Culture | salto weekend

Niemandsland & Schleierkante

Filmpremiere in Bozen mit Reinhold Messners zwei neuen Filmen, bei der es um die Marmolada-Südwand-Erstbesteigung im Jahr 1901 geht und allgemein um das freie Klettern.
Filmaufnahmen
Foto: Benjamin Fitscher

Reinhold Messner ist ein geborener Erzähler. Das sieht man in seiner offenen Art Menschen zu begehen und man spürt es in seinen Büchern, in denen er seine Berggeschichten und anderes so schreibt, als würde er vor einem sitzen und zu uns sprechen. Auf diese Art und Weise macht er auch seine Filme, wobei er sämtliche Regeln und ungeschriebene Gesetze der Filmschreibung außer Acht lässt und sie zu seinen Gunsten zurechtbiegt. Das kann vielleicht ab und zu störend wirken, doch wenn wir davon ablassen, den Film als solchen einem bestimmten Trend zuzuschreiben, dann können wir uns ganz auf die wunderbaren Bilder einstimmen und sie als „die“ dahintersteckenden Naturwunder wahrnehmen.

Diese Überlegungen kommen mir in den Sinn, wenn ich über die beiden Filme Niemandsland und Schleierkante nachdenke, die am 2. Dezember im Filmclub ihre Premiere hatten. Das „Niemandsland“ des Titels ist die Bergwelt, jene Berge, die gleich zu Beginn von Peter Mitterrutzner (einmal mehr wertvoller Darsteller seines Daseins) als das beschrieben werden, was sie sind: Niemandsland zu Friedenszeiten, aber strittiges Gelände zu Kriegszeiten bis hin zum Inferno, wo der Mensch zur Bestie werden kann. Aufgrund von Nationalismus und Gier. Messner will genau diese Tatsache in seinem 69-minütigen Film unterstreichen und ausmalen, wobei er eine Art Rotationsform wählt, d.h. er beginnt und endet mit derselben Szene, in der Mitterrutzner alias Michele Bettega, dessen Geschichte hautnah an der Leinwand vorbeischwirrt, wie der Don Quichotte von Markus Vallazza in seiner Federzeichnung gelassen am Ende seines Lebens an einer Wand lehnt, ohne Waffen, ohne Schutzschild, einzig und allein er, der hier in die Ferne und auf „seine“ Berge schaut, das Einzige was ihm geblieben war, nach Verratsbeschuldigung und Entzug seines Hab und Guts aufgrund der Beschuldigungen seines ehemaligen Kletterkameraden, Bortolo Zagonel. Was war passiert in der Zwischenzeit? Messner erzählt mit wuchtigen Luftaufnahmen die Marmolada-Südwandbesteigung, die anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts dank einer beflissenen und bewusst handelnden Engländerin erstmals gelungen war. Sie nannte sich Beatrice Tomasson und war öfters in die Gegend zwischen „Tirol und Italia“ gekommen, wie sie in einem Brief geschrieben hatte, um in den Dolomiten ihre Kletterkünste zu erproben.

Es wurde der 1. Juli 1901 geschrieben, als das Trio (Michele Bettega als erster Führer, Beatrice Tomasson als Gast in der Mitte, und Bortolo Zagonel als zweiter Führer hintenan) in einem zwöfstündigen Aufstieg bei durchaus kontroversen Wetterbedingungen (Gewitter, Schneesturm und Steinschlag) den Gipfel erklommen hatten, über eine Route, die noch heute als eine der schwierigsten im vierten Schwierigkeitsgrad gilt. Messner erklärt uns dann im zweiten Film, Schleierkante, dass damals natürlich diese Grade anders gewertet wurden als heute. Ein sechster Grad letzterer Route, die während den 47 Minuten des Films vom Seil-Duo Titus Prinoth und Simon Messner erstiegen wird, ist längst nicht mehr das, was es damals war. Obwohl gesagt werden muss, und hier soll der Verdienst des Erzählers Reinhold Messner genannt sein, dass es ein ganz anderes Verhältnis zum Berg gegeben hatte und unter total anderen Voraussetzungen geklettert wurde. Angefangen bei den Schuhen, die uns im Original gezeigt werden und die von den Füßen des damaligen Erstbesteigers Gunter Anders getragen wurden. Heute sind wir schon bei Schwierigkeitsgrad 14 oder gar 15 angelangt, jedoch – so wird im Film gesagt – die Schleierkante ist immer noch ein begehrter Gipfel, denn er war und ist einer der als „sicher“ zu erreichen gilt.

