Chronicle | Aus dem Blog von Gerhard Mumelter

Parteienhader lähmt Regierung Letta

Die mit viel Schwung und neuen Gesichtern gestartete Regierung scheint im Schlick des üblichen Parteiengezänks festgefahren. Schon dreht sich das übliche Postenkarusell.

Statt um 20 Uhr begann die erste Kabinettsitzung am Donnerstagabend erst kurz vor 22 Uhr. So lange dauerte das zähe Gefeilsche um die endgültige Liste der Vizeminister und Staatssekretäre - ein Musterbeispiel der Anwendung des aus der alten DC bekannten manuale Cencelli. Die Zahl der Posten wurde im Vergleich zur Regierung Monti um elf erhöht. Über die 28 Vorsitzenden der Parlamentsausschüsse wurde noch keine Einigung erzielt. Indesen hat bereits das Rennen um die 75 Posten in der Kommission für die Verfassungsreform begonnen. Der Auftakt wirft kein günstiges Licht auf die neue Regierung, die durch Parteienhader gelähmt wirkt. Berlusconi besteht auf der Abschaffung der IMU und auf Rückerstattung der im Vorjahr bezahlten Beträge - ein finanziell nicht machbares Unternehmen. Die OECD fordert Italien auf, zunächst die Steuern auf Arbeit zu reduzieren. Lange Verhandlungen bahnen sich an. Erzielt die Regierung nicht rasch konkrete Ergebnisse, droht ein Popularitätsverlust und eine Verschärfung des aggressiven Klimas, das sich bei vielen Kundgebungen zum 1. Mai offenbarte, wo Demonstranten den Schützen vom Chigi-Palast hochleben ließen und Ausschreitungen provozierten. Daß der Tonfall immer rauer wird, beweist auch der als Vordenker der Fünfsterne-Bewegung geltende Genueser Universitätsprofessor Paolo Becchi, der mit dem "Einsatz von Gewehren" in der Politik drohte. Die Bewegung distanzierte sich von Becchi, der seine häufig schrulligen Thesen bisher ungestraft auf Grillos Blog publizieren durfte. Die rassistischen Ausfälle gegen Integrationsministerin Cécile Kyenge, mit der sich die jüdische Gemeinde solidarisierte, sind ebenso bedenklich wie die wüsten Drohungen gegen Kammerpräsidentin Laura Boldrini.

Wie konnte es soweit kommen?

Derweil zerbrechen sich mehrere Millionen Wähler des Partito Democratico noch immer den Kopf über die jüngste Entwicklung. Wie konnte es dazu kommen, daß sich ausgerechnet ihre Partei in einer Koalition mit ihren Erzfeind befindet? Ergebnis einer auf allen Ebenen gescheiterten politischen Strategie, die konsequent bis zum bitteren Ende durchgezogen wurde - zur Kandidatur von Marini und Prodi. Ob die Partei ihre schwere Krise ohne Spaltung überlebt, ist fraglich. Auch Beppe Grillo hat keinesweg erfolgreiche Wochen hinter sich. Vom gescheiterten Marsch auf Rom über die Wahlniederlage im Friaul und bis zur Beendigung des "Modells Sizilien" und zum Ausschluß des Senators Marino Mastrangeli wegen Beteiligung an einer Talkshow hatte die Fünfsterne-Bewegung einige Rückchläge zu verkraften. So bleibt Silvio Berluconi der einzige, der mit sich und der Welt vollauf zufrieden sein kann. Nicht unbedingt ein positives Zeichen.