Politics | Aus dem Blog von Martin Daniel

Pestizidverbote - Keine Aufgabe der Gemeinden?

Arnold Tribus, bekennender Gegner der direkten Demokratie, lässt sich in einem Leitartikel in der Tageszeitung über die Unzuständigkeit der Gemeinden aus. Doch die Angelegenheit ist noch lange nicht verloren.
Note: This article is a community contribution and does not necessarily reflect the opinion of the salto.bz editorial team.

Anlass für Arnold Tribus Kommentar: Die anstehende Volksabstimmung über ein Pestizidverbot in der Gemeinde Mals. Wo kämen wir denn hin, wenn jede Bürgerschaft selbst über solche Sachen bestimmen könnte, womöglich anders als die Nachbargemeinde, so in etwa sein Tenor. Doch die Angelegenheit ist vom juridischen Standpunkt her noch lange nicht verloren.

Der Artikel 32 der italienischen Verfassung überträgt dem Staat die Aufgabe, die Gesundheit der Bürger zu schützen und den Bürgermeistern kommen spezifische Aufgaben in dringlichen Fällen in diesem Bereiche zu. Über die Dringlichkeit eines bürgermeisterlichen Eingriffs wird sich natürlich streiten lassen. Eine solche ist m.E. zumindest in spezifischen Fällen, wie den Vorfällen an der Tartscher Grundschule gegeben, wo die Lehrer die Schulkinder in der Pause vom Hof in das Gebäude schicken mussten, weil vom nachbarlichen Grundstück massive Sprühungen herrührten.

Bis zu einer Neuausrichtung der Rechtssprechung gilt sowieso das höchstrichterliche Verwaltungsurteil, welches im Falle der Verordnung der Gemeinde Malosco im Trentino die Legitimierung der Gemeinden, ein Pestizidverbot zu erlassen, bestätigt hat.

Aber auch Bürgerinitiativen im Mailänder Raum an, die sich gegen regelmäßig die Grenzwerte überschreitende Schadstoffwerte zur Wehr setzen, argumentieren in Richtung Gemeindezuständigkeit. Die Schadstoffe in der Luft sind genauso wie der Einsatz bestimmter Pestizide in Siedlungsnähe wissenschaftlich erwiesen gesundheitsschädlich - mit dem (bedeutenden) Unterschied, dass die Grenzwerte für Luftverschmutzung von EU- und Staatsgesetzen vorgeschrieben sind, die in der Landwirtschaft eingesetzten Mittel hingegen die staatliche Genehmigung haben.

Die lombardischen Anti-Smog-Aktivisten argumentierten folgendermaßen, um sogar eine zivilrechtliche Haftung der Bürgermeister auszumachen:

L'art. 32 della Costituzione Italiana, nel sancire la tutela della salute come ”diritto fondamentale dell’individuo e interesse della collettività”, di fatto obbliga lo Stato a promuovere ogni opportuna iniziativa e ad adottare precisi comportamenti finalizzati alla migliore tutela possibile della salute in termini di generalità e di globalità atteso che il mantenimento di uno stato di completo benessere psico-fisico e sociale costituisce oltre che diritto fondamentale per l’uomo.

Il sindaco è il responsabile della condizione di salute della popolazione del suo territorio. Il consiglio comunale condivide questa responsabilità. I compiti del sindaco sono quindi ampi, soprattutto il sindaco deve conoscere lo stato di salute della popolazione, deve prendere provvedimenti se le condizioni ambientali sono invivibili ...

L'articolo 50, comma 5°, D.Lgs. 267/2000 si collega con l'articolo 54 del D.Lgs. 267/2000 il quale al comma 2° dispone che il Sindaco, nella qualità di ufficiale del Governo, può adottare provvedimenti contingibili ed urgenti con lo scopo, la finalità di reprimere e prevenire pericoli che minacciano la pubblica incolumità.

