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„4 Hektar mitten in Bozen“

Drei Design-Master-Studenten haben das Projekt „aplacetob(z)“ lanciert, zur Zwischennutzung des Bahnhofsareals in der Schlachthofstraße. Heute öffnet sich dort das Tor.
aplacetob(z)
Foto: aplacetob(z)
Welche Sichtbarkeit hat das Projekt mit Instagram und Word of mouth?
Marielle Scharfenberg: Wir haben das Projekt Anfang des Semesters, im Februar gestartet. Da fingen wir an, indem wir auf der Straße Leute gefragt haben „Was wollen Sie in diesem Areal sehen?“, aber viele haben erstmal geantwortet mit „Welches Areal?“ Es war wirklich ein Nicht-Ort, über den Leute gar nicht nachgedacht haben. Jetzt, nach drei, vier Monaten ist es so, dass man mit Organisationen spricht und man bereits von apalcetob(z) gehört hat. Auf Instagram haben wir gesehen, dass wir einen ziemlichen Anstieg an Followern hatten. Unser bestes Reel hatte über 2000 Aufrufe, was in einer Stadt wie Bozen etwas wert ist.
Àron Lorincz: Ich würde auch gern die Wichtigkeit der Treffen in lokalen Begegnungspunkten, auch Bars festhalten.
Marielle Scharfenberg: Wir sind immer mal wieder hin, über die Monate hinweg. Wir saßen etwa in einer Kneipe und dann kam der Inhaber auf uns zu und fragte uns nach dem Modell des Areals, das wir dabei hatten. Er war sofort sehr interessiert und hat uns eingeladen, Postkarten dazulassen. Es ist  Interesse da. Wir waren in einer anderen Kneipe, wo wir auf Deutsch gefragt haben und Verständigungsprobleme hatten, da hat jemand, Peter Burchia, für uns übersetzt und er hatte zufällig ein Atelier neben dem Areal und wollte dort länger schon ausstellen.
 
 
Sie arbeiten an dem Projekt ohne ein Budget. Wie kann die Transformation eines solchen Areals ohne Geld stattfinden?
Maria Summavielle: Wir haben ein kleines Budget von der Universität, für den Druck. Wir haben es für Poster eingesetzt, die Bewusstsein schaffen, genau wie unser Instagram-Account oder das Sprechen mit Leuten. Aber es sind auch viele Menschen sehr hilfsbereit, in der Umgebung des Areals. Da haben wir Glück.
Àron Lorincz: Es ist die längerfristige Transformation, wegen der die Leute interessiert daran sind. Die Organisationen mit denen wir in Kontakt sind, helfen uns auch gerne und wenden Ressourcen auf, sei es nun menschliche oder Equipment. Auch haben wir einen Fragebogen erstellt, weil wir es wirklich wichtig fanden herauszufinden, wie sie an dem Projekt mitwirken würden.
Marielle Scharfenberg: Wir bekommen zwar kein Budget von der Stadt, aber investieren alle einen großen Teil unserer Zeit hinein. Wir haben alle drei unseren Design-Bachelor abgeschlossen und daher viel Know-how hinter uns, wie man so etwas plant und steuern teilweise etwas privates Geld bei. Der wirklich große Teil ist aber die pure Hilfsbereitschaft der Nachbarschaft. Da wird etwas geliehen und gefahren. Ich denke, das ist der Weg, wie man diesen Platz nachhaltig transformieren und ändern kann. Von unten nach oben und indem sich die Nachbarschaft selbst verändert und nicht indem jemand von außen kommt und für viel Geld etwas hineinstellt.
 
