Wirtschaft | KVW-Podiumsdiskussion

Arbeitsmarkt: "So wie es war, wird es nie mehr sein"

Was heißt Arbeiten heute, fragt der KVW. Und erhält bei einer Podiumsdiskussion nicht nur unternehmerische und gewerkschaftliche, sondern auch geistliche sowie freigeistige Antworten.

Arbeit – ein Wort, das in Südtirol in diesen Wochen mehr negative als positive Assoziationen auslöst. Zu tief sitzt noch der Schock der Hoppe-Schließung in St. Martin, zu ungewohnt auch im allgemeinen der Umgang mit einem Phänomen wie Arbeitslosigkeit, das man von kurzen Unterbrechungen abgesehen in Südtirol in den vergangenen 40 Jahren nicht kannte. Denn, wie der geistliche Assistent des Katholischen Verbands der Werktätigen Josef Stricker am Mittwoch Abend bei seiner Einführung in eine Podiumsdiskussion zum KVW-Jahresthema umriss: Südtirol ist gerade dabei aus einem 30- bis 40-jährigen Traum namens Wirtschaftswunder aufzuwachen – und sich wie die gesamte westliche Welt vom dazu gehörigen Glaubenssatz zu verabschieden. Der da bekanntlich heißt: immer größer, immer schneller, immer mehr.

Vorbei die Zeiten, in denen der Landeshaushalt jedes Jahr wuchs, in denen „auf Teufel komm raus“ gebaut wurde, in denen trotz Warnungen der Gewerkschaften jede Menge ausländischer Arbeitskräfte ins Land geholt wurden. Welche Auswirkungen dies auf den Arbeitsmarkt hat, ist derzeit aus den täglichen Schlagzeilen abzulesen. