Culture | Gewalt an Frauen

Aufstehen für Frauen

Gestern Abend setzten Julia Ganterer und Riccardo Angelini im Waaghauskeller spannende Impulse für eine Publikumsdiskussion zum Thema Gewalt an Frauen und Auswegen.
Stand Up - Gewalt gegen Frauen
Foto: SALTO
  • Den Anfang des in Film-Lesung-Diskussion dreigeteilten Abends sollte der Kurzfilm „I love you“ Angelinis von 2022 machen, der von Februar auf März letzten Jahres eine Woche lang als SALTO-Film der Woche gestreamt werden konnte. 

    Der Kurzfilm erzählt eine Gewaltszene in einer Beziehung und nutzt als Kunstgriff allein die Worte „I love you“ als Dialog. Subtext wie Körpersprache und Tonfall treten in den Vordergrund, den beiden Schauspielern im Film - Angelini und seiner Freundin Laura Rauch - bleibt nur, den Streit physisch zu spielen. Mit einem Fade to Black wird die Gewalt thematisiert, nicht gezeigt. Die Botschaft, die am Ende des Films auch ausgesprochen wird, ist einfach aber daueraktuell. Sie darf wiederholt werden: Gewalt darf nicht mit Liebe gleichgesetzt werden.

    Julia Ganterer, Expertin auf dem Gebiet Gewalt an Frauen und in Beziehungen, steuerte zum gemeinschaftlichen Format „Stand Up“ ein Buch bei. „Ja, das bin ich und das ist meine Geschichte“ - Frauen und ihre Wege aus der Gewalt ist bei Raetia erschienen und sammelt acht Erfahrungsberichte, beziehungsweise Interviews, die Ganterer in der Vorbereitung ihrer Doktorarbeit mit Frauen geführt hat, die Gewalt erfahren haben. Herausgekommen ist keine Habilitationsschrift sondern ein ausgesprochen niederschwelliges Buch, das die fachfrauliche Meinung der Autorin delikat und verständlich anbringt, ohne zu werten.

    Als Exzerpt wurden vier Schicksale in einer dreiköpfigen, szenischen Lesung präsentiert, für welche die Autorin Unterstützung von Angelini und Rauch bekam. Die Geschichten von Leni, Marlene, Resi und Sieglinde geben dabei Einblick in die Perspektive jener Opfer, die den Schritt auf ein Frauenhaus oder eine andere Hilfsleistung machen konnten. Es geht um Frauen denen geholfen werden konnte.

  • Stand Up: Mögliche (Aus)wege lassen sich für die Initiatoren der Kampagne nur finden, wenn allen Menschen, unabhängig vom eigenen Geschlecht, das Thema ein ernstes Anliegen ist. Foto: Julia Ganterer und Riccardo Angelini

    Dabei geht es der Autorin auch darum, verschiedene Formen der Gewalt - die sie allgemein nach psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt unterscheidet - auf Muster hin zu betrachten. Leni, mit ihren verbalen Gewalterfahrungen alleine gelassen, schafft es erst nach dem Tod ihres Mannes, als „die Kinder aus der Schusslinie“ waren, über das Erlebte zu sprechen. Obwohl Karl Alkoholiker und auch zwei Mal physisch gewalttätig gegenüber Leni wurde, beginnt die Schuldsuche der Frau bei ihr selbst. Die Autorin unterstreicht, dass der emotionale Missbrauch sich vor allem beim Selbstwertgefühl niederschlägt.

    Marlene, mit 14 vom Vater missbraucht, sieht die Gewalt auch in ihren Beziehungen zu anderen Männern gespiegelt. Ihre Geschichte ist am Abend wohl jene, die am knappsten an einer Katastrophe vorbei verlief und erzählt auch eine dramatische Flucht in die Öffentlichkeit.

    Das Beispiel von Resi schockiert vor allem durch gängiges Recht in Italien, das dem Vater auch im Falle einer Verurteilung, selbst wenn die von ihm verübte Gewalt sich auch gegen die Kinder gerichtet hat, ihm dennoch ein Besuchsrecht zustehen würde.

    Im Falle Sieglindes zeigt sich, dass Gewalterfahrungen zwar zeitlich und räumlich schwinden und somit Distanz entsteht, aber die Spuren nicht gänzlich verschwinden. Im Publikum entstand, nachdem die Lesung schloss und Oliver Sparber, Direktor der Familienberatungsstelle KOLBE zum Trio dazu stieß, einen Moment lang das klassische „Nicht alle auf einmal“, bevor das Gehörte einen Moment sacken konnte.

    Aus dem Publikum wurden praktische und spannende Fragen gestellt, die bei den Möglichkeiten des Einzelnen beginnen, etwas gegen Gewalt an Frauen und in Beziehungen zu unternehmen. Julia Ganterer gibt weiter, was ihre Gesprächspartnerinnen sich wünschen, beziehungsweise brauchen. Sie rät dazu, mehr über das Thema zu sprechen und hinzuschauen. Gegenüber Betroffenen rät sie zum Zuhören und Dasein, nicht aber dazu, jemanden zu etwas zu drängen. Oliver Sparber berichtet von seiner Warte aus, jener der Arbeit mit männlichen Tätern und Opfern, und unterstreicht dabei, dass schneller reagiert werden müsse, besonders die Übergabe-Situation der Kinder sei oft auch ein Punkt, an dem es zu Gewalt kommen könne. Im Schnitt brauche es 7 Anläufe bis einer Frau, die aufgrund von Gewalt in der Beziehung Hilfe sucht, effektiv geholfen werde, da hieße es „ernst nehmen“ und „dran bleiben“.

    Julia Ganterer teilte, mit der Situation in Innsbruck vertraut, die Einschätzung mit, man würde hinter den Nordtiroler Kolleginnen und Kollegen hinterherhinken, wenn es um die Angebote und Anlaufstellen für betroffene Personen gehe. Auch monierte sie, dass es um ein Vielfaches leichter sei, die Istambul-Konvention zu ratifizieren (oder aus dieser wieder auszusteigen), als Schritte in der Umsetzung zu realisieren.

    Eigentlich finde aber, und da waren sich viele im Saal einig, die eigentliche Arbeit noch zu wenig statt. „Das was wir machen, ist nur Nachbereitung.“, stellt Angelini fest. „Es ist ein Anfang, um etwas zu machen.“ Was man derzeit brauche sei, so Ganterer, ein Wegkommen von einer Täter-Opfer-Umkehr. „Schuld am Auseinanderbrechen einer Familie hat der Täter, nicht wer Meldung erstattet.“, brachte sie es auf den Punkt. Gegen Ende scherzte sie kurz, dass sie ihr nächstes Buch über Männer und ihre Wege nicht in die Gewalt schreiben müsse.

  • Termine: "Gewalt gegen Frauen: Stand up!"

    8.4.2024 – Schule / Hannah Arendt Meran
    11.4.2024 – 19.30 Uhr / Bibliothek Lana
    12.4,2024 –19.30 Uhr / Bibliothek Ulten