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Die Landkarte der Intoleranz

Zusammen mit Wissenschaftler/innen der Unis Rom, Mailand und Bari untersuchte vox diritti Tweets auf Misogynie, Antisemitismus, Rassismus, Ableism und Homophobie.

Das ambitionierte Forschungsprojekt beschäftigte sich mit weit mehr als dem Umgangston in einem Online-Nachrichten-Portal wie Twitter: Neben der Untersuchung und Analyse von fast zwei Millionen Tweets nach fünf Kategorien geht es in einem zweiten Schritt um deren Lokalisierung: Welche Gruppe wird wo besonders stark beleidigt, verunglimpft, beschimpft?

Vorbild der Studie ist die von der Studierenden der Humboldt State University in Arcata (Kalifornien) vor knapp zwei Jahren angefertigte Hate Map, die homophobe, rassistische und Personen mit eingeschränkter Mobilität diskriminierende Tweets auf der Landkarte der USA lokalisierte. Dabei handelte es sich um rund 150.000 auf 10 „hateful words“ untersuchte Tweets - also ungleich weniger als jene des Projekts von vox diritti. 

Nach etwas mehr als einem Jahr Arbeit hat die NGO vox diritti die Ergebnisse nun präsentiert. „Wo entsteht Intoleranz? Und wie ihr entgegenwirken, ehe sie zu Gewalt wird?“, sind die zentralen Fragen der Analyse. Die Landkarten sind ein Instrument, um Prävention zu ermöglichen und effizient zu gestalten.

Die Resultate

Die Ergebnisse der Studie sind beängstigend - und nicht neu: Kürzlich hatte sich der Twitter-Vorstandsvorsitzende Dick Costolo nach mehreren Einzelfällen, in denen User/innen Mord- und Vergewaltigungsdrohungen erhielten, entschuldigt:

„We suck at dealing with abuse and trolls on the platform and we've sucked at it for years. It's no secret and the rest of the world talks about it every day. We lose core user after core user by not addressing simple trolling issues that they face every day. I'm frankly ashamed of how poorly we've dealt with this issue during my tenure as CEO. It's absurd. There's no excuse for it. I take full responsibility for not being more aggressive on this front. It's nobody else's fault but mine, and it's embarrassing.“

Unter den nun über 1.800.000 von den Wissenschaftler/innen untersuchten und analysierten Tweets fanden sich 6.000 mit antisemitischem Inhalt, 154.170 rassistischer Natur, 479.654 beschimpften Personen mit Beeinträchtigung, 110.774 waren homophob und 1.102.494 - also die überwiegende Mehrheit - frauenfeindlich.

Auch die lokalen Zuordnungen sind nicht uninteressant: Die antisemitischen Tweets stammen vor allem aus den Abruzzen, rassistische konzentrieren sich auf Grenzregionen wie etwa die Lombardei, das Friaul, Basilikata, Sizilien und Calabrien. Vorwiegende Begriffe sind terrone, zingaro und negro. Homophobe Twitter-Posts kommen vor allem aus der Lombardei, dem Friaul und Kampanien. An Tweets gemessen ist dagegen ganz Italien von frauenfeindlichen Tendenzen durchzogen. Unrühmliche Spitzenreiter sind auch hier die Lombardei, sowie das Friaul, weiters Campanien, die südlichen Abruzzen, der Norden Apuliens und Salento. Wieder in das klassische Muster fallen Tweets, die Menschen mit Beeinträchtigungen diskriminieren: die Lombardei, Kampanien und das Gebiet zwischen den Abruzzen und Apulien sind hier am stärksten vertreten.

Was nun?

Unter dem Hashtag #leparolefannomale wurde eine Twitter-Kampagne gestartet, die sensibilisieren soll und gezielt den Umgang mit Personen der fünf genannten Gruppen thematisiert. Ähnlich wie in Italien sind Umgangsformen im Internet auch bei österreichischen Journalist/innen Thema: Ingrid Brodnig etwa sprach im Oktober 2014 bei TedxLinz zum Thema "Online hate and how to battle it". Die Debatte ist angestoßen, das Problem liegt vor - in Zahlen und persönlichen Eindrücken. Die Frage ist nun, wie damit umgegangen wird. 

Die Materialien des Projekts von vox diritti sind hier abrufbar.

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Sepp.Bacher Wed, 02/11/2015 - 18:00

Die Zahlen beeindrucken. Ich frage mich aber, was sagen sie aus? Beispiel "Vorwiegende Begriffe sind terrone, zingaro und negro." Die einzelnen Begriffe müssen nicht an sich rassistisch sein! Terrone bedeutet auch nur Süditaliener; Zigeuner: einer der besten Kenner der Sinti und Roma behauptete in einer Dokumentation, dass sich die Betroffenen dadurch nicht beleidigt fühlen, sich z. T. auch selbst so nennen (man kann auch Sinti und Roma abschätzig sagen!); negro heißt in mehreren ital. Dialekten einfach "schwarz" (nero). Wenn man sagt, die USA habe einen schwarzen Präsidenten - was geläufig ist - ist das dann rassistisch?

Wed, 02/11/2015 - 18:00 Permalink