille, der mich erst einmal von oben bis unten mustert. Ich mustere zurück.
Ich weiß es zwar noch nicht, aber es handelt sich dabei um eine lebende Legende des Vereins, Cappe; jedoch bezieht sich sein Status eigentlich nicht auf seine bisherige fußballerische Hinterlassenschaft, sondern anderem, was mehrere, äußerst lustige Anekdoten bestätigen werden. Nach circa zehn Sekunden bin ich mir schließlich meiner Unhöflichkeit bewusst, fahre den Starrmodus runter und stellte mich den Anwesenden vor.

Ich bin zufällig durch einen kurzen Artikel auf einem Südtiroler Online-Portal auf G.S. Excelsior aufmerksam geworden. Die Mannschaft hat das erste Mal nach vier Jahren wieder ein Spiel gewonnen. Ich habe schon einmal von diesem Team gehört, aber ihm nie besondere Beachtung geschenkt. Ein paar Google-Eingaben später hat mich so etwas wie Faszination gepackt. Die Mannschaftsfotos mit kunterbunt zusammengewürfelten, lächelnden Gesichtern und den darunter zugegeben etwas traurigen Statistiken wecken in mir die Frage: Wie kann man so eine Mannschaft zusammenhalten? In meinem Kopf geistern Bilder von sozialen Problemfällen und Einwanderern herum, die zusammen auf dem Grün wie aufgescheuchte Hühner hin und her laufen. Nicht auszudenken, welches Konfliktpotential in so einem Konglomerat entstehen könnte. Nun ja, ich will das selbst herausfinden, mit der Mannschaft trainieren und die Situation auf mich wirken lassen. Gesagt, getan – um zu erkennen, dass ein von Vorurteilen durchtränktes Bild wie meines diesem großartigen Projekt nicht einmal ansatzweise gerecht wird. Aber man lernt ja nie aus.

Nei ragazzi, che ci sono da più anni, io vedo in un certo senso che ogni anno aspettano di vedere come sarà il nuovo gruppo, per capire quale tipo di divertimento nuovo ci sarà durante la stagione.
Massimo Antonino, La Strada|Der Weg

"Excelsior è nata perché nel 2001 un gruppo di ragazzi che abitavano nel quartiere Don Bosco di età tra i 16 e 18 anni, che avevano allora tutti lo status da studente o apprendista, avevano questa grande passione per il calcio. Giocavano assieme nel cortile o alcuni di loro avevano già fatto esperienze in squadre e avevano il sogno, visto che erano un gruppo di amici, di fare una squadra insieme". sagt mir Massimo Antonino, von La Strada|Der Weg. Und weiter: "Erano andati a guardarsi delle partite di terza categoria e nel loro immaginario si immaginavano di essere all’altezza e di andare lì a vincere. Si sono rivolti a noi perché nel quartiere Don Bosco, in via Cagliari, l’associazione La Strada gestisce un centro giovanile. Nel loro tempo libero venivano da noi, dove lavoravamo il mio collega ed io. Abbiamo deciso con loro, ovviamente forzando un po’ la mano il nostro concetto: Facciamo come se fossimo dentro questo centro giovanile dove tutti possono entrare. Quindi abbiamo iniziato questa esperienza. Ed infatti, come nel centro giovanile, tutti possono entrare e giocare." 

Ich widme mich einige Minuten der „bandiera“ von Excelsior, Cappe. Er besticht besonders durch seine große Klappe und äußerst pointierte Konter gegen die gelegentlichen Späße seiner Mannschaftskameraden und der Trainer. Während das fußballerische Talent durchaus einige Lücken aufweist, sticht vor allem seine Konstanz im Trainingsbetrieb und seine Vorliebe für flotte Sprüche hervor. Cappe spielt seit 2008 im Team und ist somit der dienstälteste Spieler in den Reihen von Excelsior. Jeden Dienstag und Donnerstag fährt er bei jedem Wetter mit dem Motorrad von Leifers – wo er alleine in einer kleinen Wohnung lebt – nach Bozen, nur um Fußball zu spielen.
Man kommt nicht umhin, Cappes Wert als Persönlichkeit innerhalb des Teams zu erkennen. Er wird gemocht, meinem Eindruck nach wäre ein Abgang ein schmerzlicher Verlust. Des weiteren pflegen Pedro und Toni einen sehr brüderlichen Umgang mit ihrem Augapfel. Und müssen dementsprechend auch einiges seinerseits einstecken, was immer wieder Anekdoten wie die folgende hervorbringt.

