Society | Armut

Engel auf Erden

Im VinziMarkt in Bozen können bedürftige Menschen mit Punkten Lebensmittel einkaufen. Gleichzeitig setzt man ein Zeichen gegen die Lebensmittelverschwendung.
VinziMarkt
Foto: VinziMarkt

Der VinziMarkt in der Andreas-Hofer-Straße in Bozen ähnelt einem gewöhnlichen Geschäft: Es gibt Obst, Gemüse, Öl, Tunfisch, Süßwaren und andere Lebensmittel. Aber auch Schulsachen und einige Haushaltsutensilien wie Teller und Geschirr. Der Einkauf ist am Dienstag und Donnerstag Nachmittag von 14.30 bis 17.30 Uhr möglich. Dennoch ist der VinziMarkt anders: Gezahlt wird mit Punkten, nicht mit Geld.

Bedürftige Familien und Einzelpersonen bekommen monatlich eine gewisse Punktezahl zur Verfügung gestellt, mit der sie Produkte einkaufen können. Statt mit einem Preisschild sind die Produkte mit Punkten versehen. Zum Beispiel kostet eine Liter-Flasche Olivenöl ungefähr fünf Punkte, eine 500g-Packung Nudel 0,8 Punkte und Kekse zwischen zwei und drei Punkte. „Nur Brot ist gratis, denn das tägliche Brot steht jedem zu“, erklärt Sabine Eccel, Leiterin des VinziMarktes.

 

Derzeit greifen rund 200 Familien, das heißt um die 600 Einzelpersonen, auf das Angebot zurück. Der VinziMarkt fungiert aber nur als Unterstützung, denn die Lebensmittel reichen nicht aus, um den Bedarf für einen Monat vollkommen zu decken. Das bedeutet, dass die Kunden lernen müssen, mit den Punkten zu haushalten. In der Regel bekommt eine Einzelperson im Monat 30 Punkte und jedes weitere Familienmitglied 10 Punkte gutgeschrieben. Der VinziMarkt richtet sein Angebot an bedürftige Personen in Bozen Zentrum, Bozner Boden und Rentsch. In anderen Stadtvierteln der Landeshauptstadt kümmern sich andere Vereine um die Lebensmittelverteilung, die alle ungefähr derselben Anzahl von Menschen helfen.

 

Unterstützung und Ehrenamt

 

Der Großteil der Lebensmittel wird dem VinziMarkt vom Banco Alimentare geliefert. Der Rest kommt von Bauern, Südtiroler Unternehmen wie Rieper und Loacker und von Privatpersonen. Auch bei Geschäftsauflösungen wurde öfters die gesamte Ware gespendet. „Manchmal geben auch Privatpersonen eine Tasche voller Lebensmittel bei uns ab. Wir haben viele Unterstützer und sind sehr froh darüber“, berichtet Sabine Eccel.

Ohne die vierzig bis fünfzig Ehrenamtlichen würde das Konzept jedoch nicht funktionieren: Sie führen die Lagerbuchhaltung, sortieren Ware, helfen im Magazin mit und sind an den Öffnungszeiten für Kunden da. Die Freiwilligen sind gleichzeitig auch eine Anlaufstelle: Sie hören zu und tauschen sich mit den Menschen aus. Eccel unterstreicht wie wichtig es ist, allen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen: „Wir tauschen auch Rezepte aus. Menschen aus anderen Kulturen zeigen uns ihre traditionellen Gerichte. Zu vielen Personen haben wir ein sehr gutes Verhältnis“.

 

Gegen die Lebensmittelverschwendung

 

Auch die Lebensmittelverschwendung ist den Menschen hinter dem VinziMarkt ein Dorn im Auge. Dagegen unternehmen sie etwas. Sie holen von den Supermärkten der Umgebung Produkte, die kurz vor dem Verfall stehen oder bei denen das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten wurde, ab und liefern sie im Laden ab.

 

 

Die Kunden des VinziMarktes sind bunt durchmischt: Viele Einwanderer, Italiener und Südtiroler jeder Altersklasse kommen teils regelmäßig, teils nur für einen gewissen Zeitraum in die Andreas-Hofer-Straße. Manche haben keine Arbeit, andere arbeiten nur Teilzeit, einige sind in der Ausgleichskasse, manche sind alleinerziehend oder beziehen nur eine geringe Rente. Jeder wird vorher überprüft, ob er auch wirklich auf die Unterstützung angewiesen ist. Sabine Eccel ist davon überzeugt, dass alle jene Menschen, die im VinziMarkt einkaufen, diese Unterstützung brauchen: „Wie überall gibt es vielleicht ein bis zwei Personen, die unrechtmäßig bei uns einkaufen. Aber es wird kontrolliert. Unsere Kunden sind sehr dankbar und glücklich.“ Besonders ist am VinziMarkt, dass die Leute im Unterschied zu einer Lebensmitteltafel nicht ein bereits fertiges Paket bekommen, sondern sich selbst die gewünschte Ware aussuchen können. Die Bewahrung der Menschenwürde ist dem VinziMarkt ein großes Anliegen.

Armut ist, nach wie vor, vielen Menschen peinlich. Besonders Einheimische versuchen ihre prekäre finanzielle Situation sehr lange vor ihrem Umfeld zu verstecken. Die Covid-19-Maßnahmen erlauben es derzeit nur wenigen Personen gleichzeitig das Geschäft zu betreten. „Vor dem Geschäft in der Schlange zu stehen und zu warten, ist für viele Menschen mit der Sorge verbunden, von einem Bekannten gesehen zu werden. Diese Situation ist sehr schwierig für Menschen, die sich für ihre finanzielle Situation schämen. Dafür haben wir leider noch keine Lösung gefunden“, schildert die Leiterin des VinziMarktes die nicht optimale Situation.

 

Corona hat die Situation verschärft

 

Der VinziMarkt wurde im März 2019 vom Initiator Paul Tschigg eröffnet. Seitdem ist die Anzahl von Familien, die dort einkaufen, von 140 auf 200 gestiegen. Corona hat die Situation zudem verschärft: Manche wurden mit dem ersten Lockdown zu Kunden, haben im Sommer Arbeit gefunden und sind im Herbst wiedergekommen. Sabine Eccel befürchtet, dass die Auflösung des Kündigungsschutzes erneut zu einem großen Kundenanstieg führen wird.

In der Zwischenzeit machen die Freiwilligen des VinziMarktes weiter und sind für viele Menschen, nicht nur in der Adventszeit, ein Engel in Menschengestalt.

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Martin Mayr Wed, 12/23/2020 - 07:43

War gestern vor Ort und habe die nicht aufhörende Menschenschlange gesehen. Bin mit Frau Eccel einverstanden, dass die Kundenanzahl in der nächsten Zeit leider steigen wird.
Der Titel des Artikel ist genau richtig denn die freiwilligen Mitarbeitern des Vinzenzvereins
sind wirklich Engel.

Wed, 12/23/2020 - 07:43 Permalink