(Quelle: http://segratefelice.blogspot.it/2011/02/responsabilita-civile-dei-sindaci-sulla.html)

Grundsätzlich sind die territorialen Zuständigkeiten im Bereich Gesundheit strittig: "... sono frequenti le controversie circa la definizione dei confini dei ruoli tra i livelli di governo in alcuni settori chiave quali, ad esempio, quello della tutela della salute, governo del territorio e dell’ambiente nonché in tema di servizi sociali", schreibt Prof. Umberto Fantigrossi des "Libero Istituto Universitario Carlo Cattaneo", einer Privatuniversität in der Lombardei. Er führt z.B. auch aus, dass die Gemeinden bei Handyumsetzern zwar deren Positionierung bestimmen können, um die Bevölkerung so wenig wie möglich den elektromagnetischen Feldern auszusetzen, aber keine völligen Verbote oder allgemeine Abänderungen der staatlichen Grenzen aussprechen dürfen. Allerdings mit dem wichtigen Zusatz: "essendo consentita l’individuazione di fattispecie e diverse misure, la cui idoneità al fine della minimizzazione emerga dallo svolgimento di compiuti ed approfonditi rilievi istruttori sulla base di risultanze di carattere scientifico” (Liuc Papers n. 164, Serie Impresa e Istituzioni, 22, suppl. a febbraio 2005, S.6). Das öffnet weit die Tür für Interpretationen im Sinne des Vorsorgeprinzips.

Es ist also völlig offen, wie die Gerichte bei eventuellen künftigen Rekursen gegen Pestizidverbote einer Gemeinde entscheiden werden. Und solange der staatliche und der Landesgesetzgeber in der Sache nichts beisteuern, ist der Versuch der Gemeinde Mals allemal unterstützenswert. Und juridisch sicher nicht hoffnungslos.

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Susanne Pitro Wed, 06/11/2014 - 11:07

Lieber Martin Daniel, das neue Layout legt Euch und uns neue Regeln auf. Eine davon? Der Vorspann kann nun nicht mehr unabhängig vom Artikel für die Homepage gekürzt werden. Deshalb gilt mehr denn je: In der Kürze liegt die Würze. Nachdem es das Bestreben der Redaktion ist, Eure Artikel so wenig wie möglich zu verändern, bitte der Aufruf an alle: Kurze Vorspänne, idealerweise nicht mehr als 150 Zeichen bzw. zumindest nicht mehr als zwei Zeilen in Artikelansicht. Einstweilen behelfen wir uns, indem wir einen Teil von zu langen Vorspännen an den Anfang des Artikels verfrachten.

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Mensch Ärgerdi… Wed, 06/11/2014 - 11:18

Da bahnt sich wieder mal die typische Lösung des Problems all'italiana an. Die Gemeinde wird Jahre lang prozessieren um vielleicht, und nur vielleicht, einen Sieg vor den Verwaltungsgericht und in letzter Instanz vor den Staatsrat zu erlangen. Am Tag darauf erlässt Rom ein neues Gesetz und der ganze Spaß fängt wieder von vorne an, während man neben her Jahrzehnte lang Zivilverhandlungen laufen haben wird um die verschiedenen Schadensersatz Forderungen zu lösen. Wie heißt es so schön? Außer Spesen nix gewesen!
Würde man die ganzen Geschichte mit ein wenig Hausverstand angehen, könnte man sich den ganzen Blödsinn sparen. Der konventionelle Obstanbau und die dazugehörenden Giftmittel sind schon reglementiert und erlaubt, will man das Problem der Rückstände an der Wurzel packen, dann muss man in Rom die geltenden Gesetze ändern.

Wed, 06/11/2014 - 11:18 Permalink
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DervomBerge Tratzer Wed, 06/11/2014 - 13:41

Wenn das Pestizidverbot trotz dem Willen der BürgerInnen nicht durchgesetzt werden würde gibt es immer noch die Methode des zivilen Ungehorsam! Wir lassen uns nicht länger vergiften!

Wed, 06/11/2014 - 13:41 Permalink