Chronicle | Gerhard Mumelter aus Rom

Chaostage in Rom

Die drohende Verurteilung Silvio Berlusconis hat das Parlament in ein Tollhaus verwandelt. Ein Politker nimmt das ganze Land für seine Privatinteressen in Geiselhaft.
Grandma’s Rocking Chair - Clip 2023
Foto: Screenshot

Was man bereits wusste, ist nun auch offiziell. Eine Verurteilung Berlusconis durch das Kassationsgericht führe zum Sturz der Regierung Letta, so Renato Schifani. Daran hatte niemand gezweifelt, nachdem bereits die Vorziehung des Mediaset-Prozesses durch das Höchstgericht genügt hatte, um das Parlament in ein Tollhaus zu verwandeln. Chaos, Schreiduelle und Handgreiflichkeiten bestimmten das Bild. Die von den PDL-Hardlinern Renato Brunetta und Daniela Santanché angefachte Hysterie war freilich fehl am Platz. Denn rote Roben sucht man vergeblich im Richterkollegium, das ab 30. Juli in letzter Instanz über Berlusconis Steuerbetrug entscheiden wird: Es sind fünf konservative Vertreter des Kassationsgerichts, das Berlusconi schon im Mediatrade-Prozess freigesprochen hat. Bleibt der Cavaliere unbehelligt, kann die Regierung Letta sich vielleicht endlich den dringenden Sachthemen widmen. Wird Berlusconi verurteilt, stehen vermutlich im Oktober Neuwahlen an, bei denen der Ex-Premier erstmals nicht kandidieren könnte.

Politisch betätigen kann er sich bei dem zu erwarteten Ausschluss von allen öffentlichen Ämtern weiterhin. Der in Aussicht gestellte Massenrücktritt von PDL-Parlamentariern könnte dagegenn fatale Folgen haben: Neuwahlen müssten erneut nach dem obsoleten Wahlrecht abgewickelt werden, das in Kammer und Senat unterschiedliche Mehrheiten ermöglicht. Während sich im Parlament gestern Grillini und der gespaltene Partito Democratico in die Haare gerieten, forderte Beppe Grillo nach einem Gespräch mit Staatspräsident Giorgio Napolitano die Auflösung des Parlaments und sofortige Neuwahlen - vier Monate nach den Parlamentswahlen.

Ein Tag, den man getrost vergessen kann. Bis auf eine konkrete Geste: Die Parlamentarier der Fünfsterne-Bewegung brachten endlich den Mut auf, sich ihrer Krawatten zu entledigen - freilich nur zum Zeichen des Protests.