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„Nicht den Teufel an die Wand malen“

Ist die bildungswissenschaftliche Fakultät der Uni tatsächlich zu italienischlastig? Antworten der PhD-Studentin Barbara Gross.
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Foto: Foto:Privat

Frau Gross, Sie machen derzeit an der bildungswissenschaftlichen Fakutltät in Brixen Ihr Doktorat und haben von 2007 bis 2011 noch nach der alten Studienordnung ihr Grundstudium absolviert. Erlebten Sie dabei einen Mangel an deutschsprachigen Lehrkräften?
Barbara Gross: Ich muss sagen, mir haben damals eher die italienischsprachigen Lehrveranstaltungen gefehlt. In der alten Studienordnung hatten wir in der deutschen Sektion nur ein oder zwei Lehrveranstaltungen auf Italienisch, und das war mir zu wenig. Ich habe dann noch in Padua drei Jahre lang Psychologie studiert. Denn mir gefällt Italienisch sehr gut und mir war es wichtig, auch auf Italienisch zu studieren, um die Sprache gut zu beherrschen. Deshalb habe ich das dann außerhalb von Südtirol gemacht.

Das heißt, nicht zu wenig deutschsprachiges Lehrpersonal, sondern zu wenig Zweit- oder Drittsprache in der deutschsprachigen Sektion an der Uni Brixen?
Mittlerweile hat sich ja einiges geändert, nun wird auch in Brixen das Konzept der Dreisprachigkeit stärker gefördert, worüber ich auch sehr froh bin.

Wie sieht diese Förderung aus?
Man muss heute in der deutschsprachigen Sektion 20 bzw. 12 Kreditpunkte auf Italienisch bzw. Englisch und umgekehrt genauso in der italienischen Sektion erlangen. Am Ende des Studiums muss man in der zweiten Sprache mindestens das Sprachkompetenzniveau C1 bzw. in der Drittsprache B2 erreichen, sonst kann das Studium nicht abgeschlossen werden.

"Natürlich ist es in Südtirol immer noch ein Problem, dass wir die drei Schulsysteme haben. Denn diese strikte Trennung zwischen Deutsch, Italienisch und Ladinisch führt dazu, dass auch die Bildungswissenschaften ein bisschen zwischen den Stühlen sitzen."

Sprich, man muss fortgeschrittene Kenntnisse in der zweiten und ein gutes Mittelniveau in der dritten Sprache nachweisen. Wie wichtig ist dabei die sprachliche Zusammensetzung des Lehrkörpers?
Ich finde schon auch, dass ein gewisses sprachliches Gleichgewicht wichtig ist und dass es Professoren geben muss, die in der Muttersprache unterrichten, natürlich auch auf Englisch. Dennoch sollte diese Frage nicht politisch missbraucht werden, wie wir es in diesen Tagen wieder sehr stark erleben. Es gibt in Brixen zum Beispiel italienische Dozenten, die sehr gute Deutschkenntnisse haben. Wenn die dann, wie es auch manchmal der Fall ist, Lehrveranstaltungen auf Deutsch übernehmen, sollte man nicht zu strikt sein und deshalb den Teufel an die Wand malen. Ich finde zumindest, dass das durchaus tolerierbar ist. Nicht nur die Sprachkompetenzen sind ausschlaggebend für den Erfolg eines Dozenten, sondern auch und vor allem seine fachspezifischen Kompetenzen. Auch wenn wie gesagt der muttersprachliche Unterricht als Regel wichtig ist, schadet es nicht, wenn man in den beiden Sektionen für bestimmte Veranstaltungen auch Lehrkräfte der anderen Sprachgruppe hat. Durch diese Dozenten lernt man auch eine andere Wissenschaftskultur kennen und kann auch den Wert der Diversität besser erkennen.

Also, Lehrkräfte der anderen Sprachgruppe können auch eine Chance darstellen?
Absolut. Die Bildungswissenschaften sind oft der erste Angriffspunkt, wenn es in Südtirol um Sprachpolitik geht, weil dort eben das künftige Lehrpersonal ausgebildet wird. Doch ich finde man sollte nicht nur die Bildungswissenschaften kritisieren, denn ich kann aus persönlicher Erfahrung sagen, dass bereits viel getan wurde, wenn auch sicher noch einiges verbesserungsfähig ist. Doch man macht wirklich viel, um die Dreisprachigkeit zu fördern. Natürlich ist es in Südtirol immer noch ein Problem, dass wir die drei Schulsysteme haben. Denn diese strikte Trennung zwischen Deutsch, Italienisch und Ladinisch führt dazu, dass auch die Bildungswissenschaften ein bisschen zwischen den Stühlen sitzen...

Sie meinen, zwischen den Ansprüchen einer dreisprachigen Uni und den sprachlich getrennten Realitäten außerhalb des Campus?
Genau. Man kann das auch bei den Studierenden gut beobachten. Die wissen genau: Sie kommen aus der Uni raus und direkt in die Rangliste rein und unterrichten ohnehin nur in ihrer Muttersprache. Zumindest sofern sie nicht als Zweitsprachlehrpersonen in einer italienischen Schule aktiv werden, was aber immer noch ein geringer Prozentsatz der Absolventen macht. Und so sehen es viele Studierende leider immer noch zu wenig als Chance und als Bereicherung diesen Weg zu gehen, also eine Sprache gut zu lernen sowie die damit verbundene Kultur besser kennen zu lernen.

"Ich würde es in jedem Fall wichtig finden, dass diese Diskussionen nicht immer zu politischen Zwecken missbraucht werden, bei denen jeder nur schaut, was er für seine Partei rausholen kann statt zu versuchen, die Realität zu verbessern."