 
Gedacht wäre der Ort auch als intergenerationaler Begegnungspunkt. Wie geht man das an? Die typischen Großeltern sind eher nicht auf Instagram…
Marielle Scharfenberg: Unser erster Berührungspunkt mit der Gesellschaft war analog. Wir haben ein Plakat in einer Unterführung aufgehängt, in der zu sehen war, dass dort Leute miteinander Grafiti schreiben, und Fragen gestellt, was sie zum Areal denken und was sie sich wünschen. Wir haben einen Stift dran gehängt und Sticker mit denen sie antworten konnten. Da haben wir, bei den Personen die ihr Alter angegeben haben, gesehen, dass es viele ältere Leute und auch sehr viele sehr junge Leute gab, also auch unter zehn, die Ideen haben. Das ist eine Art Feedback einzuholen und wir haben immer auch mit den Leuten geredet, wenn wir das getan haben. Wir sind dann auch zum Stadtviertel-Rat, da ist auch eher die ältere Generation vertreten. Als letztes haben wir dann gesagt, Bozen braucht einen Ort für die Jugend und wir müssen die Jugend mit an Bord holen. In Bozen gibt es nicht sehr viel für junge Menschen, für uns zum Beispiel. Da kann man sich die Anzahl der Clubs oder Bars ansehen, die auf uns ausgerichtet ist, da gibt es nicht viel, das ist eine Priorität von uns, die aber zeitlich gesehen als letztes kam, ja.
 
Stichwort Clubs und Bars: Ist für das Areal Konsum angedacht oder braucht Bozen vielleicht eher einen konsumfreien Raum?
Maria Summavielle: Nach dem was wir in Gesprächen mit Leuten erfahren haben, ist das, was es am meisten braucht ein Ort an den die Menschen gehen können um einfach zu „sein“. Es gibt die Talverwiesen und andere, kleine Parks, aber diese sind meistens voll. Dieses Areal ist so groß, das man fast alles dort machen könnte, etwa mit vielen, kleineren Bereichen. Ich denke einfach ein Ort, an dem man sich treffen kann, wäre das Wichtigste.
Àron Lorincz: Es wird häufig unterschätzt, was Leute beisteuern können. Man muss gar nicht viel Infrastruktur dort haben, die Leute bringen viel mit und wirken mit, wenn sie wollen und Ideen haben. Es ist wichtig in der Stadt einen Ort zu haben, wo Personen ihre Ideen entwickeln können und machen, was sie wollen, mit einer grundlegenden Infrastruktur.
Marielle Scharfenberg: Der Ort ist auch geographisch und von den Infrastrukturen bereits jetzt vielseitig; Auch wegen der Natur die dort ist: Es gibt ehemalige Bahngleise, ein kleines Waldstück und einen Parkplatz. Da braucht es gar nicht viel um das herzurichten. Die Stadt muss nur die Tore aufmachen. Wir haben auch beim VKE (Anm. d. Red.: Verein für Kinderspielplätze und Erholung) angefragt, ob sie Spielsachen zur Verfügung stellen könnten und sie haben sofort im Gespräch erzählt, dass sie seit Jahren in Bozen nach Orten suchen, wo sie einen großen Abenteuerspielplatz aufstellen können, das gibt es aber nicht in Bozen. Fridays for Future sucht nach einem Platz für eine Zeltstadt, wenn sie hier in Bozen eine Klimademo machen, bei der dann auch andere Ortsgruppen übernachten könnten. Das heißt, der Ort hat Potential auch konsumfrei viel zu bieten. Und das ist etwas, was in Bozen vielleicht auch fehlt, zu sagen, es gibt einen Ort, wo man kein Geld ausgeben muss und Leute aus allen Einkommensschichten und Altersgruppen hinkommen und Zeit verbringen können. Der Fokus ist also auf auf einem konsumfreien Ort.
 
