Society | Second Hand

Rezept zur Selbstheilung

“Ein Gesundheitssystem funktioniert nicht wie andere Industrien.” Der Bozner Neurologe Peter Pramstaller erklärt in der Tiroler Tageszeitung den ‘disagio’ vieler Ärzte.
Peter Paul Pramstaller
Foto: EURAC Research

Die politische Abhandlung ist Geschichte, nun geht es in die Umsetzungsphase der von Landesrätin Martha Stocker auf den Weg gebrachten Sanitätsreform. “Wir werden diesen Weg gemeinsam mit dem Südtiroler Sanitätsbetrieb gehen und den Veränderungsprozess miteinander gestalten”, kündigte Stocker Anfang der Woche an. “Miteinander”, “gemeinsam”, das wünschen sich auch zahlreiche Spitalsärzte, die sich häufig übergangen und allein gelassen fühlen – von einem Management, das Entscheidungen, das Entscheidungen nach ökonomischen und effizienzsteigernden Aspekten trifft. So zumindest sieht es der Bozner Neurologe Peter Paul Pramstaller, der im Gespräch mit der Tiroler Tageszeitung sagt: “Wir leben in einer Zeit, in der die Medizin nie mehr tun hat können für die Menschen, gleichzeitig kommt die Medizin und der Mensch zu kurz. Das ist ein Grund, warum viele Ärzte hadern mit der momentanen Situation.”

“Dabei sind aber Ärzte diejenigen, die wissen, wie man alle medizinischen Notwendigkeiten sinnvoll einsetzen kann bzw. was wirklich notwendig ist. Dadurch hat das System gelitten und in weiterer Folge leiden die Menschen: Ärzte, Krankenpfleger, aber auch Patienten.”
(Peter Paul Pramstaller)

Aus anderen Industrien importierte Abläufe – Krankenhäuser, die “meist von kaufmännischen Direktoren geleitet werden und nicht von Leuten, die aus der Medizin kommen” – eine sich verändernde Rolle des Arztes (Stichwort “Fließbandarbeit”): All das hat laut Pramstaller dazu beigetragen, dass sich viele Ärzte im Gesundheitssystem der heutigen Zeit nicht mehr zurecht finden, an körperlicher und emotionaler Erschöpfung leiden “und sogar ihre Berufwahl bereuen”, sagt Pramstaller. Diesen ‘disagio’ spürt auch der Vorsitzende der Primargewerkschaft ANPO, Hubert Messner längst unter seinen Kollegen. Doch er sei zum Großteil selbst verschuldet, meinte der Neonatologe jüngst im salto.bz-Interview. Darin stimmt er mit Pramstaller überein. Zur TT sagt dieser nämlich: “Ärzte müssen sich neben ihrer Rolle als Patientenheiler auch als ‘Systemheiler’ verstehen und helfen, dieses Gesundheitssystem nicht nur zu optimieren, sondern auch neu auszurichten.” Gerade weil Ärzte sich nie ausreichend in wirtschaftlichen Fragen involviert hätten, seien sie ins Abseits gedrängt worden, lautet die These, die Pramstaller auch in seinem im vergangenen Jahr erschienenen Buch “Rettet die Medizin – Wie Ärzte das Ruder wieder selbst in die Hand nehmen können” vertritt.

“Für Ärzte ist wichtig, dass sie sich bewusst sind, dass diese Änderung stattgefunden hat und dass es nicht mehr ausreicht, zu sagen, ich bin nur für den Patienten zuständig und der Rest geht mich nichts an.”
(Peter Paul Pramstaller)

Um das Ruder selbst in die Hand zu nehmen, wozu auch Primar Messner anregt – “sonst haben wir keine Chance” –, müssten sich Mediziner auch für Management, Rechnungswesen und Organisationsentwicklung eines Sanitätsbetriebs interessieren – und engagieren. Was aber, wenn ein Manager im Gesundheitsbetrieb diese Mitsprache gar nicht wünscht? Diese Ausrede lässt Pramstaller, der übrigens seit 2011 das von ihm mit gegründete Zentrum für Biomedizin an der EURAC leitet, nicht gelten: “Jeder Manager wird zugeben, dass er ohne Ärzte nicht wirklich etwas bewegen kann.” Was er fordert, ist “einen Systemwandel, eine kulturelle Transformation unter der Beteiligung von Menschen, denen die Medizin am Herzen liegt”. Denn: “Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird dieses System in sich zusammenkrachen. Und ebenso klar ist, dass dieses Gesundheitssystem nur gerettet werden kann, wenn ihr zentraler Kern — die Medizin und nicht die Ökonomie oder das jetzige pure Effizienzbestreben — wieder im Mittelpunkt steht.”


 

Das gesamte Interview mit Peter Paul Pramstaller, das unter dem Titel “Gesundheitswesen: Der Mensch bleibt auf der Strecke” in der Onlineausgabe der Tiroler Tageszeitung erschienen ist, gibt es hier nachzulesen.