Society | Gastkommentar

Für die Männer von morgen

Ein Dutzend Schulsozialpädagog*innen spricht sich für antisexistische Kinder- und Jugendarbeit aus.
Hände
Foto: Pixabay

Die salto-Redaktion hat folgende Stellungnahme erreicht, die wir gerne veröffentlichen. Unterzeichnet ist sie von zwölf Schulsozialpädagogen und -pädagoginnen.


Schulsozialpädagog*innen für antisexistische Kinder- und Jugendarbeit

 

Im Landtag wurde ein Antrag zur Verstärkung der Präventionsarbeit gegen sexualisierte, genderbasierte Gewalt eingebracht. Der Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt, dagegen gestimmt haben u. A. die Landesräte, die für unser Bildungswesen verantwortlich sind, ebenso die Landesrätin für Soziales und Familie.
Auf die Nachfrage der Begründung wurde u. A. gesagt, dass die Schulen bereits vieles leisten und viele Initiativen und Projekte dahingehend bestehen.

Als Schulsozialpädagog*innen nehmen wir dazu folgendermaßen Stellung:

Ja! Wir brauchen Investitionen in antisexistische Kinder- und Jugendarbeit, auch in unseren Schulen!

Die bestehenden Einsätze gegen Sexismus sind bei weitem nicht hinreichend, wenn wir eine gerechte Gesellschaft schaffen wollen. Sehen wir uns die Statistiken des ASTAT zur Gewalt an Frauen an!

Unser gesamtes Gesellschaftssystem, inklusive dem Erziehungs- und Bildungssystem, ist immer noch patriarchal-sexistisch aufgebaut. Das zeigt sich etwa an den Wertschätzungs-Pyramiden, wo weiterhin Tätigkeiten im Bereich der Erziehungsarbeit, der Sorge- und Pflegearbeit und der emotionalen Bildung weiblich markiert/besetzt und wenn überhaupt dann unterbezahlt werden.

Zugleich sehen wir kaum ernsthafte Investitionen darin, Sexismus (sowie andere Diskriminierungsformen sprich Rassismus, Klassismus, Adultismus, Ableismus…) zu thematisieren und tatsächlich aufzuarbeiten.

Wer das “nicht versteht” ist entweder ein Mann, der sein “Verständnis” auf Männer-Privilegien ausruht, oder eine Frau oder nicht-binäre Person, die strukturelle Gewalt soweit angenommen hat, dass sie die bestehenden sexistischen Verhältnisse tatsächlich akzeptiert und bejaht.

Es darf nicht von einzelnen Lehrpersonen und Schulführungskräften abhängig sein, ob Projekte und Initiativen der Prävention gegen sexualisierte, genderbasierte Gewalt an Schulen durchgeführt werden. Solche Projekte müssen flächendeckend greifen. Hierzu braucht es verpflichtende Vorgaben und die notwendigen Finanzmittel für den Import und der Aneignung von Expertise. Es braucht Finanzierungen für die Beauftragung externer Referent*innen, welche Projektunterricht leiten können, solange bis die Aus- und Weiterbildung des pädagogischen Personals (Lehrpersonen, Schulsozialpädagog*innen) so nachgerüstet wurde, dass diese Arbeit wirklich flächendeckend und nachhaltig in Angriff genommen wird. Präventionsarbeit gegen sexualisierte, genderbasierte Gewalt muss im Schulprogramm verpflichtend fixiert werden. Auf allen Schulstufen.
Das Angebot an gezielten Projekten der Prävention von sexualisierter, genderbasierter Gewalt ist momentan sehr begrenzt. Die Liste der zahlreichen Angebote, die die Politiker*innen als Begründung für ihre Ablehnung des Beschlussantrages anführen, liegt uns als Fachpersonen der Schulsozialpädagogik nicht auf. Wir würden uns freuen, diese ebenfalls zu erhalten.

Das Projekt “Ich sag’ Nein” wurde mehrfach zitiert um zu argumentieren, dass bestehende Angebote genügen. Dieses Projekt wird von externen Expertinnen an Schulen angeboten, Zielgruppe sind jugendliche Mädchen der 3. Mittelschulen sowie der Oberstufe. Vom Landesbeirat für Chancengleichheit wird dabei jährlich ein fixer Betrag festgelegt. Die Höhe dieses Beitrages schwankt von Jahr zu Jahr und ermöglicht nur schwer eine fixe Planung. Wir begrüßen dieses Projekt sehr, jedoch muss es flächendeckend alle Schülerinnen dieser Altersstufen erreichen.