 
Deutschland, Ungarn, Portugal: Sie alle kommen aus anderen Ländern. Gab es dort Orte, die für einen Transformationsprozess wie diesen als Vorbild dienen?
Maria Summavielle: Ich hatte kein Beispiel das ich von zu Hause kannte, aber wir haben viel Recherche betrieben und sind auf viele Studien zu Orten gestoßen, die uns interessiert haben. Viele von den Orten waren in Turin oder Mailand und es waren entweder Parkplätze oder aufgelassene Tram-Bahnen, was beides auf un zutrifft. Es war nicht schwierig Inspiration überall auf der Welt zu finden.
Àron Lorincz: In Ungarn gibt es ähnliche Situationen, die zum Teil auch in der Zukunft anstehen werden, etwa in der Entwicklung der Hauptstadt Budapest, etwa. Es wird sehr viel in den Ausbau der Schienennetze investiert, wodurch potentiell ein Rostgürtel ungenutzter Strukturen entsteht, für den es gilt Nutzen zu finden. Es ist häufig in Europa die Umwidmung ehemaliger Industriegebiete zu neuer oder temporärer Nutzung zu sehen.
Marielle Scharfenberg: In Deutschland gibt es etwa in München die Containerstadt, die ganz interessant ist, da sie temporär aufgebaut wurde und aus Containern besteht, was auch eine Möglichkeit für aplacetob(z) wäre das Ganze recht low-budget und schnell abzuwickeln. Die Container könnte man auch temporär entfernen. Ein großes Beispiel ist natürlich auch die Zeche Zollverein in Essen und die Steinkohle-Gebiete im Westen Deutschlands. Wir haben auch bei Lungomare Hannes Gröblacher and Lilli Lička vom Projekt Westbahnpark getroffen, also besteht da auch eine Verbindung nach Wien. Man kann global Beispiele finden wie es gut gemacht wurde und natürlich auch Räume, die noch ein freier Spielplatz sind.
Àron Lorincz: Ich möchte noch Placemaking Europe, eine Bewegung, die viele Projekte und ein großes Netzwerk hat und viele Werkzeuge die wir anwenden können, erwähnen. Dort wird viel Wissen geteilt.
Marielle Scharfenberg: Die Urbanisierung ist ein globales Problem und die Lösungen sind jetzt auch, langsam, global.
 
Die Urbanisierung ist ein globales Problem und die Lösungen sind jetzt auch, langsam, global.
 
Welches war der Erstkontakt mit dem Bahnhofsareal. Sind Sie daran vorbeigegangen oder wurde das Projekt an Sie herangetragen?
Maria Summavielle: Uns wurde in dem Unikontext davon erzählt. Es ist Teil unseres Projekts im Master Eco-Social Design, wo Philipp Rier auf uns zugekommen ist, in Verbindung mit LAB:BZ und LAS (Anm. d. Red.: Landschaftsarchitektur Südtirol) der uns von dem Areal erzählt hat. Dann sind wir erstmal hingegangen, um uns das anzusehen. Von Außen gibt es Tore, durch die man durchgucken kann. Da waren wir erstmal von der Größe überrascht. Wir sprechen von über 40.000 Quadratmetern. 4 Hektar mitten in Bozen, einer Stadt in der man mit Überregulierung von öffentlichem Raum und hohen Mieten zu kämpfen hat. Wir haben uns Satellitenbilder angeschaut und konnten zurückgehen bis ’92, als das Areal genau so aussah wie jetzt, also auch nur ein Parkplatz war. Gehen wir noch weiter zurück, zum allerersten Satellitenbild das wir haben, von 1952; ziemlich unverändert seitdem. Jeder, der dort ist, ist erstmal von der Größe erstaunt, elf mal der Waltherplatz.
 
Anfang der Woche erschien ein Artikel zum Thema im Alto Adige, Sie wurden nicht namentlich erwähnt und es ging auch um die Bahnhofsremise, in dem Techniker, die die Areale in Stand halten zu Wort kamen. Sie sprachen davon, dass das Gebiet wohl für 10 bis 15 Jahre ungenutzt bleiben würde. Auf welche Dauer ist Aplacetob(z) ausgelegt?
Marielle Scharfenberg: Wir haben das Projekt aus persönlichem Interesse heraus angenommen und aus Überzeugung an der Gestaltung der Stadt teilnehmen zu wollen. Das ist kein Semesterprojekt für uns, sondern etwas bei dem wir sagen, es ist eine Unverschämtheit, dass das so lange geschlossen ist. Wir wollen genau das erreichen: Es muss aufgemacht werden. Es müssen die Nachbarschaft und die Leute aus Bozen - und da beziehen wir uns als Bürger mit ein - gestalten. Wir haben den Dialog gestartet und werden das natürlich an die Nachbarschaft und die lokalen Organisationen abgeben und es davor noch etwas weiter betreuen. Es ist nicht so, dass wir von außen kommen und den Plan haben. Wir wollen gemeinschaftlich als Bürger etwas gestalten. Langfristig braucht es in Bozen natürlich Häuser und das wäre ein Areal wo das vielleicht passieren könnte. Aber es, nur weil dort in 10, 15 Jahren vielleicht gebaut wird, nochmal so lange brach liegen zu lassen ist keine Lösung.
Àron Lorincz: Eine temporäre Nutzung kann auch langfristige Veränderungen auslösen und sich darauf auswirken, welche Pläne gemacht werden. Sozialer Wohnbau wäre sicherlich auch interessant.
Marielle Scharfenberg: Wir glauben, dass die temporäre Nutzung eine Chance für die Stadt ist, schnell und kostengünstig auszuprobieren, was möglich ist, bevor man Millionen investiert. Das gewonnen Wissen lässt sich auch in der restlichen Stadt anwenden.
 
