Economy | Interview

Nachhaltigkeit ist Mode

Michael Klammsteiner ist kein gewöhnlicher Modemacher: Er arbeitet auf Maß, wobei auch das innere Leben seiner Kunden Form, Schnitt und Farbe beeinflusst.
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Foto: Michael Klammsteiner

„Was wir an uns tragen, ist unsere zweite Haut. Und die gilt es zu erleben und zu spüren“, so Michael Klammsteiner, ein Südtiroler Künstler und Modemacher, der viel gereist ist und dabei noch viel mehr gesehen und gelernt hat. Seine Erfahrung bringt er in seine Heimat zurück und zeigt vor, wie man Mode nachhaltig gestalten kann.

 

Salto.bz: Die Modebranche verursacht jährlich mehr CO2 als alle internationalen Flüge und Kreuzfahrten zusammen. Gleichzeitig verseucht sie die Umwelt mit Mikroplastik und Chemikalien und beutet Arbeiter*innen in Billiglohnländern skrupellos aus. Es braucht einen Wandel. Kommt er auch?

Michael Klammsteiner: Die Modebranche, hat die Welt in den letzten Jahren sehr verschmutzt; von der Herstellung bis zur Wegwerfkultur. Deshalb muss sich in der Mode etwas tun, damit sich der ganze Weltzyklus verändert. Das braucht natürlich seine Zeit, aber in den letzten drei Jahren hat sich schon viel getan. Ein Bewusstseinswandel findet statt.

Wie kommt es zu diesem Bewusstseinswandel?

Der Klimawandel und die Naturkatastrophen haben deutlich gemacht, dass sich etwas ändern muss. Nicht nur in der Mode, sondern auch in anderen Bereichen wie der Autoindustrie oder der Architektur wurde immer auf Masse, Schnelligkeit und Kostenreduzierung gesetzt. Die Menschheit war auf der falschen Spur. Damit wurde nicht mehr auf die Umwelt geachtet und die Menschlichkeit ging verloren. Das System funktioniert nicht mehr, es braucht mehr Nachhaltigkeit.

 

Das System funktioniert nicht mehr, es braucht mehr Nachhaltigkeit.

 

Worum geht es dir bei deiner Mode und was macht sie nachhaltig?

Mir geht es bei meiner Mode um das Menschliche und den Einklang von Mensch und Natur. In Südtirol ist Lama- und Alpakawolle sicher das verbreitetste Material, darum verwende ich es gerne. Zudem ist es pestizidfrei und wird deshalb auch häufig für Babykleidung verwendet. Auf dem Ritten gibt es beispielsweise einen Bauern, der rund 200 Tiere hat! Es gibt aber auch sonst eine große Bandbreite an Materialien, die es zu entdecken gilt. Ich nutze beispielsweise Naturheu von einem Öko-Bauern zum Kissenbefüllen.

Neben der Nachhaltigkeit beschäftigst du dich auch mit tiefgründigen Fragestellungen, die sich dann in deinen Teilen wiederfinden, kannst du uns ein Beispiel nennen?

Der Ursprungskern, aus dem wir alle entstanden sind, hat mich immer interessiert und prägt meine Arbeit. Ich hatte einen Moment, in dem ich mich sehr mit dem Sinn des Lebens beschäftigt habe. Ich glaube das hat jeder mal, früher oder später. So kam ich zu verschiedenen geistigen und spirituellen Ansätzen wie der Blume des Lebens. Sie ist die Formel, aus der das ganze Leben entsteht und hat meine Arbeit stark beeinflusst.

 

Ein tiefgründiges Modekonzept, das einer Erklärung bedarf. Wie schaffst du es diese Botschaft an deine Kunden weiterzugeben?

Deswegen habe ich mich entschieden kleiner zu sein, immer auf Messen zu gehen, wie zuletzt auf die BioLife in Bozen, und persönlich mit den Kunden zu arbeiten. Ich bin derjenige, der dem Kunden die Kleidung anschmiedet und die Form richtig überträgt, damit der Kunde das Passende findet. 

„Anschmieden“, eine interessante Wortwahl…

Ja, das kommt vielleicht daher, dass ich gelernter Schlosser bin. Ich war erst Schlosser und schmiede bis heute noch selbst Teile wie Knöpfe oder Verschlüsse.

Spannend, wie ging deine Reise weiter?

Ich habe dann als Grafiker gearbeitet, habe mich aber immer mehr im künstlerischen Bereich bewegt. Später bin ich weggegangen, erst nach München zur Modeschule und danach nach Berlin. Nach dem Abschluss kam die erste Herrenkollektion, dafür habe ich die „goldene Nadel“, einen Abschlusspreis, gewonnen. Dann habe ich einige Reisen unternommen, war in Portugal, Maastricht und längere Zeit in London bei verschiedenen kleineren Künstlern, bis ich am Ende wieder nach Südtirol zurückgekommen bin.

