Economy | Interview

"Offenheit überraschend groß"

Matthias Gauly lehnt einen Ruf an die TU München ab, um in Bozen zu bleiben. Der Professor über seine Beweggründe und die Forschungsarbeit in Südtirol.

Kann es die Uni Bozen bald mit der Exzellenzuniversität Technischen Universität München (TUM) aufnehmen? Paolo Lugli, der zurzeit an der TUM noch der Dekan an der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik ist, wird ab dem 1. Oktober der neue Rektor der Uni Bozen sein. Und Matthias Gauly, Professor für Agrarwissenschaften, hat erst kürzlich einen Ruf an die TU München abgelehnt, um in Bozen zu bleiben. Dass unsere Uni der TU München den Rang (Platz 51 weltweit) abläuft, bedeutet das noch nicht. Aber es ist gewiss ein Zeichen, dass die Freie Universität Bozen ihren ehemaligen Ruf als Einbahnstraße für Professorenkarrieren längst verlassen hat. Warum er weiterhin an der Südtiroler Bildungsstätte bleiben will und wohin sich die agrarwissenschaftliche Forschung gerade hinbewegt, erklärt Professor Gauly im Interview.

 

salto.bz: Sie waren zuerst in Göttingen. Woher rührte die Entscheidung, nach Südtirol zu kommen?
Matthias Gauly: Nach 12 Jahren Forschungsarbeit in Göttingen verspürte ich einen Wunsch nach Veränderung. Mit Anfang 50 ist es manchmal noch die letzte Chance, zu wechseln. Ich stand 2014 vor der Wahl entweder an die Humboldt-Universität in Berlin zu gehen oder an die Universität Bozen. Da Berlin eine Art Blaupause zu Göttingen war und man dort weiterhin sehr viel Grundlagenforschung betrieben hätte, entschied ich mich für Bozen. Das war dann etwas ganz anderes.

Auf welche Weise?
Das Umfeld ist viel kleiner und übersichtlicher, man forscht in kleinen Arbeitsgruppen. Diese Veränderung war eine Herausforderung, genau das, was ich gesucht habe. Aber auch die Landwirtschaft ist hier anders, es handelt sich nämlich um Berglandwirtschaft. Man beschäftigt sich dabei weniger mit Grundlagenforschung, sondern steht viel näher an der Praxis.

Sie sind beispielsweise am Aktionsplan Berglandwirtschaft beteiligt, einem Projekt, das die Probleme der Berglandwirtschaft lösen will.
Die Provinz hat dafür Gelder bereitgestellt und wir haben nun mehrere Schwerpunkte. Zum Beispiel geht es darum, die Systeme in der Milcherzeugung zu analysieren. Möglicherweise besteht für Südtirol das nachhaltigere System darin, die Tiere mit Grundfutter anstatt mit Kraftfutter zu ernähren.

Warum wäre dieses System gerade für Südtirol geeignet?
Es wäre auch anderswo für eine nachhaltigere Milchwirtschaft geeignet, allerdings ist man da oft wesentlich stärker am Weltmarktpreis orientiert als bei uns. Durch die regionalen Produkte, die zumeist eine hohe Qualität nachweisen, können den Landwirten hier höhere Preise ausbezahlt werden. Aber die hohe Qualität und Besonderheit der Produkte wird auch zunehmend hinterfragt. Es geht nicht mehr allein darum, dass es gut schmeckt, sondern die Verbraucher fragen immer haeufiger auch nach der Art der Erzeugung: Welche Nährstoffe stecken im Produkt, wie nachhaltig wurde es hergestellt? Es besteht also die Notwendigkeit, die Nachhaltigkeit unter Beweis zu stellen, um sich auch in Zukunft vom restlichen Markt abzugrenzen.

Was hat Sie nun dazu bewegt, den Ruf an die TU München abzulehnen und in Südtirol zu bleiben?
In der Forschung ist die TU München eine der besten Universitäten in Europa, hat eine hervorragende Ausstattung und sie bezahlen dort sehr gut. In den letzten beiden Jahren ist für mich aber eine sehr starke persönliche Bindung entstanden, zur Provinz wie auch zu den anderen Kollegen. Diese Bindung ist teilweise auch ein Gefühl der Verpflichtung. Zum Teil bewirkt das auch das kleine Umfeld aus: Aus einer Familie rauszugehen ist schwieriger als aus einer großen Universität, in der alles anonymer ist. Es hat aber sicher auch damit zu tun, dass man hier in offene Türen eingelaufen ist.

Wie meinen Sie das?
In meinem Bereich ist die Offenheit überraschend groß, neue Felder zu erschließen und sich mit neuen Gedanken auseinanderzusetzen. Da war es wahrscheinlich nicht nachteilig, dass jemand von außen gekommen ist und eine andere Perspektive mitbringt. Im letzten Jahr ist dann viel Dynamik entstanden, mit verschiedenen Initiativen, wahrscheinlich auch ausgelöst durch die Entwicklungen des Milchmarktes. Es gibt kaum noch Gedanken, die man nicht zumindest mal andenkt.

Ist es möglicherweise in einem kleineren Umfeld auch leichter, als Wissenschaftler konkret etwas zu bewirken?
Mit der Größe der Uni hat es weniger zu tun, aber in einer kleinen Provinz bekommt man leichter einen Draht in die Praxis. Die Hoffnung ist dann, dass man – da es weniger Akteure gibt – leichter in die Praxis umsetzen kann, was man an Innovationen geschaffen hat. Etwas Neues zu machen ist aber überall gleichermaßen schwer.

Woran arbeiten Sie in der Forschung zurzeit?
Das ist im Wesentlichen, was wir beim Aktionsplan Berglandwirtschaft machen. Im Augenblick machen wir eine Systemanalyse in der Milcherzeugung, der Fleischproduktion und im Geflügelbereich.

Man ist also noch dabei, den status quo zu analysieren?
Genau, wir sind jetzt bei der Analyse und das wird auch noch ein bisschen dauern - anders, als es sich die Politik erwartet. Sie will natürlich schnelle Ergebnisse und Lösungen haben. Aber das Ganze soll auch gründlich gemacht werden, es müssen entsprechende Strukturen entstehen und das braucht seine Zeit. Wenn man dies berücksichtigt, kommen wir aber ziemlich zügig voran.