Politics | Istanbul

Madonna mit Schwimmweste

In der Sankt Antonius Kirche in Istanbul haben die Franziskaner eine Krippe mit Gegenständen und Kleidungsstücken toter Flüchtlinge ausgestellt.

Die katholische Sankt Antonius Kirche im Zentrum von Istanbul ist eine Touristenattraktion. Tausende von muslimischen Besuchern zieht es in die vom Franziskanerorden geleitete Kirche, die von Papst Johannes XXIII, von Johannes Paul II und im vergangenen Herbst von Papst Franziskus besucht worden war. 

Sie ist kein besonderes architektonisches Kunstwerk und ist zudem mit neonblauen Lichtern ausgestattet, die mich fast aus dem Gotteshaus vertrieben hätten. Dazu kommt der italienische Kinderchor, der bei der 11 Uhr Sonntagsmesse aufsingt und der kaum einen richtigen Ton trifft. 

Doch eine katholische Kirche hat grundsätzlich mehr zu bieten als eine Moschee: Bilder, Figuren, Tabernakel und zu Weihnachten: die Krippe. Deshalb das Interesse der Andersgläubigen.

Julian Pista, der dem Istanbuler Franziskanerkloster vorsteht, hat heuer eine besondere Krippe aufbauen lassen. Den lebensgroßen, sehr konventionellen Figuren von Maria, Josef, den Hirten und den Heiligen Drei Königen wurden Schwimmwesten toter Flüchtlinge übergeworfen.

Foto: Ivan Sottile

Im Stroh ausgestellt: Gegenstände von ertrunkenen Flüchtlingskindern, kleine Schuhe, Kinderkleider, Puppen. Ein herzzereißender Anblick , der schockiert und betroffen macht.

Auch die Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak, die bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland ertrunken sind, hätten nach einer neuen Herberge gesucht - wie Maria und Josef, erklärt Pater Pista den Menschen, die ihn fragen, wie er auf diese Idee gekommen sei.

Seitdem die türkische Mafia - wie die italienische und die albanische - erkannt hat, wie lukrativ das Geschäft mit den Flüchtlingen ist, sterben täglich Dutzende von Menschen im ägäischen Meer. Billige, oft defekte Gummiboote werden an die verzweifelten Menschen verscherbelt. Gefälschte syrische Pässe für tausende Dollars werden zum Verkauf geboten.

Viele Familien verlieren ihr gesamtes Vermögen bevor sie ins vermeintlich sichere Europa aufbrechen und sofort zurückgeschickt werden oder auf dem Weg dorthin sterben.

Foto: Ivan Sottile

Grenzenloser Zynismus seitens der EU und der Türkei macht aus den Flüchtlingen eine Tauschware: Drei Milliarden Euro hat die EU anstandslos an die Türkei überwiesen, damit diese den Flüchtlingsstrom aufhält. 

Doch immer, wenn das türkische Regime in Schwierigkeiten gerät oder von der internationalen Gemeinschaft wegen der Kurdenmassaker oder der Verletzung elementarer Menschenrechte gemassregelt wird, öffnet Ankara die Flüchtlingsschleuse. 

Dem europäischen Zynismus zuzuschreiben ist auch die Legende, wonach es den syrischen Flüchtlingen in der Türkei gut gehe. Die EU redet sich das ein, um sich vor der Verantwortung zu drücken - etwa so, wie es sich nahe Anverwandte aus Bequemlichkeit einreden, ihren Eltern gehe es in einem Altersheim besser als zuhause. 

Statt endlich die Ursache des Flüchtlingsstroms, den schrecklichen Bürgerkrieg in Syrien zu beenden, überbieten sich die NATO , deren arabische Anhänger und Russland in verheerenden Kriegsspielen.  

Den Islamischen Staat haben sie noch immer nicht besiegt - schließlich brauchen sie einen glaubwürdigen Feind, um die mit Waffensystemen verpulverten Milliarden zu rechtfertigen. Wie hiess es doch auf den Protestplakaten der Bürger von Aleppo, die alle bisherigen Bombenangriffe überlebt haben : "Amerikaner, Russen und Franzosen, kommt ruhig weiter hierher, um die Kämpfe zwischen Euch bei uns auszutragen: Luft und Land sind hier ja gratis."