 
Heute findet auch ein Rundgang auf dem Areal, unter der Perspektive möglicher Nutzungen statt. Ohne vorab zu viel zu verraten: Welches sind einige der Ideen?
Maria Summavielle: Wir hatten ein LAB:BZ Café, ein kleines Event mit dem Stadtviertel-Rat, bei dem einige sehr interessante Ideen aufkamen. Eine Naturkunde-Lehrerin hatte für alle verschiedenen Abschnitte des Areals andere Ideen. Interessant ist auch, dass die Natur das Areal zurückerobert. Bäume wachsen durch den Asphalt, es gibt dort Tiere und so viele Pflanzen, dass wir nicht wissen, wie viele es sind. Es wäre interessant einen Experten hin zu schicken um das Ökosystem vor Ort zu untersuchen. Man könnte eine Ausstellung daraus machen, die zeigt, was mit einem Ort passiert, der von Menschen ungenutzt geblieben ist. Sie hatte auch andere Ideen wie einen Markt für Handgemachtes, oder einen Ort für Workshops, Tanz…
Marielle Scharfenberg: Wir haben nicht nur mit ihr gesprochen, sondern mit allen die dort waren, also haben wir einen langen Katalog an Dingen: Freilichtkino, Gärten, Raves und sportliche Nutzungen, etwas ein Fahradpark. Wir wollen dem Ort nichts aufzwängen.
Maria Summavielle: Das selbe passiert auch heute, wir machen einen Rundgang auf dem Areal, damit man sich eine Vorstellung vom Areal machen kann und gemeinsam Ideen entwickelt.
Àron Lorincz: Was interessant zu sehen war, ist, dass die meisten Ideen, die an uns herangetragen wurden, nicht schwer zu realisieren sind. Es sind keine idealistischen Träume, sondern Projekte, die in einem Jahr oder weniger umsetzbar wären.
 
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Herta Abram Fri, 06/10/2022 - 15:58

BRAVO! Selbstbestimmte Ent-
faltung, gesunde Lebensführung, menschliche Zuwendung, soziale
Eingebundenheit, gemeinschaftsbezogenes Handeln lassen sich nicht
kaufen. Sie werden von den Menschen gleichsam selbst hergestellt.
Wieweit diese "Güter" realisiert werden, hängt weitgehend vom persönlichen Bemühen und der Verbundenheit mit anderen Menschen und der Natur ab. Auch all dies sind Güter, aber sie sind marktfrei, sei es, weil sie kein anderer herstellen kann als ich selbst, sei es, weil ich sie von anderen nur als Geschenk bekommen kann.

Fri, 06/10/2022 - 15:58 Permalink
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Kris Krois Fri, 06/10/2022 - 21:40

Fläche für freie Entfaltung, selbstorganisierte Kultur, gemeinsamen Schaffen und Feieren – Freiram, der in Bozen fehlt. Ein Dank an das Team der Master in Eco-Social Design, das zusammen mit demm Stadtlabor lab:bz aufzeigt, was möglich ist. Heute haben sie auf dem ansonsten abgesprerrten Gelände eine Veranstaltung organisiert. Alle Beteiligten, inklusive der Assessorin Chiara Rabini, haben in Anbetracht der fantastsichen Möglichkeiten übereingestimmt, das Projekt zu verwirklichen – angefangen mit Regelmäßigen Veranstaltungen auf dem Gelände :)

Fri, 06/10/2022 - 21:40 Permalink