Culture | Temeswar (rumänisch Timisoara) beim Jazzfestival 2013

The spirit of the journey

Es war nicht einfach, den Kontakt zu Toni Kühn herzustellen. Mit einer falschen Telefonnummer ausgestattet waren wir auf die Hilfe der Angestellten der Gemeinde eines kleinen Dorfes gleich hinter der ungarischen Grenze angewiesen. Sie stellten zunächst das Diensttelefon und dann das private Handy zur Verfügung und endlich war Toni am Apparat. Nein, Interviews gebe er nie und als Jazzmusiker sei er auch überaus beschäftigt mit dem heute beginnenden Jazzfestival in Timisoara, schließlich strengten sich alle besonders an, will man doch Europäische Kulturhauptstadt 2021 werden. Aber für ein Gespräch unter 4 Augen am späten Abend, ohne Kamera, dazu wäre Toni bereit ...
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Am Abend auf dem Platz der Revolution zeigt sich ein Timisoara, das als zweitgrößte Stadt Rumäniens mit 300.000 Einwohnern aber auch als historisches Zentrum der Region Banat mit ihrer von den sogenannten Donauschwaben geprägten Geschichte und den K.u.K. Prunkbauten wirklich repräsentieren kann. Auf dem großen Platz und dem überaus breitangelegten Boulevard mit gepflegten Parkanlagen steht direkt vor dem Opernhaus eine Riesenbühne mit drei großen Videoleinwänden, die von einer Vielzahl Kameraleuten wimmelt. Nicht schlecht für ein Jazzfestival, das zudem noch seine erste Ausgabe erlebt. Doch für Jazz ist es hier ein ganz besonderes Pflaster, wie Toni es ausdrücken würde.

Zunächst muss er uns noch einmal vertrösten. Während bereits die zweite Band die Bühne betritt, muss Toni eine rumänische Sängerin treffen, um die Jamsession für den nächsten Abend zu planen. Gegen 23 Uhr nach Konzertende leert sich der Platz langsam und Toni kehrt zu uns zurück, doch nur um mitzuteilen, dass er seine Musikerkollegen und sicher ein Dutzend zumeist wirklich sehr junger Freunde verabschieden muss. Man kennt die über 60jährige Musiklegende eben hier und, das merken wir sofort, man mag Toni. Keiner geht ohne eine lange und innige Umarmung von ihm.

Es geht bereits auf Mitternacht zu, als wir uns mit ihm an einen Bartisch setzen. Nein, zu trinken bekommen wir hier nichts mehr, meint die Kellnerin, Sperrstunde. Gut, meint Toni, ein bisschen plaudern und rauchen vielleicht. Und er erzählt, von seiner Zeit als Anhänger indischer Lehren als er vegetarisch und mit viel Yoga aber ohne Alkohol, Zigaretten und Sex durchs Leben ging. Geboren ist er in den 40er-Jahren in einem Lager in der heutigen Ukraine. Seine Mutter war für 5 Jahre dorthin deportiert worden. Sehr klein kam er dann in den damals hauptsächlich von Deutschen bewohnten Heimatort unweit von Timisoara. Ja, er sei ein Donauschwabe und zwar inzwischen der letzte deutschsprachige in dem kleinen Ort, nachdem seine Mutter verstorben ist. Sie wollte die Heimat nicht mehr verlassen, nachdem sie die Deportation erlebt hatte. Toni hingegen sah nie den Grund wegzugehen, nach Deutschland, so wie alle anderen im Laufe der Jahrzehnte. Zunächst während der Nazizeit, als Deutscher hin zu Deutschland oder als Jude möglichst weit weg von Deutschland, dann während der kommunistischen Diktatur Caucescus als Flucht in die Freiheit, erkauft mit dem Geld der Verwandten in Deutschland und zuletzt seit der Wende 1989 vor allem die Suche nach einer besseren wirtschaftlichen Situation. So ist Toni der „Dableiber“ einer von nur mehr 30000 Deutschsprachigen (Donauschwaben und Siebenbürgener Sachsen) im heutigen Rumänien.

Das Banat, so meint er, sei ein multikultureller Ort immer gewesen, wo es nie größere Ressentiments zwischen den verschiedenen Gruppen gegeben habe. Und besonders für ihn als Musiker ist das Miteinander von Rumänen, Ungarn, Serben, Roma usw. sehr befruchtend. Leider gab und gebe es immer weniger Juden, die früher nicht nur talentierte Musiker sondern auch ein besonders gutes Publikum, weil gebildet und weltoffen, gewesen seinen.

Eigentlich hat Toni ja Germanistik studiert. Das war einfach in Timisoara, denn vom deutschen Kindergarten bis zur Hochschule gab es hier alles und gibt es zum Teil immer noch, z.B. das Deutsche Theater Timisoara. Auch genießen Deutsche hier den Ruf von Fleiß, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit und werden in der akademischen Welt daher durchwegs sehr respektiert. Die Abschlussprüfung wollte er aber nicht ablegen. Eine gesicherte Karriere als späterer Professor verlangte in der kommunistischen Zeit nicht nur den Eintritt in die Partei sondern auch gewisse Spitzeltätigkeiten für den omnipräsenten Geheimdienst Securitate. Die Alternative hieß für Toni „freischaffender Künstler“ also Gitarrist, der sich mit Tanz- und Unterhaltungsmusik über Wasser halten aber eben auch unabhängig und unpolitisch durchs Leben schlagen konnte.

Das gelang ihm gut, sagt er, weil er früh lernte, auch die positiven Seiten der Dinge zu sehen. Als der Diktator Causcescau beispielsweise die Sperrstunde für alle Lokale auf Viertel vor 9 Uhr abends vorverlegte, verstand Toni das als Geschenk. Er konnte nun 2 Jahre lang abends nach nur 2 Stunden Arbeit als Musiker all die verbotenen Bücher studieren, die ihm ausländische Besucher und Kurgäste mitbrachten. So entwickelte Toni seine Sicht der Dinge. Sie half ihm mit der Diktatur, mit der Wende und mit den aktuellen Herausforderungen der neuen kapitalistischen Ordnung sein Auskommen zu finden, nein mehr sogar, in Frieden zu leben.

Toni ist ein gläubiger Mensch und sagt, Jazzmusiker seinen heutzutage sehr häufig sehr gläubig, wenn auch nicht in einem engen konfessionellen Bezug. In wenigen Begriffen fasst er seine Überzeugung zusammen. Da gibt es einerseits die „unheilige Dreifaltigkeit“ aus Trennung, Angst und Schuldgefühl, die für das Leid in der Welt verantwortlich ist. Sie zeigt sich demjenigen, der sich ihr unterwirft aber als vollkommenes System. Nun hat jeder der Begriffe sein Gegenteil. Zur Trennung gehört die Einheit. Das Gegenteil von Angst heißt Liebe und das Schuldgefühl steht der Vergebung gegenüber. Das Geheimnis sei nach Toni, dass jeder in jedem Augenblick wählen kann, ob er sich dem negativen oder positiven Tripol zuordnet. Wenn dich jemand angreift, so wäre Verteidigung ein Gegenangriff und damit auf der gleichen Ebene. Liebe hingegen, löst die Angst auf und das sei schließlich der Kern jeder religiösen Lehre und insbesondere die Botschaft von Jesus Christus.

Puh, das war ein Start, der unter die Haut geht. Bald geht die Reise hier weiter nach Transsilvanien.