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Unser Walther

Wo kommt der Lyriker und Minnesänger Walther von der Vogelweide wirklich her?
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Foto: Zucc.inc
Walther von der Vogelweide (ca. 1170 – 1230) gilt als der bedeutendste mittelhochdeutsche Lyriker. Sein Werk zählt zu den Schätzen der Weltliteratur. Einige seiner Gedichte sind noch 800 Jahre nach seinem Tod beliebt. So nimmt es nicht wunder, dass sich mehrere Landschaften um das Privileg bewerben, die Heimat des großen Minnesängers zu sein.
Zu den wahrscheinlichsten Herkunftsorten zählt die einschlägige Fachliteratur Südtirol und das Waldviertel in Österreich, wo es im Mittelalter drei Dörfer mit dem Namen Walther(s) gegeben haben soll. Bei einem davon wird der Flurname Vogelweide erwähnt. 1170 und 1175 taucht ein Walther in Urkunden dieser Gegend auf.
Wesentlich reichhaltiger stellt sich demgegenüber die Überlieferung für Südtirol dar. Dort gibt es für die fragliche Zeit 76 Träger des Namens Walt(h)er, die meisten davon im Umfeld von Brixen, wo im Lajener Ried zahlreiche mittelalterliche Vogeltennen auf einen überregional bekannten Ort der Vogelbeize hinweisen. Im Lajener Ried werden 1357 zwei Vogelweide – Höfe urkundlich erwähnt, die auf einem im 12. Jahrhundert angelegten Urhof zurückgehen. Auf einem davon wird 1575 dem Walther Voglwaider ein Sohn Walther getauft. Aber bereits zu Lebzeiten des großen Dichters nennt eine Urkunde von 1203  einen Walter von Lajen und seine Söhne Walter und Gunpret. Die beiden Brüder verpfändeten damals ihr Eigengut „Moss“ in Lajen, das wie spätere Schriftstücke nahelegen, mit dem Vogelweider-Hof im Ried zusammenhing.
Es spricht einiges dafür, dass es sich bei diesem 1203 erwähnten Walter um unseren Minnesänger handelt. Dieser könnte um 1170 im Lajener Ried geboren worden sein und später im nahegelegenen Kloster Neustift seine schulische Ausbildung erfahren haben. Das Augustiner Chorherrenstift war damals ein Kulturzentrum ersten Ranges. Dort entstand laut neuester Forschung die berühmte Carmina Burana, welche Texte Walthers von der Vogelweide beinhaltet. Neustift stand in ständiger Verbindung zum Mutterhaus Klosterneuburg bei Wien, wo am Hof der Babenberger die Karriere des Minnesängers Walther von der Vogelweide begann.
 
 
Enge Beziehungen zum wahrscheinlichen Herkunftsland Walthers hatte auch Wolfger von Erla. Der Bischof von Passau und spätere Patriarch von Aquilea kann als der Lebensmensch des Minnesängers bezeichnet werden. Walther nennt ihn seinen wichtigsten Förderer, an dessen Hof „min w(e)in gelesen unde suset wol min pfanne“.
Am 12.11.1203 schenkt Wolfger „Walthero de Vogelweide“ bzw. „Walthero cantori de Vogelweide“ die Summe von fünf solidi für den Kauf eines Pelzmantels. 53 Urkunden bezeugen, dass sich der Kirchenfürst häufig in der Heimat Walthers aufhielt.
Eine enge Freundschaft verband ihn mit seinem Brixner Amtskollegen Konrad, der seine Stammburg Rodeneck mit Fresken zum kurz vorher vollendeten Iwein – Epos des Hartmann von Aue ausschmücken ließ. Vor seiner Wahl zum Brixner Bischof war Konrad Probst des Augustiner Chorherrenstift Neustift. So war wohl er es, der den ehemalige Klosterschüler Walther nach Klosterneuburg vermittelte. Ein weiterer wichtiger Hinweis auf die Brixner Gegend als Geburtsort Walthers ist der häufige Aufenthalt des Minnesängers am nahegelegenen Hof des Herzogs von Kärnten. Schließlich nennt der andere große Dichter des deutschen Mittelalters, Wolfram von Eschenbach, den von ihm als „Nachtigall“ titulierten Minnesänger in Zusammenhang mit dem schon damals hochgeschätzten Bozner Wein.
Die angeführten Hinweise stellen keinen endgültigen Beweis für eine Herkunft Walthers von der Vogelweide aus Südtirol dar. Sicher ist es jedoch, dass kein anderes der in Frage kommenden Gebiete mit ähnlich fundierten Argumenten aufwarten kann.