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I Want to Be a Volcano

Sissa Michelis “Ballad of Interacting Objects” kreiert eine neue Dimension, in der sich Objekte von ihren Zuschreibungen lösen.
Hut
Foto: Foto: Salto.bz

Im Wiener Palais Wilczek stellt die Südtiroler Künstlerin Sissa Micheli im Rahmen von Sotheby’s Artist Quarterly The Ballad of Interacting Objects aus. Mit dabei sind ein Hut, eine Schnecke und eine Kaffeemaschine. Oder etwa doch nicht?

Der ausgestellte Schuh scheint auf den ersten Blick auch wirklich ein Schuh zu sein. Was ihn von einem herkömmlichen Schuh unterscheidet, ist der Propeller, der sich über ihn im Kreis dreht. Wenn er wollte, könnte er vielleicht sogar fliegen.

Die ausgestellten Objekte bergen eine Zweideutigkeit in sich: Einerseits lösen sie ein vermeintliches Wiedererkennen realer Dinge und Bilder im Betrachter hervor, andererseits entfernen sie sich von ihrer Daseinsdefinition. Ist ein Schuh, der fliegen kann denn immer noch ein Schuh?

Was hat es mit diesem dysfunktionalen Moment auf sich?

Micheli: Das dysfunktionale Moment ist das direkte Ergebnis der Metamorphose. Die Objekte wollen aus ihrer Rolle ausbrechen und sich eine Sehnsucht erfüllen, schaffen es aber nur bedingt. Es handelt sich natürlich um eine Metapher: um die Sehnsucht des Menschen, aus den gesellschaftlichen Konventionen auszubrechen, was ihm aber nur teilweise möglich ist und ein Scheitern in sich birgt. Eine Gesellschaft braucht Struktur und Ordnung. Wir sind alle auf eine Identität angewiesen und in einer Welt der digitalisierten Überwachung und Sammlung an Informationen wird es für uns immer schwieriger werden, aus unserer Identität auszubrechen und unberechenbar zu handeln. Der rauchende Hut, der ein Vulkan sein möchte, versinnbildlicht die Idee des Ausbruchs aus der eigenen Rolle am besten.

In den Titeln der Werke eignen sich die Objekte eine eigene Stimme an und entscheiden selbst über ihr Dasein: I Want to Be Helicopter, der Propeller-Schuh; I Want to Be a Vulcano der rauchende Hut; I Want to Be a Royal Peacock, die Mokkamaschine, die sich mit einem spanischen Fächer schmückt, der tatsächlich an ein Pfauenkleid erinnert. Die Objekte werden als spezifische Dinge wahrgenommen, weichen jedoch gleichzeitig von jenen Elementen ab, die sie als solche definieren.

Ist "Want to Be" das neue Sein? Ein ironischer Seitenhieb gegen die Verwandlungskünstler unserer Zeit, oder doch eine Einladung in surrealistische Traumwelten?

Micheli: Die aus dem Kamin kommende und in eine Pfeife mündende Rauchwolke stellt eine ortsspezifische Arbeit dar, ebenso der Vulkanausbruch aus dem Hut am Karlsplatz. Beides sind humorvolle Zitate Magrittes, der „die Malerei“ benutzte, „um das Denken sichtbar zu machen“. Der Begriff Traumwelt wäre hier unpassend. Es handelt sich vielmehr um die Darstellung eines revolutionären Moments, eines „sich nicht an das System anpassen wollen“. Es geht um die Möglichkeit der Veränderung. Zu Magrittes Zeiten sprach man von Surrealismus, heute von Virtual Reality. Meine Absicht ist es, eine Dimension aufzuzeigen, die wir nicht sehen.

Eine wahrlich eigenartige Dimension öffnet der rauchende Hut am Karlsplatz, der die Ausstellung im Palais Wilczek ergänzt. Vorbeispazierende werfen verwunderte Blicke in den Glas-Showroom. Die veränderte Struktur verwirrt: unbeweglicher, erstarrter Rauch, eine schwerwirkende Masse, die nach oben gedrückt wird. Wo man Bewegung erwartet – herrscht Starre. Umgekehrt ist es bei der zentral im Ausstellungsraum hängenden Arbeit. Es handelt sich um ein Buch, das ein eigentlich ein UFO sein möchte und sich so schnell um die eigene Achse dreht, dass es unlesbar wird. Die Umdrehung ist kontinuierlich, fast so als wäre das Buch der Initiator des kinetischen Gesamten, der Motor der Ballad of Interacting Objects.

Wie spielt diese Dynamik mit der Metamorphose der Objekte zusammen?

Micheli: Bewegung und Zeit sind wichtige Faktoren in meiner Arbeit. Ohne Metamorphose gibt es keine Zeit. Die Erfahrung der Zeit hat mit der Veränderung zu tun. Wenn sich nichts verändern würde, hätten wir keine Zeit. Und das ist die Bewegung. Was sich bewegt, will ich festhalten, was sich nicht bewegt, will ich in Bewegung bringen: Der Schuh und der Hut werden zu kinetischen Objekten; der Rauch verfestigt sich zu einer statischen Skulptur. Der Moment des Festhaltens ist auf das Medium der Fotografie zurückzuführen. Aus diesem Zusammenspiel ergibt sich eine gewisse Ironie.

Es ist genau diese Ironie, die beim Betrachten der Werke die Fantasie anregt. Fast so als würden ihr Dasein, aber auch ihr Zusammenwirken, eine Geschichte erzählen…

Micheli: Wie es Deleuze gut beschreibt, hat jedes Objekt gewisse Konnotationen und Assoziationen. Einen Erzählstrang gibt es jedoch nicht. Wie der Titel der Ausstellung verrät, handelt es sich eher um eine Ballade, um ein lyrisches Moment.

Und doch scheint jedes Objekt eine mehr oder weniger verborgene Symbolik zu enthalten…

Micheli: Ja, die Objekte haben jenseits der offensichtlichen auch eine verborgene Symbolik, die in der Kunstgeschichte vorzufinden ist. Der Pelz kommt in Gemälden von Peter Paul Rubens vor, der Pinsel bei Jan Vermeer usw... Wie bereits erwähnt, greifen Hut und Pfeife den Gedanken René Magrittes auf. Ich beziehe mich unter anderem auf das berühmte Bild „La trahison des images“ (Der Verrat der Bilder) mit dem Schriftzug „Ceci n’est pas une pipe“ (Dies ist keine Pfeife), aber auch auf andere seiner Bilder. Im Zentrum steht die Beziehung zwischen dem Objekt, seiner Bezeichnung und seiner Repräsentation. Man könnte sagen, die Ausstellung ist eine Synthese meines Studiums der Linguistik, Literatur und Fotografie.