Culture | Salto Weekend

Wem gehört unser Leben?

Im Theaterstück „Gott“ von Ferdinand von Schirach finden sich viele verschiedene Antworten auf diese Frage. Doch keine davon ist ausreichend für mich.
Gott7
Foto: VBB

„Gott“, eine Aufführung der VBB, behandelt den assistierten Suizid, ein Thema, natürlich kontrovers, kompliziert und verwirrend, wie immer, wenn es um den Tod und das Sterben geht - die Meinungen sind sehr widersprüchlich, die Fragestellung geht alle an und geht unter die Haut. Vor dem Betreten des Saales wird den Theaterbesuchern und Theaterbesucherinnen ein Abstimmgerät ausgehändigt, um am Ende des Stückes selbst eine Entscheidung fällen zu können, die mir persönlich schrecklich schwerfiel und die ich auch nicht ohne Vorbehalte getroffen habe.
Das gesamte Stück hat wenig vom klassischen Theater. Tatsächlich könnte es sich auch um eine Fernsehshow handeln. Die Zuschauer erleben eine Tagung des „Ethikrates“, der über den Fall von Richard Gärtner entscheiden soll.


Es lohnt sich, früh im Theater zu sein, nicht nur um einem eventuellen Stau an der Kasse zu entgehen, sondern vor allem, um die Videobeiträge zu sehen, die vor Beginn der Aufführung auf der Leinwand gezeigt werden. In diesen Beiträgen kann man verschiedene Erfahrungsberichte von Menschen, die sich mit dem Thema des assistierten Suizids beschäftigt haben oder die selbst als Angehörige betroffen sind, sehen und hören. Dann werden, immer noch auf der Leinwand, lebensfrohe Szenen vorgespielt, in denen die Schauspieler, die gleich darauf auf der Bühne erscheinen, sich ungezwungen und fröhlich gemeinsam in einem friedlichen Raum bewegen. Anschließend wird die Podiumssitzung durch die Vorsitzende eröffnet. Sie stellt uns die unterschiedlichen Teilnehmer der Diskussion vor, darunter sind der Betroffene, sein Anwalt, drei Ärztinnen, ein Geistlicher und eine Verfassungsrichterin.


Im Vorneherein wird geklärt, was man unter einem assistierten Suizid versteht und auch, wie die rechtliche Situation dazu aussieht. Bei einem assistierten Suizid gibt oder verschreibt ein Arzt einem Patienten, der aus eigenem und freiem Willen heraus sterben will, eine tödliche Dosis eines Medikaments, das der Patient eigenständig einnimmt.  In Deutschland ist dies erlaubt, solange der ausdrückliche Wunsch des Patienten bestätigt ist. Doch die Entscheidung und auch die Verantwortung liegen dabei beim Arzt oder der Ärztin.
Richard Gärtner sieht seit dem leidvollen Tod seiner Frau keinen Sinn mehr in seinem Leben und wünscht sich nur noch, dieses zu beenden, obwohl er gesund ist, Kinder und Enkel hat. Doch er möchte keinen unkontrollierten Selbstmord begehen, denn die dramatischen Folgen, die ein Fehlschlag eines solchen haben kann, sind abschreckend. Ein assistierter Suizid ist schmerzlos, ruhig, sicher, und das, was Richard Gärtner sich unter einem würdigen Tod vorstellt. Zu seinem Unglück möchte sich seine Hausärztin nicht bereiterklären, ihm ein tödliches Medikament zu verschreiben.


Manche sehen es als Ausdruck der Selbstbestimmtheit, wenn ein Mensch selbst entscheiden kann, wann, wo und wie er sterben will, genauso frei, wie er gelebt hat. Doch werden dabei die sozialen Folgen nicht unterschätzt? Leiden denn die Angehörigen nicht unter seinem solchen, vielleicht vorschnell gewählten, Tod? Ist es demnach nicht eher egoistisch, einen assistierten Suizid zu wählen?
Man sollte also, wenn man einen assistierten Suizid wählen möchte, wohl bedenken, welchen Effekt diese Handlungen auf das eigene Umfeld haben. Könnte also das Umfeld den Ausschlag für gewisse Entscheidungen geben? Wer darf entscheiden? In dem Fall halte ich es für angebracht, eine noch schwierigere und eigentlich nicht zu beantwortende Frage in den Raum zu werfen, die auch aus diesem Theaterstück stammt: Wem gehört unser Leben? Gott? Dem Staat? Der Gesellschaft? Der Familie? Oder doch nur uns selbst?


Zudem gibt es auch Fragen, die nicht nur der Betroffene selbst, sondern eben sein Umfeld, seine Freunde und Verwandte sich stellen müssen.  Wo verschwimmen die Grenzen zwischen dem Akzeptieren, Respektieren und Unterstützen eines assistierten Suizids? Und will man diese Grenzen überschreiten? Sprechen wir dem Leben seinen Wert ab, wenn wir einfach entscheiden können, es zu beenden? Oder lernen wir, es noch mehr zu schätzen, sobald es in unseren eigenen Händen liegt?
Und was ist mit den Ärzten und Ärztinnen, die dem Patienten das Gift geben könnten? Könnten sie mit einem ruhigen Gewissen dabei mithelfen, ein Leben zu beenden? Widerspricht das nicht dem Hippokratischen Eid? Tatsächlich eine schwierige Frage. Denn rein aus Sicht der Gesellschaft würde ich sagen, dass assistierter Suizid möglich sein sollte. Doch ich kann mir keine Situation vorstellen, in der ich als Ärztin eine solche Verantwortung und Last für mein Gewissen auf mich nehmen würde.


Vor dem ruhigen Hintergrund einer Landschaft stellen die Diskutierenden diese Fragen, die mich so sehr aufwühlten, dass ich bis zum letzten Moment nicht wusste, welchen Knopf des Abstimmgeräts ich drücken wollte. Ich habe schlussendlich einen Knopf gedrückt. Doch auch einige Tage nach der Aufführung denke ich immer noch darüber nach, ob ich nicht anders entschieden hätte, wenn ich ein paar Minuten mehr gehabt hätte, um alles zu verinnerlichen, gründlich zu durchdenken. Das ist es eigentlich, was mir am Theater gefällt: Es bewegt mich, es rüttelt an dem, was ich glaube zu wissen.