Aber das kommt eben nicht von ungefähr...
Ja, da spielen auch die Schulämter eine wichtige Rolle. Denn man bietet ja abgesehen vom Zweitsprachunterricht nicht einmal die Chance, die Dreisprachigkeit dann in der Praxis auch irgendwo zu leben. Deshalb ist diese andauernde Kritik an den Bildungswissenschaften meiner Meinung nach nicht gerechtfertigt. Denn die Fakultät in Brixen ist eben sehr stark von der regionalen Sprachpolitik abhängig und muss immer versuchen, beide Seiten, also die Sprachpolitik der Uni und jene der Schulämter, zufrieden zu stellen. Klarerweise wäre das Ziel, diese sprachlichen Sektionen irgendwann nicht mehr zu haben.

Dann müsste man wohl aber auch die getrennten Schulsysteme abschaffen....
Damit hätte man dieses Problem dann gelöst und könnte an der Uni auch sprachvergleichende Momente einführen. Zum Bespiel könnte dann das Fach Allgemeine Pädagogik auf Englisch gelehrt werden, aber dabei verglichen werden, welche Begriffe und Konzepte auf Italienisch und Deutsch anders sind. Solche Vergleiche macht man im Moment noch kaum, auch weil es die Situation einfach nicht zulässt.

In der deutschsprachigen Sektion hat man aber auch Probleme, Personal im Ausland zu finden.
Ja, ich weiß aber auch, dass es hier starke Bemühungen gibt, dieses sprachliche Gleichgewicht herzustellen. Die Schwierigkeiten der Universität, unter anderem wegen der Probleme mit den Rentenbeiträgen, deutschsprachige Professoren anzuwerben, kann allerdings auch als Chance für Südtiroler gesehen werden. Denn bislang arbeiten an der bildungswissenschaftlichen Fakultät nur wenige Professoren, die von hier stammen. Doch es wäre eine tolle Möglichkeit für Südtiroler, sich zu qualifizieren und stärker in der Wissenschaft tätig zu sein und auch ein Anreiz für Studierende, diesen Karriereweg zu sehen. Man könnte auch von Seiten des Schulamtes konkret gegen den Mangel an deutschsprachigem Personal arbeiten – indem man zum Beispiel mehr Lehrpersonen motiviert, sich weiter zu qualifizieren und in der Wissenschaft tätig zu werden. Ich würde es in jedem Fall wichtig finden, dass diese Diskussionen nicht immer zu politischen Zwecken missbraucht werden, bei denen jeder nur schaut, was er für seine Partei rausholen kann statt zu versuchen, die Realität zu verbessern.

"Es gibt in Brixen zum Beispiel italienische Dozenten, die sehr gute Deutschkenntnisse haben. Wenn die dann, wie es auch manchmal der Fall ist, Lehrveranstaltungen auf Deutsch übernehmen, sollte man nicht zu strikt sein und deshalb den Teufel an die Wand malen. Ich finde zumindest, dass das durchaus tolerierbar ist."

Es gab auch immer wieder die Kritik, dass Dozenten aus dem Ausland sich hier ein leichtes Leben machen und die Qualität der Lehre nach unten ziehen...
Ich glaube, diesbezüglich hat sich in der Zwischenzeit viel getan. Ich kenne dieses Vorurteil und es bestand sicher nicht ganz ohne Grund. Aber mittlerweile hat man eine bestimmte Qualität erreicht und versucht, diese auch aufrecht zu erhalten und weiterhin zu verbessern.

Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann selbst in Brixen zu unterrichten?
Ja, auch weil mir die Dreisprachigkeit stark am Herzen liegt. In meiner Doktorarbeit geht es auch um das Thema. Ich habe untersucht, welche Faktoren in den Südtiroler Grundschulen den Zweitsprachenerwerb beeinflussen.

Und was kam dabei heraus?
Ich habe sowohl die persönlichen Eigenschaften der Kinder als auch soziale Faktoren untersucht. Aber letztendlich kommt auch hier stark zum Vorschein, dass die Sprachpolitik ein ausschlaggebender Faktor im Fördern oder Behindern des Zweitsprachenunterrichts ist, also wesentlich über dessen Erfolg bestimmt.   

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luigi spagnolli Fri, 07/21/2017 - 11:37

Kompliment Susanne Pitro & Barbara Gross. Dieses Interview ist ein Grundstein des künftigen Landes Südtirol: ein Treffpunkt von Personen verschiedener Herkunft und Sprachen, wo die ethnischen und sprachlichen Vorurteile bearbeitet und beseitigt werden und jeder Mensch sich ein würdiges Leben aufbauen kann. Bisognerebbe tradurre l'articolo in italiano, inglese, arabo, spagnolo, slavo eccetera, e farlo leggere obbligatoriamente nelle scuole, nei Consigli Comunali e nel Landtag.

Fri, 07/21/2017 - 11:37 Permalink
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Gerhard Mumelter Fri, 07/21/2017 - 14:03

Sehr professionell und einleuchtend. Dieses Gespräch offenbart die Distanz zwischen profunder Sachkenntnis und politisch diktierten statements.

Fri, 07/21/2017 - 14:03 Permalink
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pérvasion Fri, 07/21/2017 - 14:11

Interessant... nicht nur ein mehrsprachiges Zusatzangebot sondern nichts weniger als die Abschaffung der deutschen und italienischen Schule.

Fri, 07/21/2017 - 14:11 Permalink