Levantino, Rosario
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Society | Mafia

Der Märtyrer der Gerechtigkeit

Rosario Livatino hatte der Mafia den Kampf angesagt. Und wurde brutal ermordet. Jetzt wird er als erster Richter von der römisch-katholischen Kirche seliggesprochen.
Es war der Morgen des 21. September 1990. Wie gewohnt machte sich Richter Livatino auf den Weg zur Arbeit. Wie gewohnt steuerte er sein Auto selbst in Richtung Agrigent. Seit 13 Jahren war der Jurist, der mit summa cum laude promoviert hatte, am Tribunal der Stadt tätig. Als stellvertretender Staatsanwalt lagen die Ermittlungen gegen die Mafia ein Jahrzehnt lang in seinen Händen.  Angst zeigte er trotzdem keine. Im Gegenteil. Der erst 37-Jährige hatte Personenschutz für sich kategorisch abgelehnt.
Auch an jenem Morgen saß er darum ohne Leibwächter in seinem Auto als sein roter Ford Fiesta plötzlich abgedrängt und gerammt wurde.  Gleichzeitig tauchte ein Motorrad auf, von dem zwei Männer sprangen.  Eine Kugel durchschlug die Heckscheibe. Rosario Livatino befreite sich in Todesangst aus seinem Wagen und versuchte verzweifelt in den umliegenden Feldern Schutz zu suchen, doch die Auftragsmörder hatten kein Erbarmen. Sie folgten ihm mit gezogenen Pistolen. Bereits an der Schulter getroffen, brach der junge Jurist nur wenige Meter weiter unter den Schüssen zusammen. Die Stidda – eine im Süden Siziliens ihr Unwesen treibende Mafia – hatte ihren größten Gegner für immer zum Schweigen gebracht.
 
 
Als Person sanft und jungenhaft beschrieben, war der Mafia-Jäger Livatino jedoch unbeirrt und hartnäckig.   Bestechungsversuchen widerstand er ohne mit der Wimper zu zucken.  Selbst Drohungen konnten ihn von seiner Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit nicht abbringen. Den Vorschlag, in eine andere Abteilung versetzt zu werden, wies er jedes Mal postwendend zurück. Stattdessen verfolgte er unermüdlich die kriminellen Machenschaften der sizilianischen Clans und widmete sich dabei auch dem immer mehr an Bedeutung gewinnenden Drogengeschäft samt internationalen Verbindungen. Als Staatsanwalt ebnete er somit den Weg für den ersten großen Anti-Mafia-Prozess der Provinz Agrigent, der mit 40 Verurteilungen endete. Livatino nahm aber auch das Unternehmertum und die Politik ins Visier. Er deckte Schmiergeldzahlungen und Korruption großen Stils auf. 
Im Rahmen einer feierlichen Messe wird Rosario Livatino nun am 9. Mai im Dom von Agrigent seliggesprochen. 
Dabei setzte er - wie sein älterer und nur zwanzig Monate nach seinem Tod ebenfalls ermordeter Kollege Giovanni Falcone - dort an, wo es der Mafia besonders weh tut: beim Vermögen. Er zeigte illegale Geldflüsse mittels neuerster Ermittlungsmethoden auf und wandte als einer der ersten ein noch junges Gesetz an. Livatino ließ Besitztümer und Ländereien der Bosse konfiszieren.  Auch als er 1989 zum beisitzenden Richter ernannt wurde, hielt er an seiner Linie fest.  Am Tag nach seiner Ermordung hätten die Verhandlungen gegen die Mafia von Porto Empedocle abgeschlossen werden sollen.
 
 
 
Doch woher bezog der junge Jurist, Sohn eines Finanzbeamten aus Canicattì, seine Kraft? Aus seinem Glauben, sagen die, die ihn kannten. Rosario Livatino war ein praktizierender Katholik und engagierte sich in der Azione Cattolica. Vor seiner Arbeit machte er täglich bei der Kirche San Giuseppe Halt, kniete in der letzten Bank nieder und betete. Nach seinem Tod fanden die Ermittler in seinem Schreibtisch eine Bibel und ein Kruzifix sowie seine kleinen Notizbücher. Darin hatte er feinsäuberlich alles beruflich Relevante akribisch notiert. Jedes einzelne war jedoch mit den Buchstaben STD gekennzeichnet.  Kein Hinweis auf eventuelle Täter, wie die Polizei anfangs dachte, sondern ein Kürzel für Sub tutela Dei.  Der zutiefst gläubige Richter hatte seine Arbeit seit seiner Studentenzeit unter den Schutz Gottes gestellt.
Glaube und Recht waren für Livatino untrennbar verbunden. In seinen zahlreichen Vorträgen kam er immer wieder darauf zu sprechen. „Wenn wir sterben“, sagte er einmal, „wird uns niemand fragen, wie gläubig wir waren, sondern wie glaubwürdig.“ Die Idealfigur des Richters zeichnete sich für ihn durch eine starke ethische Komponente aus. Unabhängig sollte er außerdem sein, unpolitisch und autonom.  Seine eigene Integrität brachte ihm jedoch den Spott und die Verachtung der Mafiosi ein. Die Bosse, die bei den Messen die ersten Kirchenbänke belegten, hassten ihn für seinen christlich motivierten Kampf gegen das organisierte Verbrechen.  
 
