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Am Brenner unter Zwang

Außenminister Kurz und LH Platter werben in Bozen für Verständnis: Österreich sei mit Flüchtlingen „massiv überlastet“ und handle aus Notwehr.

Bei seinem Besuch in Bozen streute Außenminister Sebastian Kurz vor der Presse zunächst einmal der Freundschaft zwischen Österreich und Südtirol reichlich Blumen. Dann ging er zur Tagesordnung über: Wenn es am Brenner tatsächlich zur Schließung der Grenze komme, dann geschehe dies aus reiner Notwehr. Im vergangenen Jahr habe Österreich 90.000 Flüchtlinge aufgenommen, und das dürfe sich 2016 auf keinen Fall wiederholen. Was das Anlaufen des österreichischen Grenzmanagements am Brenner angeht, so wollte sich Kurz auf kein Datum und auch nicht auf Details zur Umsetzung festnageln lassen: „Dass die Grenzkontrollen am 1. Juni anlaufen (wie u. a. von der Tiroler Tageszeitung angekündigt, Anm. d. Red.), kann ich nicht bestätigen. Alles hängt davon ab, wie sich die Situation entwickelt.“

Von links: Ugo Rossi, Sebastian Kurz, Arno Kompatscher, Günther Platter

Unter Freunden

Die Landeshauptleute der Europaregion Tirol waren heute (7. März) wieder einmal in gemeinsamer Mission unterwegs. In Bozen trafen Arno Kompatscher, Ugo Rossi und Günther Platter mit dem österreichischen Außenminister zusammen. Dabei ging es zum einen um die Schutzfunktion Österreichs bei der Überarbeitung des Autonomiestatuts im Zuge der italienischen Verfassungsreform, zum anderen aber um ein hochaktuelles Thema, das besonders Südtirol interessiert: die für April angekündigten Grenzkontrollen am Brenner. Jedes Mal, wenn er nach Südtirol komme, sei es für ihn „ein erhebendes Gefühl, unter Freunden zu sein“, erklärte Kurz bei der anschließenden Pressekonferenz und bekundete seine Freude am Ausbau der Autonomie. Heute sei er aber auch hier, weil er „um Verständnis für Österreich werben“ wolle, so der 30-jährige ÖVP-Politiker. In der Flüchtlingsfrage wolle man eine Position finden, die „Österreich entlastet und Südtirol nicht belastet“.

Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz

Chaos am Brenner

Die Argumente, die Kurz und der Tiroler Landeshauptmann Platter dann vortrugen, sind nicht neu: Wenn die EU nicht imstande ist, ihre Außengrenzen zu sichern, dann muss sich Österreich eben in Eigenregie vor einem nicht mehr zu bewältigenden Flüchtlingsstrom schützen. Österreich ist nämlich schon lange kein Durchgangsland mehr, sondern mittlerweile ein Zielland des Flüchtlingsstroms. Und: Italien „muss endlich seine Hausaufgaben machen“. „Wir müssen alles tun, um die Flüchtlingsfrage an den EU-Außengrenzen zu lösen“, erklärte der österreichische Außenminister. Dank dem Abkommen mit der Türkei sei der Flüchtlingsstrom auf der Balkanroute so gut wie versiegt, und nun stehe Europa ein Anwachsen des Zustroms übers Mittelmeer ins Haus. Deshalb sei es wichtig, dass Rom wie versprochen Hotspots einrichte und für die Registrierung der Flüchtlinge sorge, bevor diese Südtirol und damit den Brenner erreichen. „Solange die Rettung aus dem Mittelmeer mit einem Ticket nach Europa verbunden ist, werden sich immer mehr Menschen auf immer wackligeren Booten auf die Reise machen. Das Durchwinken muss ein Ende haben“, sagte Kurz und zitierte damit einen Lieblingsslogan seiner Regierungskollegin Johanna Mikl-Leitner, die morgen in Rom ebenfalls zum Thema Flüchtlinge mit Innenminister Angelino Alfano zusammentreffen wird. „Wenn Italien die Flüchtlinge weiterhin durchwinkt, dann wird es am Brenner ein Chaos geben, dann sind wir gezwungen, das zu tun, was ein Tiroler Landeshauptmann nie begrüßen wird: die Grenze zwischen Süd- und Nordtirol zu schließen“, sagte Günther Platter.

Schlüsselland Libyen

Langfristig, so Außenminister Kurz, sei nach dem Vorbild des Türkei-Deals auch eine Übereinkunft mit Libyen anzustreben, damit der Flüchtlingsstrom auf der Mittelmeerroute nicht anwächst. Libyen sei nach der Schließung der Balkanroute das Tor nach Europa, mit Libyen sei nun zu „kooperieren, damit die Menschen gar nicht erst starten“. Dass Österreich mit dieser Haltung de facto den Flüchtlingen sozusagen die Tür vor der Nase zuschlägt, hinderte Kurz nicht daran, fast im selben Atemzug Mitgefühl mit all jenen zu bekunden, die Elend und Krieg hinter sich lassen wollen: „Dass illegale Migranten auf der Suche nach einem besseren Leben nach Europa drängen, ist für mich menschlich absolut nachvollziehbar.“ Er sei kürzlich in Äthiopien gewesen, einem Land, das mit extremer Armut konfrontiert sei. „Die jungen Leute dort wollen auswandern, nach Deutschland oder Österreich. Wer noch dort ausharrt, der hat nur noch nicht das Geld beisammen, um einen Schlepper zu bezahlen.“

Der Trentiner Landeshauptmann Ugo Rossi

Keine rein italienische Angelegenheit

Für Italien sprang der Trentiner Landeshauptmann Ugo Rossi in die Bresche. Es gebe „objektive Gründe“ dafür, dass Österreich nun an eine Schließung der Grenzen denke, räumte er ein. Andererseits dürfe man nicht vergessen, dass Italien mit dem Problem Bootsflüchtlinge größtenteils alleine fertig werden müsse. „Italien hat große Anstrengungen vollbracht, um Menschen aus dem Mittelmeer zu retten“, erklärte Rossi. Der EU müsse klar sein, dass die Libyen-Frage nicht „allein eine italienische Angelegenheit“ sei.

Gesucht: Mitsprache

Dass Österreich in der Flüchtlingsfrage „Enormes geleistet“ habe, bescheinigte Arno Kompatscher dem hohen Besuch aus Wien. „Wir haben Verständnis dafür, dass das nicht so weiter gehen kann“, sagte der Landeshauptmann. Südtirol wird wohl auch in nächster Zeit in der Flüchtlingsfrage zweigleisig fahren. Einerseits signalisierte Kompatscher, dass er weiterhin Druck auf Rom machen will, damit der Flüchtlingsstrom nicht unkontrolliert Südtirol erreicht: „Man kann Italien nicht aus der Verantwortung nehmen.“Andererseits hofft der Landeshauptmann auf die Kooperationsbereitschaft Wiens: Man suche „Möglichkeiten der Mitsprache“ bei der Umsetzung des österreichischen Grenzmanagements, sagte Kompatscher.