 

Abstürzen kann man trotzdem. Denn Vorsicht ist geboten, bei aller Absicht seinen Traum zu verwirklichen. Und alles was darüber liegt und nur mehr durch die „Nachsicht“ von anderen betrachtet und überdacht werden kann, also über dem menschlich Machbaren steht, unterstreicht Messner in seinen für einen Dokumentarfilm typisch eingesprochenen Einstellungen, ist Selbstmord. Auch hier spricht er sich – wie schon mehrmals und anderweitig - gegen den Hochgebirgsmassentourismus aus und gegen das übliche Machtgehabe, allein um auf einer Spitze gewesen zu sein. Denn, so der Untertitel von Niemandsland, „Der Weg ist das Ziel“. Seine Nahaufnahmen der Felswände lassen die Zuschauer „in“ die Wand reinschauen und -fühlen, wobei jene seltenen Momente, in denen die allerdings sehr lästige und durchaus ungeeignete Musiktapete stumm ist und nur das Sirren des Seiles und das Klirren der Haken zu hören ist, sind pure Magie.

Messner will Pioniergeschichten festhalten, um die einst als Korallenriffe emporgehobenen wunderbaren und alles in allem verschiedensten Steingebilde der Dolomiten mit der menschlichen Dimension zu verbinden, sie nicht allein als wunderbare Naturelemente darzustellen, was sehr leicht und einfach ist, sondern Emotionen und Leidenschaft, die jeden Bergsteiger kennzeichnen, damit zu verbinden.

Ein weiteres Element ist ihm in Niemandsland gelungen: er schließt eine Lücke der Bergsteigergeschichte, die er ja schon in seinem Buch On Top – Frauen ganz oben erzählt, aber in einem Film bislang noch nie oder selten dargestellt wurde. Die Frau am Berg. Zu Beginn nur als „Ruin des Alpinismus“ im Jahr 1911 von Paul Preuß, dem damaligen Philosophen unter den Freikletterern bewitzelt, ist gerade diese Story um Miss Tomasson zeichensetzend, denn sie war es die sich die Führer ausgesucht hatte und teilweise sogar die Routen in den Kanten und Rinnen der Felswände herausgelesen hatte. Messner filmt sie in voller Wertschätzung in Begleitung der beiden Männer. Die nachgestellten Bilder des Aufstiegs sind beeindruckend und selbst wenn das Objektiv zu nah ran fährt und das Gesicht der Double-frau erkennbar wird, verzeihen wir ihm das, denn er läßt Geschichte aufleben. Klar, wenn es dann um die Südfront des Ersten Weltkriegs geht, wo sogar kurz Kriegsszenen nachgestellt wurden, hapert das Filmische enorm. Wir können es trotzdem annehmen, denn er „schreibt“ mit seiner Filmkamera. Da ist es letzendlich nicht so wichtig, ob es nun wirklichkeitsgetreu ist oder nicht, denn wie einst in den 1960er Jahren Alexandre Astruc der sogenannten „nouvelle vague“ in Frankreich, benutzt Reinhold Messner die Filmsprache, um seine Sicht auf die Berge und das Bergsteigen dem Publikum nahezubringen. Und das gelingt ihm auf alle Fälle.