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Foto: salto
Politics | Wir und unsere Nachbarn

A bissel europäischer Geist

Es freut mich, dass „banale Fragen“, die Thomas Benedikter stellte, zu einem nicht ganz so banalen Dialog führen, für den ich übrigens höchst dankbar bin. Es gibt da in der Tat einige Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Es lohnt sich, daran zu arbeiten. Ich möchte deren Weisheit und Weitsicht nicht für mich beanspruchen, aber ich wünsche mir Konrad Adenauer und Charles de Gaulle als Paten in unserer Diskussion, die unser Denken im europäischen Sinne beeinflussen mögen.

Einem Missverständnis möchte ich sofort vorgreifen: selbstverständlich muss jegliche Veränderung auf dem demokratischen Wege zu Stande kommen, je direkter die dabei angewandte Demokratie, je lieber ist es ja auch mir. Europaregionen sind auch für mich kein erstrebenswertes Ziel, wenn sie nur „von oben“ installiert werden und deswegen bestenfalls für Sonntagsreden taugen. Mit Verlaub darf da auf einen politischen Führungsstilwechsel ab dem heurigen Herbst wenigstens gehofft werden. Ich werde auch nicht müde, die lokalen Medien auf die Wirkung ihrer allzu lokalen Berichterstattung hinzuweisen.

Ich muss aber wohl noch explizit darauf hinweisen, dass mir keinerlei Anzeichen für Pläne vorliegen, dass die derzeitige Regierung Letta die betroffene Bevölkerung befragen möchte, ob sie denn mit der Auflösung der eigenen Provinz einverstanden ist. Wenigstens im Falle Bellunos und Sondrios glaube ich vernommen zu haben, dass die Bevölkerung keineswegs erfreut ist. Dem Beitrag von Thomas Benedikter könnte man einen gewissen Optimismus entnehmen, dass sich Italien in absehbarer Zeit zu einem modernen, föderalen Staat wandeln würde. Ob denn der von Brugger und Zeller 1996 eingereichte Entwurf mitten in der Wirtschaftskrise eine Renaissance erleben wird, darf zumindest angezweifelt werden.

Deshalb bitte ich, meine Argumentation im Lichte der derzeitigen Situation Italiens zu betrachten und nicht aus einer optimistischeren Pre-Wirtschaftskrise-Perspektive. Bei etwaigen Entwicklungen auf Staatsebene wäre ich gerne bereit, meine Argumentation neu zu bewerten.

Ich erlaube mir, zu einzelnen Punkten Stellung zu nehmen und bin mir bewusst, dass das Format Salto hierzu nur bedingt geeignet ist und bitte um Nachsicht, wenn die herausgerisse Form unpassend wirkt.

TB: „den Südtirolern ist 1947/48 die Region Trentino-Tiroler Etschland aufgezwungen worden, 1972 und 2001 ist die Rolle der Region wesentlich zurückgebaut worden. Sollten sich die Südtiroler 2013 freiwillig in eine noch größere territoriale Einheit einfügen, mit der sie geschichtlich und politisch noch weniger zu tun haben?

In der Tat wurde uns die Region aufgezwungen, aber es ist zu kurz gedacht, wenn man sich der Geschichte nur bis 1947 zurückbesinnt. Als Bozner bin ich mir bewusst, dass meine Heimatstadt einen Großteil seiner nicht allzu schlechten Geschichte unter dem Bistum Trient verbracht hatte. Dieses „noch weniger“ klingt da irgendwie höhnisch, was ich schade finde.

Das heutige Trentino teilt in vielem Erlebten, auch Erlittenen unsere Geschichte. Nicht ganz zu Unrecht wurde damals dem Trentino der Wunsch nach Autonomie stattgegeben. Selbstverständlich hatte die nationalistische und touristische Entwicklung im ausklingenden 19. Jahrhundert zu einer ethnischen Polarisierung geführt, deren Folgen unter dem Faschismus zur ethnischen Bedrohung wurden und letztendlich dieses „Los von Trient“ notwendig gemacht hatten. Im post-nationalen Sinne finde ich es aber erstrebenswerter zu pre-nationalem Zusammenleben zurückzufinden, anstatt die Wunden besagter Jahrzehnte in den Vordergrund unserer Zukunftsgestaltung zu setzen.

Außerdem finde ich persönlich es völlig unpassend, unsere Zukunftsgestaltung davon abhängig zu machen, wie unisono die gemeinsame Geschichte verlaufen ist. Wenn De Gaulle und Adenauer in Reims nach dieser Prämisse gehandelt hätten, wäre der deutsch-französische Tomahawk immer noch nicht begraben. Meine Visionen orientieren sich primär am gemeinsamen Interesse und Potential und nicht an politischen Ist-Zuständen.

TB: „Autonomie hat nicht den Zweck, einer anderen Region beim Bestreben nach mehr Eigenständigkeit zu helfen, Allianzen mit Nachbargebieten gegen den Zentralstaat zu schmieden, die interrregionale Zusammenarbeit zu fördern usw.“

Natürlich hat sie das nicht. Autonomie ist aber auch nicht sinnvoll, wenn sie ein Volk/Gebiet/usw. in einen Zustand treibt, sich nur noch mit sich selbst zu beschäftigen. Autonomie steht weder in direktem noch konträrem Zusammenhang mit interregionaler Verantwortung. Vor allem heißt Autonomie nicht Isolation!

TB: „Wenn man alle Regionen mit den nötigen Befugnissen ausstattet, können sie jederzeit freiwillig zusammenarbeiten soviel sie wollen.“

Bitte um Aufklärung, mit welcher bellunesischen Körperschaft wir denn zusammenarbeiten könnten, wenn die Provinz Belluno wir vorgesehen einmal abgeschafft worden ist ?

