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Stararchitektur im Ausverkauf

Verkauft bitte nicht die Schaubachhütte. Sie ist Schauplatz internationaler Architektur. Warum wissen wir das bloß nicht? 
Schaubach1
Foto: Wikipedia

Piero Portaluppi, ein Mailänder Architekt, der mit seinem Schaffen in den Bergen der Lombardei und Südtirols schon viel Erfahrung gesammelt hatte, bekam 1925 den Auftrag eine der damals größten Berghütten Südtirols zu planen. Auf der kürzesten Strecke von Mailand nach Südtirol wurde auf 2573 Metern Höhe die Schaubachhütte (Rifugio Città di Milano) errichtet. Im selben Jahr der Inbetriebnahme der Berghütte verlieh ihm die Stadt Mailand den ersten Preis des nationalen Städtebauwettbewerbs der Stadt Mailand. 


Portaluppi wurde damals in der Baubranche als der «gebildete Architekt» bezeichnet, da er nach dem Diplom der Architektur des Polytechnikums in Mailand als Dozent tätig war. Trotz einer Vielzahl an Aufträgen war er selbst für über 10 Jahre Rektor an der Architekturfakultät des Polytechnikums in Mailand.


Zu seinen wichtigen Projekten zählt das 1925/1926 errichtete Pavillon für Alfa Romeo, Agip und Pirelli der Mailänder Messe. Ein weiteres wichtiges Projekt war das Planetarium Hoepli in Mailand, dessen Bauherr der Schweizer Verleger Ulrico Hoepli (1847–1935) war.


Das außergewöhnlichste Werk von Portaluppi war die Errichtung des Wagristoratore im Jahr 1930, eines Restaurants in einem Eisenbahnwagen auf dem San Giacomo Pass auf 2318 Metern Höhe. Auf einem Gipfel, in einer fast unmöglich zu erreichender Gegend, liess er auf Zementblöcken zwei Wagons installieren, die er dann mit einem kleinen Gebäude verband, das mit einem Walmdach versehen war. Im Inneren waren die Wagons mit rotem Samt und goldener Stuckatur ausgestattet. Das Bergrestaurant war ein phantasievolles Amalgam zwischen Orient Express, Belle Époque und der gewollten Aufführung einer mechanisierten Bergwelt. Ein Kontrast, der sich nicht nur in seinem architektonischen Schaffen herauskristallisiert, sondern auch in von ihm geschaffenen Malereien und Skulpturen. 


1929 erlangte Portaluppi weltweite Bekanntheit da er den italienischen Pavillon an der Internationalen Architekturausstellung in Barcelona gestaltete. Mit den Stars wie Ludwig Mies van der Rohe arbeitete er Seite an Seite. In diesem Sinne, traf sich im Mai 1929 bei der Eröffnungsfeier der Internationalen Architekturausstellung in Barcelona viel Prominenz aus ganz Europa. Der Ausstellungspavillon Deutschlands, bekannt als «Barcelona-Pavillon», ist eines von Ludwig Mies van der Rohe Hauptwerken.


Auf der Höhe der Goldenen Zwanziger, nach einem verlorenen Krieg und wirtschaftlicher Misere, sollte der Welt mit diesem Bauwerk ein neues Deutschland präsentiert werden: kulturell progressiv und modern. Mit diesem Pavillon hat sich Deutschland mit dem Medium der Architektur ein innovatives Selbstporträt geschaffen. Ausschließlich für zeremonielle und repräsentative Zwecke gebaut, fand im «Barcelona Pavillon» während der Eröffnungsfeierlichkeiten der Empfang für das spanische Königspaar statt.


Es hätte nicht anders sein können, Ludwig Mies van der Rohe der mit Zylinderhut durch die Festlichkeit stolzierte, hat hier die weiteren von allen Ländern auserwählten Stararchitekten empfangen und kennengelernt. Selbstverständlich war der bedeutende Mailänder Architekt Piero Portaluppi auch dabei. 


Es kann nicht ein Zufall sein, gerade hier in unserem schönen Südtirol schließt sich nun der Kreis wie auch damals 1929 bei der Architekturausstellung in Barcelona. In diesem Sinne, gilt es zu erwähnen, dass in Oberbozen (Ritten) Ludwig Mies van der Rohe tätig war (weitere Forschungen erfolgten Sommer 2019 in USA, von der Gemeinde Ritten unterstützt), im Gröden war selbst der weltberühmte Le Corbusier tätig (noch nicht erforschtes Material, Archiv in Paris), in der Stadt Bozen wirkte Gio Ponti mit innovativen Wohnbauprojekten (ebenfalls noch unbekanntes Material). Otto Wagner in Brixen und Wilhelm Sachs sind weitere namenhafte Architekten, die nicht weiter erforscht wurden.


Es ist soweit. Es liegt wirklich an der Zeit unsere alpine Baukultur und unsere Tradition zu erkennen, zu würdigen und aufzuwerten! Mit der Wichtigkeit unseres lokalen Bausektors braucht es dringend Expertise, um alpine Architekturgeschichte neu zu schreiben und so auch zu einem interessanten Hotspot für einen "neuen Tourismus" zu werden.


Wir haben die Universität Bozen, die Architekturstiftung Südtirol und die IDM Südtirol: aber es braucht Zusammenarbeit, ein Forschungsteam, Experten, die das Land unter die Lupe nehmen, neue Erkenntnisse und Wissen aufbereiten, um mehr über unsere gebaute Umwelt zu verstehen. Anstatt diese zu verkaufen! 
Es ist kurz vor 12.

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△rtim post Mon, 02/01/2021 - 18:29

Der Faschismus hat seine Ästhetik und Architektur. Dass diese Teil der staatlichen Gewalt- und Terrorherrschaft waren und historisch kritisch aufgearbeitet gehören, sollte in der Forschung und Lehre eigentlich selbstverständlich sein.
So wurden z.B. - siehe oben - unter dem italienischen Diktator Mussolini am Pass San Giacomo auf rund 2300 Metern über Meer zwei Eisenbahnwagen aufgestellt. Das war eine gezielte Provokation an der Grenze und führt zu energischen Gegenmassnahmen der Schweiz
https://www.nzz.ch/schweiz/diktator-mussolini-provozierte-mit-bahnwaggo…

Mon, 02/01/2021 - 18:29 Permalink