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Ladinisches Hexenschloss

Alte Lieder und eine alte Geschichte im Spiegel der Jetztzeit: Das Stück "Le ciastel dles stries" kommt im kleinen Gadertaler Dorf Wengen zur Wiederaufführung.
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Foto: Stefan Nagler

Bona sëra!“ – mit dieser Begrüßung, nach einem ersten Lied, beginnt das Stück "Le ciastel dles stries" (Das Hexenschloss). Es hat eine lange Geschichte und genießt im Gadertal seit Ende des 19. Jahrhunderts große Bekanntheit. Vielleicht weil es einigen damals nicht in den Kram passte, oder weil die Lieder mit volkstümlicher Ohrwurmqualität immer noch in den Köpfen der jungen Ladinerinnen und Ladiner herumspuken. „Von den rund 10 Liedern im Stück sind heute noch gut zwei Drittel landläufig bekannt“ berichtet André Comploi, der vor einigen Jahren – für seine Abschlussarbeit an der Universiät Wien – die von Angelo Trebo (Librettist) und Jepele Frontull (Komponist) 1884 fertiggestellte und uraufgeführte opereta in die deutsche Sprache übertragen hat: „Wir nennen sie opereta, weil sie die Autoren damals so genannt haben. Und das Stück hatte sicherlich die klassische Operette als Vorbild. So gibt es den gesprochenen Dialog, die Musikeinlagen, die komischen Elemente. Man kann sie aber nicht als Operette im klassischen Sinn bezeichnen, im Sinne von Jacques Offenbach, von Johann Strauß oder Franz Lehár. Es ist einfach ein musikalisches Volksstück Ladiniens, wie es durchaus im alpinen Raum verbreitet war.“

 

Zu Beginn des Originaltextes befinden wir uns in der Stube eines reichen Bauern (Jan), der von einem Jäger (Poldele) aufgesucht wird. Die beiden kommen auf den Bauernsohn Merch zu sprechen, der beschuldigt wird, Geld des Försters (Galeazo) gestohlen zu haben. Der Bauer erklärt dem Jäger, er habe seinen Sohn deshalb aus dem Haus geworfen, da sein Haus ein Ort für anständige Menschen ist, und keinen Platz für Verbrecher hat. Der beschuldigte Sohn beteuert hingegen in einem Brief, dass er nichts gestohlen habe und aufgrund der Anschuldigungen nach Amerika geflohen ist. Später wird sich herausstellen, dass Merch nicht ausgewandert ist, sondern sich im Hexenschloss versteckt hält. Dort wird er auch im Lauf des Stückes gefunden. „In dieser Geschichte sieht man genau den Charakter der Ladiner und den Aberglauben an Hexen, Geister etc. etc.“ bemerkten die beiden Autoren damals.

Mit größtem Beifall aller Anwesenden und zum Ärgernis der alten Klatschweiber

Im Winter 1884/85 hätte es zur Premierenserie von "Le ciastel dles stries" insgesamt drei Vorstellungen geben sollen. In einem Brief von Jepele Frontull heißt es: „Als alles einstudiert war, haben wir diese erste Operette am 27. Dezember und am 31. Dezember 1884 und zu Fasching 1885 im Haus zu Casun in Biei aufgeführt. Das Spiel dauerte circa zwei Stunden. Die Stube war jedes Mal zur Gänze mit Zuschauern gefüllt, obgleich Leute viel Schlechtes über diese kleine Unterhaltung sprachen.“
Der dritte Termin wurde allerdings abgesagt: „Es war wohl ein Skandal und es gibt auch verschiedene Theorien zur erfolgten Absage,“ spekuliert Comploi. Wie aus einem Schreiben hervorgeht waren möglicherweise einige Wirte neidisch, auch dass Trebo selbst bei der Uraufführung mitgetanzt hatte, könnte dem einen oder anderen Gadertaler missfallen haben, vielleicht auch die Tatsache, dass nicht alle Besucher in der kleinen Stube Platz fanden.
Neben den Vermutungen zur Absage vor über 130 Jahren, besiegelt ein liebvoller und gleichzeitig böswilliger Vermerk – verfasst in deutscher Sprache – das Originalmanuskript von Trebo/Frontull: „Mit größtem Beifall aller Anwesenden und zum Ärgernis der alten Klatschweiber.“


Regisseurin Barbara Rottensteiner Comploi hat für ihre Neuinszenierung in Wengen eine zeitgemäße Rahmenhandlung hinzugefügt. Sie zeigt drei Jugendliche, denen auf einem Dachboden das Originalmanuskript von "Le ciastel dles stries" in die Hände fällt. Durch ihr Handeln werden aktuelle Fragestellungen in das historische Stück hineingewebt, etwa „das Verbreiten falscher Gerüchte mit entsprechenden Anschuldigungen, das Vorhandensein und den Einsatz von Aberglaube, Religion und Kirche in der Erziehung, die Rolle der Frau in der Gesellschaft und in der Literatur, oder die Bedeutung von Geld.“

Das Geld, das zieht an: Für Geld würden wir mit Hexen tanzen und ins Feuer springen!

Zu Beginn des dritten Aktes spielen die Diener und Mägde das Kartenspiel Batadú (Watten) was den reichen Bauern Jan zu einem kleinen Monolog über das unbekümmerte Leben seiner Bediensteten animiert, die ja „ein leichtes Leben führen und nicht wie er Verantwortung und Sorgen haben.“

 

Nachdem "Le ciastel dles stries" in den 1960er Jahren zwei Aufführungen in Wengen erlebte, wurde es nun zum 60. Geburtstag des Theatervereins wieder ausgegraben. Im Unterschied zu den drei Aufführungen Mitte der 1880er in Biei wurde allerdings nicht eine Aufführung gestrichen, sonderen es kam wegen des großen Andrangs eine Aufführung hinzu. „Wir sind überglücklich, dass unser Projekt so gut ankommt“ jubelt die junge Präsidentin des Theatervereins Wengen Silvia Costabiei.
Das Stück ist noch am heutigen Freitag, am morgigen Samstag und am Sonntag zu sehen.