Society | Macht der Medien

CNN-Effekt 2.0

Wenn die Selbstdarstellung ein politisches Kleid bekommt und der Social Media-Zirkus Entscheidungsträger*innen in die Manege lockt, ist der CNN-Effekt bei 2.0 angelangt.
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Foto: (c) pixabay

Öffnet man diese Tage die Social Media-Accounts erbietet sich einem ein Meer aus blau-gelben Flaggen und Solidaritätsbekundungen. Menschen nehmen Anteil, beziehen Stellung und machen ihre Position klar. Die einen für den Frieden, die anderen gegen Putin. Was dahinter steckt ist der Hang sich zu exponieren und öffentlich Position zu bekennen. Wozu es führt, ist eine erweiterte Form des „CNN-Effekt“. Auch wer noch nie davon gehört hat, trägt ihn mit und verstärkt ihn. Aber wie funktioniert das genau?

Der Begriff steht für die „Macht der Medien“ und geht ursprünglich auf die Macht des Fernsehsenders CNN zurück. Dieser schaffte es mit seiner Berichterstattung Themen zu definieren, die nicht mehr nur von punktuellem Interesse waren, sondern infolge der andauernden Berichterstattung die allgemeine öffentliche Aufmerksamkeit genossen. Der CNN-Effekt zeichnete sich auch beim Krieg in Bosnien in den 90er Jahren ab. Dabei stellte man fest, dass die allgemeine Berichterstattung in den Medien Auswirkungen auf die politischen Entscheidungen hatte, die getroffen wurden. 

 

Es ist unbestreitbar, dass Politiker*innen dazu tendieren, vermehrt darauf zu reagieren, wenn ein globales Event oder eine Katastrophe über Fernsehen und andere Medien weit verbreitet wird. Dadurch ergibt sich eine Bühne, auf der sie sich präsentieren können. Wenn die mediale Aufmerksamkeit groß und der gesellschaftliche Schrei laut genug sind, kann das zu konkreten Handlungen von Seiten der politischen Entscheidungsträger*innen führen. Wo kritische Stimmen nun womöglich sagen „Nicht immer“, beweist die Geschichte „aber immer öfter“. Es hat sich gezeigt, dass Mainstream-Medien und Events sowie Manifestationen globaler Größenordnung tatsächlich einen Effekt darauf haben, wie Politiker*innen agieren. Social Media wurde in seiner Funktion als öffentliche Meinungsbildungsplattform in den letzten Jahren ein immer stärkerer Hebel neben den klassischen Medien. Damit hat jede*r heutzutage die Möglichkeit im Kleinen etwas anzustoßen und politische Entscheidungsträger*innen in eine gewünschte Richtung zu lenken. Das bedeutet nicht, dass jede*r sich in einen Aktivisten verwandeln und auf jede Krise in seiner Social Media Präsenz aufmerksam machen muss. Aber es ist für die bzw. den ein oder andere*n eine interessante Erkenntnis, dass jeder kleine (Social Media)-Beitrag Wellen schlägt und man das Medium für mehr als reine Selbstdarstellung nutzen kann.

Neben Einzelpersonen machen sich derzeit auch viele Unternehmer*innen aktiv Gedanken über ihre Kommunikation nach außen. In Kriegszeiten nicht pietätlos zu wirken und gleichzeitig sein Geschäft weiterzuführen, ist ein schwieriger Spagat. Die Marketing-Expertin Christiane Warasin aus Eppan rät Betrieben zu einem sensiblen Umgang in der Kommunikation: „Es stellt sich die Frage: Soll ich überhaupt nicht kommunizieren oder posten, weil in der Welt so viel Trauriges passiert? In Zeiten wie diesen sind die Inhalte und vor allem die Wortwahl entscheidend. Vor allem sollte man in den eigenen Unternehmensthemen authentisch bleiben und sich darauf konzentrieren. Wir können nicht in Schockstarre gehen, denn es passiert immer etwas in der Welt. “ Insofern ein politisch diskutiertes Thema nicht konkret mit der Mission des Unternehmens einhergeht bzw. darin verankert ist, könne bzw. solle man von einer Stellungnahme dazu absehen, so die Expertin.

Es ist zwar ein Fakt, dass immer irgendwo auf dem Erdballen gerade kriegerische Auseinandersetzungen stattfinden. Sie bekommen jedoch in den westlichen Medien aufgrund der geografischen Entfernung oder – traurig aber wahr – der für uns geringen wirtschaftlichen Relevanz kaum Aufmerksamkeit.

Bisher verzichten die meisten Unternehmen darauf sich politisch zu positionieren. Auf jede Aktion folgt eine Reaktion, weshalb man sich in derlei Themen gerne bedeckt hält, insofern die politische Äußerung nicht das eigene Markenimage unterstreicht oder gar fördert. Der Gegenwind kann heftig ausfallen und die Interaktion in Sozialen Medien bedarf viel Community-Arbeit, damit Diskussionen nicht ausarten. Ein Beispiel für eine positive Nutzung ist die United-in-diversity-Kampagne von Benetton im Jahr 2019. „Er ist Luciano Benetton, 84, Italiener, sie ist Ayak Mading,18, Sudanesin. Sie tragen das gleiche Kleidungsstück von United Colors of Benetton. Sie sind sehr unterschiedlich in Bezug auf Geschlecht, Alter und Hautfarbe, aber sie tragen das gleiche Lächeln wie diejenigen, die in die Zukunft blicken. Die extreme Vielfalt in der Gleichheit der Schönheit.“, titelte das dazugehörige Werbeplakat. Es passt zur Corporate Mission von United Colors of Benetton, soziale Anliegen zu unterstützen und wirkungsvolle Werbekampagnen zu schalten, um Menschen zu mobilisieren.

 

Silvia DellaGiacoma, Designerin und Inhaberin des Modelabels Internodiciotto aus Eppan, beschäftigten die Ereignisse in der Ukraine, wie sie vergangene Woche auf Instagram gegenüber ihrer Community mitteilte. Es war ihr ein Anliegen sensibel auf die akute Situation zu reagieren. Sie hatte sich situationsbedingt einige Tage mit der Promotion ihrer Marke auf den Sozialen Medien zurückgehalten und sich anschließend folgendermaßen zu Wort gemeldet: „In diesen Tagen war mir aufgrund der Geschehnisse nicht danach zu posten, aber auch wenn wir alle derzeit nicht in dem Mood sind und uns die aktuelle Situation belastet, unser aller Leben und die Arbeit gehen weiter und müssen weiter gehen.“ Damit spricht sie wahrscheinlich vielen Menschen aus der Seele.

Der CNN-Effekt schlägt seine Wellen und hat Politiker*innen weltweit auf den Plan gerufen. Dem ein oder der anderen ist jedoch gewiss gutgetan, wenn neben Informationen über das weltpolitische Geschehen auch ein bisschen Normalität und Unbekümmertheit unseren Alltag streift. Auch wenn es nur der Ablenkung dient. Denn während allerorts die Sorgen überschwappen und in den Nachrichten Graunuancen vorherrschen, nämlich Bilder von Schutt und Asche in Kiew, kann man jeder Bemühung, etwas Farbe und Positivität in unser Leben zurückzubringen, etwas Positives abgewinnen.