Politics | Berlusconi

Aufstehen für Berlusconi. Nein.

Es gibt viel zu sagen, und wenig zu würdigen.
Note: This article is a community contribution and does not necessarily reflect the opinion of the salto.bz editorial team.

Ich wollte nicht über Berlusconi schreiben. Er ist tot und ich wollte ihn in Ruhe tot sein lassen. Aber die Debatte über ihn dauert an und nimmt in Südtirol groteske Züge an. Da gibt es jenen Landespolitiker, der droht die Mehrheit (in der er bisher mehr geduldet als gewollt schien), zu verlassen, weil die SVP der Beerdigung Berlusconis zugunsten des Dreierlandtags ferngeblieben war. Er erheischte damit ein paar Zeilen in ein paar Medien. Dasselbe einen Tag später, als er dann mit Pauken und Trompeten den Verbleib in derselben Mehrheit verkündet, die er für Berlusconis Andenken beinahe aufgegeben hätte.

Dennoch schien es mir, dass all dies keine Stellungnahme verdiente. Alles ein wenig bizarr, aber nichts wirklich Bemerkenswertes.

Doch dann kam die absurde Polemik gegen unsere Meraner Gemeinderätin Marlene Messner, die während der Schweigeminute für Berlusconi den Saal verließ. Eine Geste, die angesichts der nachmals gehagelten Kritik den Wert von Zivilcourage annimmt. Danke, Marlene!

Dass nun Senatorin Julia Unterberger von ihrer Partei zur Ordnung gerufen wurde, weil sie über Berlusconi gesagt hat, was über Berlusconi zu sagen ist, grenzt wirklich ans Unglaubliche. Dorfmann und Achammer distanzierten sich, LH Kompatscher erinnerte daran, dass auch unter Berlusconi etwas in Sachen Autonomie erreicht wurde. Wenn das der moralische Rahmen derer ist, die unser Land regieren, dann ist das erschreckend. Denn wer Berlusconi, erinnern wir uns an ihn? An den Mann, der den Regierungspopulismus in Europa institutionalisiert hat. Der seine politische Macht nutzte, um sein Unternehmen zu stärken und umgekehrt. Der den frauenfeindlichen Paternalismus zu einer erfolgreichen Strategie machte. Der Italien vor der ganzen Welt lächerlich gemacht hat. Der die seriösesten Frauen der Welt verhöhnte und demütigte. Der Steuerhinterziehung zu einer alltäglichen und quasi anerkannten Praxis gemacht hat. Berlusconi war all dies und noch viel mehr. Er hat die Politik verkommen lassen, er hat sie zu einem Spektakel gemacht. Einem oft widerlichen Spektakel.

Angesichts all dessen ist die Entscheidung, all das auszusprechen und für Berlusconi nicht aufzustehen, eine Realitätsentscheidung. Dass es Frauen sind, die diese Tatsachen an- und aussprechen, scheint mir bedeutsam. Berlusconi hat immer auf der Seite des allergröbsten Patriarchats agiert, und es waren die Frauen, die es als erste wahrnahmen: dass das, was als mediale und politische Modernität verkauft wurde, in Wirklichkeit eine krasse Rückkehr in die Vergangenheit war. „Die Frau ist das schönste Geschenk Gottes an die Männer“ - es ist der Satz, den ich unter Berlusconis vielen ekelhaften Sätzen persönlich am meisten verabscheue. Er steht für das Vermächtnis Berlusconis an die italienische Gesellschaft.

Es gibt viel zu sagen, und wenig zu würdigen.

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Peter Gasser Wed, 06/21/2023 - 17:26

Zitat: „Dorfmann und Achammer distanzierten sich, LH Kompatscher erinnerte daran, dass auch unter Berlusconi etwas in Sachen Autonomie erreicht wurde“;
dazu Zitat LH Kompatscher: „ „Die Rede war unangemessen und in einer Gedenkstunde unangebracht. Übrigens stimmt es zwar, dass es während der Regierungszeiten Berlusconis immer wieder Stillstand gegeben hat, andererseits hat es auch bedeutende Momente wie die Finanzverhandlungen zwischen Luis Durnwalder und der Regierung Berlusconi IV gegeben, die ihren Abschluss im sogenannten Mailänder Abkommen 2009 gefunden haben, welches immer noch von grundlegender Bedeutung für Südtirols Finanzautonomie ist“:
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Zu dieser Argumentation: man versuche, in Deutschland Hitler zu würdigen, weil er ja Menschen Arbeit gegeben und ordentliche Autobahnen gebaut hat.
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Nachmals Dank an Frau Unterberger für die Klarheit und Aufrichtigkeit Ihrer Rede.
Vergessen wir auch nicht, dass dieser Berlusconi sich noch während der russischen Gräuel im Überfall auf die Ukraine selbsterklärt als Freund Putins bezeichnet hat.

Wed, 06/21/2023 - 17:26 Permalink
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a richter Thu, 06/22/2023 - 19:51

Ich möchte nur erinnern, dass die Regierung unter Berlusconi etwas für Südtirol indirekt getan hat. Es war die Zeit der Sanktionen gegen Österreich aufgrund der rechtsextremen Regierung mit FPÖ. Fini, damals Außenminister seiner Regierung, setzte sich dafür ein, dass die diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Österreich wiederhergestellt wurden und somit ein Ende der EU Sanktionen . Auch dafür wurde er später mit einem österreichischen Orden ausgezeichnet.

Ein starkes Österreich ist auch ein starkes Südtirol. Vielleicht erinnert sich unsere Senatorin nicht oder sie hat ein selektives Gedächtnis.

Thu, 06/22/2023 - 19:51 Permalink