Culture | Weekend

"Gelebte Demokratie und Solidarität"

Ein bunter, diverser Kulturstützpunkt stellt sich vor: die Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung (SAAV).
SAAV
Foto: SAAV

Die Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung (SAAV) ist seit 40 Jahren fester Bestandteil der Südtiroler Kulturszene. Sie vertritt Interessen von Künstlern, Künstlerinnen, Schriftstellern und Schriftstellerinnen und fördert, initiiert und betreut viele Projekte. Seit Kurzem darf sich die SAAV auch über einen großen Mitgliederzuwachs freuen - eine Tatsache die vor allem auch die Geschäftsleiterin Maria Christina Hilber sehr freut. Hilber unternimmt mit uns eine kleine Zeitreise, um die vielfältigen Gesichter der SAAV kennenzulernen und vorzustellen. Was ist ihre Motivation? Welche Projekte liegen ihr persönlich besonders am Herzen? Und in welche Richtung wird  die SAAV in Zukunft gehen? Spannende Fragen, auf die noch viel spannendere Antworten warten.

 

Salto.bz: Hallo Maria, schön dass du Zeit gefunden hast, um uns ein bisschen etwas über die SAAV zu erzählen. Du bist seit 2012 ein sehr aktives Mitglied der SAAV, warst als Koordinatorin und als Vorstandsmitglied tätig und seit 2018 Geschäftsleiter*in der SAAV. Was ist die SAAV für dich?

Maria Christina Hilber: Hallo Max, danke für die Einladung. Ich freue mich, über die SAAV zu sprechen! Vielleicht erst mal allgemein; die SAAV ist eine sehr progressive, aktive und mitgliedergeführte Versammlung von über 110 Autor*innen, literarischen Übersetzer*innen und einigen Journalist*innen. Als vielsprachige Vereinigung besteht sie seit über 40 Jahren und zurzeit erlebt sie einen riesigen Zuspruch und Mitgliederzuwachs. Für mich ist die SAAV ein riesiges Lernfeld in Sachen gelebter Demokratie und angewandter Solidarität. Ständig hinterfragen wir die Durchlässigkeit unserer Strukturen, die Verteilung von Macht und die Wandelbarkeit von Rollen, um einander nicht festzuschreiben und mit Blick auf die Ziele der SAAV aktiv zu sein. Gemeinsam getragene Verantwortung für die uns umgebende Arbeits- und Lebenswelt!

 

Für mich ist die SAAV ein riesiges Lernfeld in Sachen gelebter Demokratie und angewandter Solidarität.

 

Ihr habt 2016 beschlossen, das politische Profil des Vereins zu stärken. Was bedeutet das genau und welche Anstrengungen in diese Richtung wurden bisher unternommen?

2016 ging ein Ruck durch die Vereinigung und somit auch durch die Kultur- und Literaturlandschaft der Euregio. Als ersten politischen Akt haben wir uns zusammengeschlossen, das Gendersternchen * eingeführt, den Vereinsnamen SAV um das Femininum und somit um ein A erweitert (Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung). Dazu gehört auch die dezidierte Entscheidung, Mehr- oder Vielsprachigkeit und Jugendförderung ins Zentrum unserer Agenda zu stellen. Gemeinsam mit der damaligen Vorsitzenden und unserem Vorstandsteam haben wir sehr präzise Akzente gesetzt. Wir haben Unterschriftenaktionen gestartet, beispielsweise gegen die Schließung der Brennergrenze 2016. Wir haben uns mit Schreiben an die öffentliche Verwaltung und an die gestaltenden Köpfe der Kulturpolitik gewandt, das Gespräch gesucht. Unsere Kontaktangebote wurden mit offenen Armen angenommen, auch in der öffentlichen Verwaltung. Unter Kolleg*innen allerdings noch viel mehr und dringlicher. Dabei gab und gibt es auch kritische Momente, in welchen wir auf Missstände hinweisen, an Verhandlungen teilnehmen, Handlungsvorschläge machen und Haltung demonstrieren. In den letzten zwei Pandemiejahren waren wir - wie die gesamte Gesellschaft auch - geforderter denn je. Alle sind enger zusammengerückt, wir hatten unzählige digitale Sitzungen. Das spürte auch die Struktur (und die Leute, die darin arbeiten). Es hat sich aber gezeigt, welche Bedeutung die Kontinuität und die praktische Zugewandtheit dieser Zusammenschluss von Kolleg*innen hat. Mit den anderen Interessensvertretungen (Perfas, SKB, Weigh Station, FAS, aber auch mit Partner*innen der „Freien Szene“) stehen wir spätestens seit dieser Zeit sehr aktiv im Dialog und starten bereits einige Aktionen. Ein gemeinsames Wirken so vieler Kunst- und Kulturschaffenden hat enormes Gestaltungspotenzial!

 

 

Das Casa Nang Projekt ist eine Initiative der SAAV, um neue Ideen und Zukunftsperspektiven für Kunst, Literatur, Film zu debattieren. Wie beeinflusst dieses Projekt die Arbeit der SAAV?