Zur nachhaltigen Umsetzung wären jedenfalls Fort- und Weiterbildungen des Lehrpersonals und/oder verstärkte Netzarbeit mit den Trägern der Jugendarbeit (siehe etwa die Fachstelle “Gender” im NETZ der Offenen Jugendarbeit) notwendig.

Der tatsächliche Skandal unserer “Normalität” ist jedoch ein anderer: Es ist das horrende Vakuum bezüglich der antisexistischen Jungenarbeit.

Während Mädchen “Ich sag’ Nein”-Programme angeboten bekommen – die es leider dringend braucht und die wie gesagt flächendeckend ausgebaut werden müssten –, gibt es in Südtirol noch überhaupt keine Projekte, in denen besonders auch männliche Referenzpersonen mit Buben, Jungs, jungen Männern arbeiten und pro-feministisch klären, dass Gewalt leider sehr oft männlich konnotiert ist. Es gibt noch keine Programme in denen klar gemacht wird, dass es Jungs und Männer braucht, die sich selbstkritisch, mutig und zivilcouragiert gegen Sexismus stark machen. Solche antisexistischen Projekte und Programme braucht es dringend – besonders für Jungs, für die Männer von morgen. Hierin nicht zu investieren bedeutet, die bestehenden sexistischen Verhältnisse in unserer Gesellschaft zu bejahen, Sexismus weiterhin als “Frauenproblem” abzutun und ansonsten männlich konnotierte Gewalt stillschweigend zu reproduzieren.

Verfasst und unterzeichnet von uns Schulsozialpädagog*innen

Julia Psenner
Greta Guadagnini
Judith Angerer
Sibylle Aufderklamm
Elisabeth Kusstatscher
Katharina Pobitzer
Claudia Braun
Claudia Wierer
Ivo Passler
Petra Wallnöfer
Iris Lang
Andrea Durnwalder

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Herta Abram Tue, 12/01/2020 - 10:38

Hinter diesen Antrag stell ich mich gern!
…„Unser gesamtes Gesellschaftssystem, inklusive dem Erziehungs- und Bildungssystem, ist immer noch patriarchal-sexistisch aufgebaut.“ Ja und deswegen wird Politik nach wie vor, aus dieser Prägung heraus betrieben. Dies muss endlich überwunden werden. Man muss (nicht nur von Lehrpersonen, Schulführungskräften,…) auch von Politiker und Politikerinnen erwarten können, dass sie sich weiterentwickeln wollen, fach- und sachlich, wie auch persönlich.
Um diese relevanten Themen – für die heranwachsende Generation- voranzutreiben.

Tue, 12/01/2020 - 10:38 Permalink
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Herta Abram Fri, 12/04/2020 - 10:06

Kommentar von Barbara Plagg, zum Beschlussantrag zur Gewaltprävention: https://www.barfuss.it/labern/ich-klage-an
Aus dem Inhalt:
„Der wesentliche Grund für Entscheidungen, die nicht inhaltlich, sondern politopportunistisch getroffen werden, liegt im Parteiwesen, das allzu oft nicht im Sinne der gesellschaftlichen Notwendigkeiten, sondern zugunsten der strategischen Selbsterhaltung entscheidet. Parteisoldat*innen, die aus strategischen Gründen Gewaltprävention erschweren oder verhindern, gefährden mit taktischen Verzögerungen in Finanzierung, Umsetzung und Planung auf lange Sicht Frauen und Kinder.“
Die Ablehnung des Beschlussantrags zeichnet ein fatales Bild des Landtags nach außen in seinem Umgang mit und seinem Verständnis von Gewalt gegen Frauen. Empört euch, Südtiroler und Südtirolerinnen, egal welchen Alters, welchen Geschlechts, welcher politischen Ausrichtung! Diese eine Sache, die uns alle gleichermaßen betrifft, ist schlicht zu wichtig für Taktikspielchen. Politische Eiertänze interessieren uns nicht, von den Ausreden lassen wir keine einzige gelten und traut euch bloß nicht mit den üblich ollen Floskeln, (…).“

Mein Appell: "Empören wir uns!
Für! eine politische Grundhaltung, (von politischen Vertreter*innen), die die wesentlichen Zukunftsthemen erkennen, verstehen und angehen will, und die (jenseits der eigenen Befindlichkeiten) zusammenarbeiten und kooperieren will.
Über die Parteigrenzen hinweg.
Für! ein weiterentwickeltes Menschen- und Weltbild!

Fri, 12/04/2020 - 10:06 Permalink