 
Papst Franziskus setzt damit ein starkes Zeichen.
 
Die Ermordung des „giudice ragazzino“ hatte auch Papst Johannes Paul II. tief erschüttert. Bei seiner Pastoralvisite am 9. Mai 1993 in Sizilien traf er deshalb die Eltern des Ermordeten. Lange hielt er wortlos die Hände der tief trauernden Mutter. Am Ende seiner Messe im „Tal der Tempel“ in Agrigent, nach dem Schlusssegen, bezog er dann als erster Papst in der Geschichte offen Stellung gegen die Mafia.  Mit zorniger Stimme appellierte er an die Mitglieder der Clans den Weg des Unrechts zu verlassen. „Gott hat einmal gesagt: Du sollst nicht töten. ….Ich rufe den Verantwortlichen zu: Bekehrt Euch! Eines Tages wird Gottes Urteil über Euch kommen,“ donnerte er und sprach von einer „Zivilisation des Todes“.  Den jungen ermordeten Richter nannte er hingegen schon damals einen „Märtyrer der Gerechtigkeit und indirekt des Glaubens.“  Noch im selben Jahr wurde der Prozess für eine mögliche Seligsprechung eröffnet.
Und so lautet auch die Formel, nach der Rosario Livatino von Papst Franziskus nun zur Ehre der Altäre erhoben wird: „In odium fidei“, aus Hass gegen den Glauben.  45 Menschen haben das „tugendhafte Leben“ des Richters bezeugt. Unter ihnen auch Gaetano Puzzangaro, einer der vier Männer des Killerkommandos, der ihm Gefängnis interviewt worden war.  Er hatte den Fiat Punto gelenkt, der den Wagen Livatinos abdrängte.
Aufgeklärt konnte das Attentat nur durch eine einzige Aussage werden. Pietro Nava aus Mailand kam zufällig an den Ort des Verbrechens und wurde unfreiwillig Augenzeuge.  Nur zehn Tage gelang es den Ermittlern zwei Männer zu verhaften. Die beiden Stidda-Mitglieder waren in Deutschland wohnhaft, wo sie offiziell als Pizzabäcker arbeiteten.  Sie hatten die tödlichen Schüsse auf den Richter abgegeben. „Was habe ich Euch getan“, soll er sie noch angefleht haben. Die Mörder gaben als Antwort eine Kugel.
Erst später wird bekannt, dass das Attentat ursprünglich vor der Kirche geplant gewesen sei. Vor oder nach der von Livatino besuchten Frühmesse.
 
 
Im Dekret der vatikanischen Kongregation für Selig- und Heiligsprechungsprozesse wird Rosario Livatino als wahrer Christ und wahrer Staatsbürger beschrieben. „Seine hohe moralische Redlichkeit in der Ausübung der Gerechtigkeit ist in seinem Glauben verankert.“ Von seinen Gegnern würde er „auf Grund seines gelebten Katholizismus als unnahbar und Korruptionsversuchen gegenüber als absolut unbestechlich angesehen“. 
Im Rahmen einer feierlichen Messe wird Rosario Livatino nun am 9. Mai im Dom von Agrigent seliggesprochen.  Genau an jenem Tag, an dem Papst Johannes Paul II.  1993 seinen Bannstrahl gegen die Mafia richtete.
Papst Franziskus hat dann der Seligsprechung des jungen Richters höchsten Stellenwert eingeräumt. Und setzt damit ein starkes Zeichen gegen die Mafia. Immer wieder hat er im Laufe seines Pontifikats zum entschiedenen Einsatz gegen das organisierte Verbrechen aufgerufen. So auch zuletzt am nationalen Gedenktag für die Opfer der Mafia im vergangenen März. Dabei warnte Franziskus, die Clans nützen weltweit die Pandemie, um daraus Profit zu schlagen.

 

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Karl Trojer Mon, 05/10/2021 - 11:41

Möge Papst Franziskus weitere Alltagshelden wie Rosario Livatino seligsprechen, damit gewinnt die Kirhce an Glaubwürdigkeit. Ich danke Frau Schwabeneder für diesen Beitrag und freue mich auf ihre weiteren Darlegungen über Vatikan und Mafia bei salto.bz.

Mon, 05/10/2021 - 11:41 Permalink