Culture | Salto Afternoon

Frauen im Land der Gegensätze

Die Ausstellung „Hure oder Heilige - Frau sein in Italien“ im Fotoforum Bozen zeigt uns, wie fern das Frauenbild in Italien von einer gleichberechtigten Gesellschaft ist.
Foto1
Foto: Franziska Gilli

Vergangene Woche wurde die Ausstellung Hure oder Heilige - Frau sein in Italien im Fotoforum Bozen eröffnet. Erstellt wurde sie von der Journalistin Barbara Bachmann und der Fotografin Franziska Gilli, die zu dem Thema bereits vor ein paar Monaten ein Buch mit dem gleichen Titel veröffentlicht haben. Ebendieser Titel spricht für sich: Die Gegensätze, die die Rolle der Frau in der italienischen Gesellschaft prägen, sind stark und provokativ. Die Stereotype der Heiligen und der Hure sind sehr präsent, aktuell und in unserem Denken verwurzelt. Schon lange werden sie von Feminist*innen angeprangert und dieser Kampf gegen Vorurteile, Rollenbilder und Ungerechtigkeit dauert an.


Das Bild auf dem Buchcover, das auch in die Ausstellung leitet, ohne deren Hauptbild zu sein, wirkt symbolisch: Es zeigt keine individuelle Frau, sondern eine Performancekünstlerin in Reifrock und mit Augenbinde, deren Hintergrund ein Protest gegen Gewalt an Frauen bildet.
Da die Autorinnen als Frauen in Italien selbst vieles erlebt und miterlebt hatten, wollten sie tiefer schürfen. Dabei stießen sie auf eine von Gegensätzen geprägte Gesellschaft.  Themen wie Frauenmorde und Gewalt bei Geburten betreffen viele Länder, aber das Frauenbild im Unterhaltungsfernsehen, die starke katholische Kirche mit der Nähe zum Vatikan und das Frauenideal des Faschismus sind sehr spezifisch italienisch. Sie haben aus Italien ein konservatives Land gemacht, in dem es Frauen noch heute schwer haben.


In ihrem Buch haben die beiden Autorinnen Gegensätze nicht nur im Titel angeführt, vielmehr führen sie durch das ganze Buch. Es ist in sieben Kapitel eingeteilt, benannt nach den Todsünden und deren Gegenbegriffen. So enthält das Kapitel „Neid & Lob“ Interviews mit Männern über ihr persönliches Frauenbild. Hier haben die Autorinnen besonders darauf geachtet, möglichst unterschiedliche Beispiele zu zeigen, um ein umfangreiches, breites Spektrum zu präsentieren. Die Männer wurden gezielt ausgesucht und ihre Portraitfotos werden ebenfalls im Fotoforum ausgestellt. Wenn man einen QR-Code scannt, kann man ihre Meinungen anhören.

 

Die Fotos, besonders wenn sie groß an der Wand hängen, vermitteln eine Botschaft. Ob es nun ein friedlicher Moment aus dem Leben der Nonnen im Kloster in Ascoli Piceno ist oder eine Anwärterin der Miss Italia-Wahl im engen Body vor der (ausschließlich männlichen) Jury, alle Bilder sind schön, optisch ansprechend. Denn Franziska Gilli weiß: Nur wenn die Bilder schön sind, schenken die Besucher ihnen Aufmerksamkeit und interessieren sich für die Botschaft dahinter Auch die verschiedenen Anordnungen und Aufhängungen geben ihr den nötigen künstlerischen Freiraum, um die Wirkung der Fotos zu steuern.


Die Ausstellung hat mich dazu angeregt, auch das Buch zu lesen, mehr über all diese Menschen zu erfahren. Denn es wurden nur einige Bilder und Texte aus dem Buch ausgewählt, die die Autorinnen zusammen mit Grafiker*innen zu einem Konzept ausgearbeitet haben. Die Wanderausstellung soll ein Forum für die Thematik werden. Geplant sind auch Führungen durch die Ausstellung und die Autorinnen wollen in den nächsten Monaten eine Lesereise durch Italien unternehmen, damit ihr Werk auch dort mehr Aufmerksamkeit findet. Tatsächlich ist es sicher leichter, das Buch und die Ausstellung als Außenstehender, als nicht-Italiener auf sich wirken zu lassen. Ist man hingegen direkt betroffen, liegt die Hemmschwelle viel höher, man möchte die Bilder und Texte nicht an sich heranlassen, will die Kritik nicht wahrhaben, die eigenen Schwachstellen nicht sehen.


Viele Fotos und Geschichten in der Ausstellung haben Verblüffung in mir ausgelöst. Sie entsprechen nicht dem, was ich erlebe, scheinen meine Wirklichkeit nicht widerzuspiegeln Sollte ich darum froh sein? Oder liegt das vielleicht daran, dass ich die Wahrheit, die mich umgibt, nicht sehe? Ist es hier vielleicht anders? Anders als im Süden? Liegt mein Eindruck etwa an meinem Alter? Wenn man sich genau ansieht, woher die Menschen stammen, deren Geschichten an den Wänden und von der Decke der Ausstellung hängen, merkt man, dass ihre Einstellungen nichts mit Geografie oder ihrem Alter zu tun haben. Es gibt kein Nord-Süd-Gefälle, keinen großen Unterschied zwischen Generationen was dieses Thema anbelangt. Vielmehr scheint das Frauenbild von der Umgebung, vom persönlichen Hintergrund abzuhängen. Und davon, wie sehr sich jemand mit Geschlechterrollen auseinandergesetzt hat.


Genau das wollen die Autorinnen bewirken: Sie wollen die Thematik unter die Menschen bringen, sie berühren, ihnen Neues zeigen und vor allem einen Raum für Diskussionen, Dialoge schaffen. Es ist wichtig, dass man sensibel mit dem Thema umgeht und ein Bewusstsein für Probleme und festgefahrene Rollenbilder, die man auch im eigenen Kopf antrifft, entwickelt. Die Autorinnen haben bei dieser Arbeit viel über sich selbst gelernt, sind sich auch ihrer eigenen Rollenbilder bewusst geworden.

 

Sieht man die rote Wand, auf der Femizide aus ganz Italien aufgelistet sind, kann man fast körperlich spüren, wie falsch die momentane Situation ist. In punkto Gleichberechtigung gibt es noch sehr viel zu tun. Doch Veränderung ist ein sehr langsamer Prozess, der schon lange im Gange ist. Die Rollenbilder haben sich in unseren Köpfen festgesetzt, sie lösen sich nicht von selbst in Wohlgefallen auf. Wer etwas bewirken will, muss bei sich selbst anfangen, aktiv und selbstkritisch nach Mustern im eigenen Denken suchen und diese verändern, anpassen an das gleichberechtigte Frauenbild, das unsere moderne Gesellschaft braucht.