Politics | Griechenland

Athen 2016

Das Blatt hat sich gewendet. Nicht mehr gegen die EU und die Konservativen wird in Griechenland jetzt gestreikt, sondern gegen die Syriza-Regierung von Alexis Tsipras.

Ein Jahr nach dem Wahlsieg von Alexis Tsipras bin ich wieder in Athen. Die Ankunft war beschwerlich: Ein Generalstreik gegen die geplanten Rentenkürzungen legte das Land lahm, auch den Bus- und Taxiverkehr vom Flughafen zum Syntagma-Platz.

Im Rom würden an dieser Stelle illegale Taxifahrer auftauchen, um für einen zehnfachen Preis die gewünschte Fahrt anzubieten.

In Athen nähert sich ein alter, zahnloser Mann den verzweifelten Fluggästen und informiert sie - ungefragt - über die wenigen, noch funktionierenden Busverbindungen. Das ist einer der Unterschiede zu anderen europäischen Staaten, der dazu führt, dass mein Wohlfühlpegel in Griechenland stets auf 100 steigt.

Athen ist glanzloser geworden, etwas grauer und nicht mehr ganz so fröhlich wie noch vor einem Jahr. Die Enttäuschung über die Linksregierung von Alexis Tsipras ist immens. Er habe das Vertrauen und den Optimismus der Bevölkerung missbraucht, beklagen sich Freunde und Bekannte in Athen.

Alles sei schlimmer geworden und von den Versprechen, die Schuldenkrise zu mildern und der EU die Leviten zu lesen, keine Spur. Deshalb gehen die Griechen wieder auf die Straße:  gegen den einst bejubelten Hoffnungsträger Alexis Tsipras. So funktioniert Demokratie. Sie ist nicht von ungefähr in Griechenland entstanden. 

Jeden Tag gibt es mindestens einen Streik, jener der Landwirte hält seit Tagen an. Ich habe bisher jenen der Polizisten, der Feuerwehrmänner und der Müllmänner erlebt. 

Unser Hotel hat die Zimmerpreise um 20 Euro angehoben und im Gegenzug den Service um 20 Prozent reduziert. Meine Verwandten berichten, dass in den Geschäften das angebotene Sortiment drastisch gesunken sei. Viele Waren fehlten, sie würden nicht mehr bestellt. Im Fall von Medikamenten sei diese Entwicklung fatal. Seit zwei Jahren müssten sich die Familien die notwendigen Heilmittel im Ausland selbst abholen oder von Verwandten mitbringen lassen.

Obwohl dieser Tage wieder Troika-Beamte durch Athen geistern, interessiert sich die europäische Öffentlichkeit nicht mehr für die griechische Schuldenkrise. Die Schuldenrückzahlungen seien erleichtert worden, sickerte aus Brüssel durch, und die Ratingagentur Standart & Poor's hat die Glaubwürdigkeit Griechenlands gnädigerweise leicht hinaufgestuft. In Athen wird darüber höchstens milde gelächelt.

Denn nun prügelt die EU wegen der Flüchtlingskrise auf Griechenland ein. Alles mache die Regierung in Athen falsch: So bemängelten belgische EU-Funktionäre tatsächlich, dass die Griechen Flüchtlinge retten statt sie im Meer zu versenken oder in ein ungewisses Schicksal zurückzuschicken.

Griechenland mit seinen Küsten und zahllosen Inseln kann seine Grenzen nicht schützen, das müsste allen klar sein. Frontex-Beamte tauchen ab und zu auf, sie logieren in den Hotels der Ferieninseln und sind nur zur Stelle, wenn sie von den zuständigen griechischen Behörden wegen akuter Notfälle gerufen werden. 

Von seiner finanziellen Ausstattung her steht der griechische Staat immer noch vor dem Bankrott. Er kann seine eigenen Leute kaum bezahlen,muss kürzen und sparen - laut Befehl aus Brüssel. Und dann soll Athen plötzlich Geld locker machen, um die Grenzen besser zu schützen?

Die Flüchtlinge, die in Kos und Lesbos stranden, kommen aus der Türkei. Die Regierung in Ankara ist es, die die Flüchtlinge ziehen lässt. Vor dem diktatorischen türkischen Regime geht die EU aber in die Knie - mit einer Belohnung von drei Milliarden Euro, falls sich die Regierung Davutoglu dazu durchringen sollte, die Flüchtlinge bei sich zu behalten, bis der Bürgerkrieg in Syrien zu Ende ist.

Die Türkei ist ein Polizeistaat. Nichts rührt sich ohne das Wissen der zuständigen Behörden. Auch die Flüchtlinge sind genauestens überwacht. Wenn sie also Richtung Griechenland aufbrechen, so geschieht das mit dem Wissen der türkischen Behörden.

Der "Watschenmann" aber ist und bleibt Griechenland.

Natürlich ist Griechenland zu Beginn der Flüchtlingskrise lasch mit den Ankömmlingen umgegangen: Auch weil im Programm des Syriza-Bündnisses ausdrücklich steht, dass es keine Auffanglager mehr in Griechenland geben dürfe. Flüchtlinge hätten das Recht darauf, sich frei zu bewegen und aufgenommen zu werden.

Auch Italien steht immer wieder wegen der Rettung von Bootsflüchtlingen in der Kritik .

Die nordeuropäischen Zielländer aber zeigen jetzt ihr wahres Gesicht: Dänemark nimmt den Flüchtlingen Geld und Schmuck ab, und bald könnten es auch Goldzähne sein, wie es in den Konzentrationslagern üblich war. Das einst so beispielhafte Schweden wiederum hat die Ausweisung zehntausender Flüchtlinge beschlossen.

Ein sogenannter EU-Kommissions-"Insider" mutmaßte kürzlich, dass die Schengener Grenzen schon bald neu gezogen würden. Nord- und mitteleuropäische EU-Staaten (Polen und Ungarn an vorderster Front) würden sich zusammenschließen und sich von Südeuropa abschotten: also von Italien, Spanien, Portugal und Griechenland. Aus Italien und Griechenland würden permanente Flüchtlings-Aufnahmelager, während die Staaten jenseits des Brenners langfristig "flüchtlingsfrei" (vielleicht arisch??) blieben.

Ich halte das für Hirngespinste und hoffe, dass ich mich nicht täusche.