Was haben diese Erfahrungen mit dir gemacht?

Sie haben mich dazu inspiriert, das zu machen, was ich gefühlt habe, als ich von der großen Stadt ins kleine Nest zurückgekommen bin. Ich habe mir angewöhnt nach meinem Rhythmus zu leben um meinen Weg zu gehen. Wenn man jung ist, überfordert man sich oft, will alles tun und probieren. Bis man fühlt, dass man seinen eigenen Weg, der gut für einen ist, gefunden hat. Ich will keine Sachen machen, nur um Geld zu verdienen. Deshalb habe ich mich umgestellt und nach mittlerweile fünf Jahren funktioniert das sehr gut. Ich habe einzelne Boutiquen, wo ich Teile ausstelle und ich arbeite nur mit Unternehmen zusammen, die eine nachhaltige Strategie verfolgen. Mittlerweile habe ich ein Netzwerk von grünen Köpfen, von Künstlern über Architekten und Bauern. Gemeinsam möchten wir etwas bewegen. Es geht darum sich für ein großes Ganzes zu verbinden.

Wo trifft man dich an, wenn du nicht gerade arbeitest?

Ich sage immer „Ich bin entweder im Atelier oder im Wald.“ (lächelt) Ich habe zwar auch eine Wohnung in Bozen, aber dort bin ich praktisch nur zum Schlafen. Mein Atelier dient als kreativer Raum, in dem ich meine Sachen zeichne, gestalte und umsetze. Es schenkt mir Ruhe von dem Sturm der Welt. Das brauche ich, damit neue Sachen entstehen können. Hier habe ich auch verschiedene Naturfasern und Pflanzenarten ausgestellt, damit man sich alles ansehen kann, es anfassen und spüren kann. Meine Kunden können persönlich zu mir kommen, um die Stücke mit mir zu besprechen. Ich mache Maßschneiderei, aber nicht im klassischen, sondern in meinem Sinne.

Das heißt?

Das bedeutet, ich schaue mir an, was für ein Typ Mensch vor mir steht. Es findet eine Typ- und Stilberatung statt, aber auch eine Menschenlesung, die ins Innere geht. Welche Art von Leben hat der Mensch? Welche Kleidung braucht er? Was ist er gewohnt? Ich lese das ab und darauf basierend werden Farben, Stoffe und Muster sowie Zweck der Kleidungsstücke entschieden. Man kann sich bei mir beraten lassen, aber sich auch selbst neu entdecken. Das Kleidungsstück entsteht gemeinsam und soll Begleiter für Körper, Geist und Seele, also für eine längere Zeit sein.

 

Der Gedanke dabei ist die Umwelt nicht mehr zerstören, in anderen Worten, keine Ressourcen mehr rauben.

 

Was steht zurzeit bei dir an?

Nach der Messe habe ich immer ganz neue Impulse und Eindrücke, ich bin ja sonst ein ganz ruhiger Mensch. Ich genieße und brauche diese Ruhe auch, damit neue Sachen entstehen können. Ich mache jetzt eine neue Linie. Ich bin zwar nachhaltig, aber ich will noch nachhaltiger werden. Dazu gehören neue, innovative Fasern, die dem Zero-Waste-Prinzip entsprechen. Der Gedanke dabei ist, die Umwelt nicht mehr zu zerstören, in anderen Worten, keine Ressourcen mehr zu rauben.

Wie kann man sich das vorstellen?

Das heißt, ich gehe nicht in den Wald und hacke einfach einen Baum, weil ich das Holz brauche. Sondern ich nehme eher die Rinde, die Blätter, also alles was abfällt. So setze ich das auch in der Mode um. Ich nutze die Beifallprodukte, z. B. die Bananenfaser vom Stamm oder die Wildseiden von Kokons, aus denen die Tiere natürlich schlüpfen und nicht abgekocht werden. Oder die Milchfaser, von überschüssiger Milch, die sonst weggeschüttet wird. Da sind Proteine und verschiedene andere Stoffe enthalten aus denen Faser gewonnen werden kann. In diesem Bereich gibt es mittlerweile ganz viele Möglichkeiten.

 

Ein heikles Thema sind die Färbemittel. Bist du auch hier nachhaltig unterwegs?

Ja, ich färbe nur mit Naturfärbematerialien wie Wurzeln und Blüten. Ich mache es nicht nur wegen der Qualität der Farben, die super sind, sondern weil ich den Menschen mit der Natur verbinden will, mit der Lebendigkeit, die diese Farben enthalten. Damit möchte ich symbolisch auf die Kraft der Natur aufmerksam machen, durch die wir die Urkraft in uns wiederentdecken. Wir Menschen sind nicht nur ein Teil der Natur, wir sind die Natur und Mutter Natur schenkt uns alles.