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Sprache, Lust und Körperlichkeit

Der weibliche (performativer) Körper. Eine Geschichte in zwei Episoden. Der Beginn ist literarisch und konzentriert sich auf das Buch "Lust" von Elfriede Jelinek.
Titelbild
Foto: Rowohlt

Welche Funktion kann der weibliche Körper in der Literatur und der Performance-Kunst einnehmen und wie wird er dargestellt? Zur Beantwortung dieser Fragen werden (in einer zweiteiligen Serie) eine Schriftstellerin und eine Performance-Künstlerin mit ihren jeweiligen Werken analysiert: die österreichischere Elfriede Jelinek und ihr Roman Lust und die serbische Marina Abramović, insbesondere ihre Performance Rhythm 0. Beide Künstler etablierten sich ab den 1970er Jahren, aber ihre Themen sind auch heute noch hochaktuell.

Wenn die Literatur zur Kunst verglichen wird, werden entsprechend zwei verschiedene ‚Erzählweisen‘ gegenübergestellt. In Lust geht es um den fiktiven Körper der Protagonistin Gerti, die auf der Textebene bleibt, mittels schriftlicher Sprache. Im Gegensatz verwendet Marina Abramović als Performerin keine Worte, um den Körper zu beschreiben, sondern setzt sie ihren Körper als Mittel ein, sodass das Publikum mit einem realen Körper konfrontiert: Es geht hier nicht um Fiktionalität, sondern um reale Handlungen und Selbstgewalt. Und es ist den poststrukturalistischen Theorien zu verdanken, dass wir Zugang zu diesen Werken erhalten, weil in Anlehnung an die Philosoph*innen des Poststrukturalismus wird es möglich, den Körper als Produkt des Diskurses und der Performativität zu betrachten. Der gemeinsame Nenner der beiden Künstlerinnen besteht daher im Potenzial des weiblichen Körpers und seiner Performativität, das normalisierte und stereotype Narrativ zu durchbrechen.

Diskurs und Gender

Der weibliche Körper steht in enger Verbindung mit der Konzepte von Diskurs und Macht, denn der Diskurs sowie die Machtbeziehungen prägen die Körper. Laut Wissenschaftler Heiko Stoff:

Diskurse, um eine handliche Definition einzuführen, sind durch Machtbeziehungen konstituierte regelhafte Aussagesysteme, die bestimmen, was sag- und wißbar ist.

Sie sind also nicht nur die gesprochene oder geschriebene Sprache, sondern sie repräsentieren eine Weltwahrnehmung, ein System des Denkens. Ganz allgemein kann man auch sagen, dass es sich um soziale und zwischenmenschliche Normen handelt, die wir anwenden, weil sie normalisiert und legitimiert sind.

Die US-amerikanische Philosophin Judith Butler, Feministin und Poststrukturalistin, findet ein enges Verhältnis zwischen Diskurs und Gender. Sie betrachtet nämlich die Geschlechtsidentität als Produkt des Diskurses und findet in dem Unterschied zwischen dem biologischen Geschecht und der Geschlechtsidentität eine diskurstheoretische Problematik. Die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen bzw. ihrer sexuellen Identität und ihren Rollen wird in der Gesellschaft, durch politische Macht und Diskurse ermöglicht, um eine hierarchische Ordnung aufrechtzuerhalten. Wie Butler feststellt, wird es nicht nur von Normen, die das Geschlecht zuzuschreiben sind, gesprochen, sondern auch von deren ständiger Wiederholung in der Zeit. Die Zuschreibung des Genders wird zu einer Notwendigkeit des gesellschaftlichen Systems, um anerkannt zu werden, denn außer der etablierten Ordnung ist es nicht möglich, akzeptiert zu sein. Es kann daraus geschlossen werden, dass die Geschlechtsidentität, ein performatives Konstrukt ist, das diskursiv ausgebildet und beibehalten wird.

Performativität

Das Konzept von Körper entwickelt sich parallel zum Performativität, da diese zwei Begriffe zusammengehören. 1955 prägte der Sprachphilosoph John L. Austin den Begriff "performativ", um bestimmte sprachliche Äußerungen zu bezeichnen, die die nicht nur etwas beschreiben, sondern einer Handlung entsprechen und vollziehen. D. h. ihre Bedeutung entspricht ihrer Wirkung im Moment, in dem sie ausgedrückt werden, wie z. B. während der Eheschließung, wenn der Ehebund zwischen zwei Personen erklärt wird. Hier kommt ins Spiel der Begriff "Performativität" nach Butler, der direkt in Bezug auf dem Körper gesetzt wird. Im Mittelpunkt von Butlers Überlegungen steht die Konstruktion von Geschlechtsidentität, deren Performativität, bzw. ihre Durchführung, sich zwischen dem sprachlichen und dem theatralischen Aspekt befindet. Durch eine Reihe von wiederholte Handlungen entsteht eine kulturelle Strategie, aus der sich Gesten ableiten, die naturalisiert erscheinen. Solche Handlungen und Gesten werden unbewusst von Subjekten vollgezogen, die nicht frei in der Umsetzung ihrer Geschlechtsidentität sind.