TB: „Damit sind wir beim Trentino, … Warum sollte Südtirol Einfluss auf andere Regionen haben?“

Noch ist Trentino keine andere Region, sondern Partnerprovinz in unserer. Bei einer Trennung sollte einem doch auch das Wohlergehen des Ex-Partners am Herzen liegen. Nicht? Vielleicht bin ich da zu weltfremd.

TB: „Man könnte schon mal dagegen halten: die Trentiner Autonomie liegt in der Hand der Trentiner, nicht der Südtiroler.“

Darf ich da an den europäischen Gedanken erinnern, dass wir alle füreinander verantwortlich sind, und zwar nicht nur aus Nächstenliebe sondern letztendlich im ureigensten Eigeninteresse?

TB: „Dass das Trentino in die Region Veneto einverleibt würde, ist Schwarzmalerei, und würde den demokratischen Grundsätzen und Verfahrensregeln der italienischen Verfassung krass zuwiderlaufen.“

Natürlich ist ein pessimistischer Blick. Nur, wir alle haben im kriselnden Südeuropa Aktionen zweifelhafter demokratischer Natur miterlebt und ich wüsste nicht, wer sich für den optimistischen Ausgang verbürgen würde. Trentinos Lobby ist denkbar klein und noch kleiner ist Roms Interesse an weiteren autonomen Regionen.

TB: „Als Belluno wie auch einige Grenzgemeinden Venetiens vor einigen Jahren den "Anschluss" an Trentino-Südtirol forderte, lehnte die SVP mit der Begründung ab: jede territoriale Ausweitung der Autonomie Südtirols untergräbt unseren verbrieften Sonderstatus, gestützt auf einen völkerrechtlichen Vertrag.“

Da widersprechen wir uns ja nicht. Es gibt überhaupt keinen Grund für territoriale Ausweitung der Südtiroler Autonomie, evtl. mit der Ausnahme von Fodom, Col und Cortina. Wenn der schützende, völkerrechtlich Vertrag es zulässt, uns von Trentino zu trennen, warum soll er es nicht zulassen, eine weitere Autonomie in unsere Region mit aufzunehmen? Belluno soll wie Trentino seine eigene Autonomie bekommen. Die Region wäre ja nur der Rahmen der drei eigenständigen Autonomien.

Trentinos Autonomie ist meines Wissens nicht völkerrechtlich verbrieft und ein Anschluss anderer Gemeinden ans Trentino kann somit wohl kaum unsere Südtiroler Autonomie beeinflussen. Sollte es diesbezüglich tatsächlich juristische Bedenken geben, wäre die Verfassungsreform beste Gelegenheit, die Statuten zu verbessern.

TB: „Eine Region als bloß formaler Rahmen für drei voneinander unabhängige Autonomiesysteme ist überflüssig. 2, 3 oder mehrere autonome Regionen können nach Gutdünken zusammenarbeiten, wenn der Staat dies erlaubt und die jeweilige Bevölkerung das demokratisch so wollen.“

Mit der Theorie bin ich da einverstanden. In der Realpolitik erleben wir aber, dass es in keinster Weise absehbar ist, dass Belluno den Schritt zur eigenen Autonomie schaffen wird. Unsere in diesem Sinne überflüssige „Rahmenregion“ hätte den Zweck, dem Belluno als Anker zu dienen, da der Schritt zur Autonomen Region noch wesentlich schwieriger ist, als der Schritt zur Autonomen Provinz. Belluno ist nach Montis Logik zu klein, um eigenständige Existenzberechtigung zu haben. Prinzipiell könnte, wie andiskutiert, auch das Trentino alleine diesen Anker bieten, wobei ich dieses Szenario X aber für wesentlich weniger schlagkräftig und für uns weniger vorteilhaft sähe, als die Tripple-Autonomie. Südtirol hat eben die besten Trümpfe in der Hand und kann diese so oder anders einsetzen. Verantwortung zu übernehmen, wäre eine der Möglichkeiten.

Nach der Eingliederung Bellunos ins Veneto wird es natürlich viel schwieriger werden, jemals eine Zusammenarbeit der drei heutigen Provinzen zu bewerkstelligen. Das hatte ich als das Rad der Geschichte bezeichnet, das sich weiter dreht.

TB: „… zugespitzt: ich glaube nicht, dass die Südtiroler sich morgen von einer Mehrheit von Venezianern, Trentinern und Friulanern regieren lassen wollen. Und wenn die neue Region nichts zu entscheiden hätte, kann man sich diese zusätzlichen "poltrone" von vornherein sparen (wie beim Trentino).“

Der Reihe nach: ich sprach nur mit Zusammenarbeit mit dem Friaul, nicht von einer Union. Wenn das Andere so gemeint ist, die sich gegen die Eingliederung ans Veneto wehrenden Belluneser, oder die sich für Eingliederung ans Trentino ausgesprochenen Menschen des Altopiano als Venezianer zu titulieren, dann gehe ich davon aus, dass sich die Angesprochenen abwertend angesprochen fühlen und möchte mich davon distanzieren. Bitte evtl. einfach klarstellen, wie das gemeint war. 

Natürlich könnte keine derlei Mehrheit in einzelne Autonomie eingreifen und die paar „poltrone“ könnte uns die reichende Hand bzw. der obige Anker schon wert sein.


Italien steht vor einer Verfassungsreform und wir sollten diskutieren, wieviel Verantwortung Südtirol bereit ist, zu übernehmen. Wir können uns zu Vertschüsser, Mitschwimmer, Kirschennascher oder eben Leader entscheiden und dann versuchen, der Rolle so gerecht wie möglich zu werden.