Se io accolgo dei ragazzi con un tema di fragilità mentale è bello che siano dei numeri piccoli perché proprio allora loro stessi vivono un’atmosfera di normalità. Al di fuori sono abituati a vivere in un ambiente molto protetto. Da noi respirano una boccata di aria fresca, perché noi chiediamo loro di fare gli atleti come il più bravo ed il più scarso
Massimo Antonino, La Strada|Der Weg

„Viene preso in giro, ma in modo molto amichevole, come tutti. Anzi, se non lo facessimo, probabilmente ci chiederebbe, se tutto va bene. Poi grazie a lui si creano situazioni esilaranti dentro allo spogliatoio“, schildert Toni. Pedro unterstreicht das nochmals mit einer Episode:
„Il suo unico gol l'ha segnato su rigore. Stavamo perdendo 12 o 13 a zero e ci è stata concessa questa occasione. Cappe era già in posizione per partire, stava preparando la rincorsa.” Er stellt sich hin und beginnt künstlich zu hyperventilieren, als ob er gleich loslaufen und mit einem unsichtbaren Ball das Tor aus der Verankerung schießen wollte. “Purtroppo si era dimenticato di mettere la palla sul dischetto.“ Pedro tut sich schwer das Lachen zu unterdrücken. „Quando finalmente qualcuno gli aveva preparato la palla, è partito ed ha segnato. Ha iniziato ad esultare con le braccia aperte, gridando: 'Mister, Mister!' Sembrava che volesse venire da me, almeno i suoi movimenti lo implicavano. Quindi stavo sulla linea laterale, aspettandolo con le braccia aperte: 'Vai Cappe, grande!' Ma non si avvicinava. Era talmente preso dall'emozione, che continuava a correre sul posto. All'inizio non ho capito perché lo stesse facendo, poi ho lasciato perdere.“ Pedro winkt theatralisch ab und bricht wieder in Gelächter aus.

Sarebbe bello sapere perché uno coi piedi buoni che potrebbe giocare anche in un’altra categoria stia qua. Secondo me è l’alchimia, che ogni anno cambia. 
Massimo Antonino, La Strada|Der Weg

Mattia ist 26 Jahre alt und seit einem Jahr dabei. Er hat schon für größere Vereine in Bozen gespielt und scheint einen fußballerisch ansprechenden Eindruck zu machen. Bei anderen Mannschaften der 3. Amateurliga wäre er wohl zweifelsohne Stammspieler. Umso mehr wächst in mir die Neugier, wieso er für diese Mannschaft aufläuft.

Excelsior funktioniert nämlich nicht nach dem gewöhnlichen Leistungsprinzip. Jeder Spieler ist Stammspieler. Hält man sich an die Regeln und nimmt konstant an den Trainingseinheiten teil, kommt man regelmäßig auf seine Einsatzzeiten. Wie oft und wie lange jemand auf dem Platz steht, wird minutiös in einer Tabelle festgehalten, dem "Minutometro", sodass am Ende der Saison jeder mehr oder weniger gleich viele Minuten Spielzeit erhält. Was aber wiederum auch bedeutet, dass man sich oft mit einem Bankplatz anfreunden muss, obwohl man auf einem höheren Niveau agiert.

Was macht Mattia also in einer Mannschaft wie dieser? „Non mi piace il sistema del calcio“, erklärt er. „Qua ti puoi divertire, ma c'è anche una certa serietà. E non dimentichiamo gli addominali che ti fai solo con le risate“, fügte er anschließend mit einem breiten Grinsen hinzu. Aber stört es ihn denn nicht, den Stammplatz immer wieder abzugeben? „No, le regole sono queste. E mi piace. Come già detto: il sistema normale non fa per me. E anche la panchina può essere un bel passatempo se la condividi con certi elementi.“ Ich muss schmunzeln. Man kann es ja nicht abstreiten: Wenn die Welt ein Irrenhaus ist, dann ist die Bank jeder Amateur-Mannschaft dessen Zentrale. Und ohne dem Leistungsprinzip handelt es sich bei einem Bankplatz immerhin nicht um eine Degradierung, die das Selbstbild und heilige Ego eines Fußballers bis auf seine Grundfesten erschüttern kann.

Nach 20 Jahren, die ich selbst schon im Zirkus Fußball verbringe, habe ich noch einen so unerschütterlichen Teamgeist erleben dürfen. Das Gleichgewicht zwischen eigenem sportlichen Ehrgeiz und der vorherrschenden Empathie für den Mitspieler wirkte in seiner Unerschütterlichkeit wie eine Epiphanie: Fußball muss nicht nur ein dauerndes Kräftemessen sein, ein missgünstiger Konkurrenzkampf, eine „Art von Krieg“, wie es Johan Cruyff einmal beschrieben hat. Diese Mannschaft, dieses Projekt steht sinnbildlich dafür, was Fußball sein kann und sein muss: ein wunderbares Spiel voller Emotionen, gezeichnet von Hochs und Tiefs, das man in einem homogenen, harmonischen Mannschaftskörper zelebriert. Die Tatsache, dass diese grundlegende Herangehensweise von einem alternativen Projekt besser umgesetzt wird als von so manchem „konservativ“ geformten Team, gibt mir zu denken. Das Training und das Spiel am Wochenende offenbarte mir eine ganz neue Sichtweise an Sport und Wettbewerb.

Lesen Sie morgen: Teil 2 der Reportage