Für mich ist die Casa Nang ein Verdichtungsraum, welche die Grundenergien von vielen Autor*innen, ihre Intentionen und ihr Wirken bündelt. Mein persönlicher Funkensprung hin zur SAAV. Als temporäres Literaturhaus hatte die Casa Nang immer wieder ihr Zelt aufgeschlagen. Einerseits ging es schlichtweg um die Verbindung und Versammlung vieler Stimmen von Schriftstellerkolleg*innen. Sich kennenlernen, verstehen, wer wofür brennt und welche Potenziale das Terrain hat. Mit der Namenssetzung wollten wir auch eine Art Antidot gegen die neofaschistische Bewegung Casa Pound setzen. Pluralität versus Nationalismus!

Die Zusammenarbeit mit dem RAETIA Verlag war von langer Hand geplant. Wie kam sie schlussendlich zustande und was für Projekte sind geplant?

Die Förderreihe ZOOM-ED entstand aus sehr fruchtbaren Gesprächen zu Selfpublishing-Tendenzen, welche wir beobachten. Fragen wie „Wie verändert sich der Buchmarkt? Wie lassen sich Begegnungen zwischen Autor*innen und Verlagen stiften? Wie wächst ein Manuskript zum Buch? Wie kann Förderung literarischer Debüts aussehen?“, haben den Anstoß zu dieser Zusammenarbeit gegeben. Die heurige Ausschreibung läuft noch bis zum 21. Februar.

 

Eine allgemeine Erschöpfung ist spürbar, aber nun langsam auch wieder sehr viel Zuversicht.

 

Wie schätzt du die Situation von Kunstschaffenden und Autoren und Autorinnen in Südtirol ein? Gibt es noch etwas was Südtirol bräuchte, um Südtirol für Literaturbegeisterte und Schriftsteller attraktiver zu machen?

Ich denke, zurzeit gibt es mehr Angebote denn je, allerdings hat die Pandemie ihre Kerben geschlagen. Wenn Auftritte wegfallen, fallen nicht nur Kontakt und Energieaustausch, sondern vor allem auch Einkünfte vieler Beteiligter weg. Eine allgemeine Erschöpfung ist spürbar, aber nun langsam auch wieder sehr viel Zuversicht. Mit Blick in die Zukunft würde ich mir eine Verqueerung sämtlicher Strukturen wünschen. Noch mehr Diversität, noch mehr Präsenz von Künstler*innen aller möglichen Herkünfte, auch in unseren Strukturen und vor allem an den Gestaltungshebeln. Eine wirkliche Repräsentanz unserer multilingualen Gesellschaft!

Welches Projekt der SAAV liegt dir zurzeit persönlich ganz besonders am Herzen?

Ganz klar ZeLT. Europäisches Zentrum für Literatur und Übersetzung und darin das weite Feld der künstlerischen Forschung. Literatur, das Schreiben und die Recherche ist für mich eine reine Praxis des Forschens und des felderübergreifenden Wissenstransfers. Ein Herantasten an die Gegenwart, an Menschen, Zustände, Begegnungen. Ein „Sich-Berühren“, ein Herbeifabulieren, ein Verstehen, ein Umschreiben von Umständen. Dabei liegen mir der inhaltliche Dialog mit dem Bereich Public Health, die Sichtbarmachung der lauten künstlerischen Stimmen in den DisAbility Bewegungen und die Verbindung zu Erzählungen von Zweit- und Drittbeheimateten am meisten am Herzen.

Hast du ein Projekt in Kopf, dass du unbedingt mit der SAAV realisieren möchtest?

Mein erstes großes Ziel habe ich erreicht, nämlich die Vereinigung soweit strukturell aufzubauen und zu begleiten, dass sie die besten Voraussetzungen dafür hat, als gesunde Struktur weiterzuarbeiten. Zurzeit bauen wir ja um und erweitern unser Team. Ich durfte einige große Initiativen lancieren. Das temporäre Literaturhaus Casa Nang beispielsweise. Einige Jahre habe ich auch die Summer School Südtirol begleitet. Mit ZeLT. Europäisches Zentrum für Literatur und Übersetzung bauen wir nun an einer Initiative, welche über unsere Zeit hinausweisen wird. Das alles macht mich unglaublich stolz. Die Resonanz ist überwältigend und trägt über die anstrengenden Zeiten hinweg!

Was ist deine Motivation, dein warum? Warum arbeitest du jetzt bei der SAAV und wie kam es dazu?

Sobald ich als Schriftstellerin begonnen habe, dem Schreiben seine Bedeutung zuzugestehen und den Traum einer Siebenjährigen ernst zu nehmen, habe ich - weiblich, damals Anfang zwanzig - begonnen, mich mit Arbeitsstrukturen zu beschäftigen. Ich musste mich von ungesunden und überholten Künstlerbildern befreien. Verarmt, zurückgezogen, isoliert. Nein, ich will würdevoll in gesunden Strukturen, vitalen Ökonomien und pluralen, vibrierenden Beziehungen leben und arbeiten! Dazu gehört auch die mögliche Verbindung von Autorinnen- und Mutterschaft, welche für mich erst denkbar wird, wenn die Umfelder, in denen ich lebe und arbeite, dies auch unterstützen würden. Meine Arbeit in der SAAV, die enorme Solidarität von Kolleg*innen, unser gemeinsames Wirken trägt dazu bei und wird, davon bin ich überzeugt, strukturelle Veränderungen, an denen wir arbeiten, auch nachhaltig einbetten können. Das ist für mich feministische Arbeit im angewandtesten Sinne.