Körper und Literatur: Elfriede Jelinek, Lust

Lust ist ein Roman der österreichischen Schriftstellerin Elfriede Jelinek, der im Jahr 1989 veröffentlicht wurde. Im Roman geht es um die Geschichte der Sekretärin Gerti und ihres Mannes Hermann, Besitzer einer Papierfabrik, die mit ihrem Kind in einem kleinen Dorf in den Alpen wohnen. Ihr Mann wird von allen respektiert, weil er den größten Teil der Bevölkerung beschäftigt: Je mehr er im Arbeitskontext respektiert wird, desto mehr ist er ein gemeiner und gewalttätiger Mann gegenüber Gerti, die tags und nachts physische und psychische Gewalt erleidet. Gerti steckt in ihrer Rolle als Frau und Mutter fest, unterworfen und erniedrigt von der Macht eines Mannes, der sie nur als Objekt zur Befriedigung seiner sexuellen Begierde benutzt. Der Roman präsentiert in einer drastischen und harten Weise Gertis Körper, der als sexuelles Objekt betrachtet und missbraucht wird; zudem wird das Geschlechterverhältnis als Macht- und Gewaltverhältnis beschrieben, weswegen die Protagonistin oft auf ihre Körperlichkeit reduziert wird.

Die Beziehung zwischen Jelinek und der Sprache ist unauflöslich und zeigt sich in allen ihren Werken. In Lust bestätigt sie, dass sie stilistisch und sprachlich ihr Ziel erreicht hat. Elfriede Jelinek wendet sich von der literarischen Tradition ihres Jahrtausends ab und demzufolge auch vom psychologischen Roman. Ihre Werke zeichnen sich durch eine Abwesenheit des Ichs und damit der Subjektivität aus. Ihre Literaturproduktion kann sich den avantgardistischen Strömungen annähern. In Lust wird die Performativität nicht nur mit der expliziten Erzählung über Gertis Körper realisiert, sondern auch auf einer stilistischen und sprachlichen Ebene. In ihrem Schreiben spielt Jelinek mit der Sprache, verstößt oft gegen grammatikalische und syntaktische Regeln. Sie spielt mit der Sprache, sie dekonstruiert und neu zusammensetzt, um inhaltlich, stilistisch und sprachlich etwas Neues und Radikales zu schaffen. Durch bestimmte Schreibverfahren zielt die Schriftstellerin auf die Dekonstruktion sowohl der Sprache als auch bestimmter Mythen ab. Die literarischen Verfahren der Mythendekonstruktion und Intertextualität können als gute Beispiele gelten. Durch die Sprache versucht Jelinek die Macht zu demaskieren und den patriarchalischen Diskurs zu entdecken. Mythen, wie Liebe, Natur, Sexualität und Familie werden von Jelinek demontiert. Der Mythos verliert nämlich seine Macht, sobald seine ‚normalisierte‘ Narration unterbrochen wird und wenn seine Existenz in Frage gestellt wird. Es wird nämlich intertextueller Bezüge zur romantischen Lyrik hergestellt, um Gegensätze und Paradoxien zu schaffen. Jelinek enthüllt eine falsche Erzählung von Liebe und Sexualität, die immer durch die Sublimierung und Vergöttlichung der männlichen Figur und ihrer Macht beschrieben wird. Im Roman wird, eine gewalttätige Realität für eine Frau, die leidet und die nichts von der sublimen Liebe weiß, geschaffen.  

Der Roman wird als "Anti-Porno" oder "weiblicher Porno" definiert: Pornografie ist nur aus einer männlichen Perspektive, durch eine obszöne Sprache präsent, die explizit einen männlichen Machtdiskurs anzeigt. Durch die Protagonistin Gerti will die Autorin einen Körper zeigen, dessen Weiblichkeit vollkommen von einem männlichen Diskurs geprägt ist. Die Sprache wird nicht verschönert, sie ist pornografisch, aber nicht erotisch. Der Roman ist hart und störend zu lesen, voller körperlicher Gewalt und mit Begriffen aus dem männlichen Wortschatz der Boulevardpresse. Die Erzählung der Frau fällt aus, weil sie auf ihren Körper beschränkt ist, ohne eine eigene Stimme zu haben, so ist es schwierig, sich mit Gerti zu identifizieren. Es ist eine Sprache, die den Leser*innen nicht gehört und die ihnen fern ist. Die Wiederholung des Diskurses bestimmter literarischer Kanons wird unterbrochen und die Erwartungen der Leser*innen nicht erfüllt, um eine neue Narration zu schaffen. 

Teil 2 bei Salto Weekend (am Sonntag 5.9.) zur Performancekunst von Marina Abramović.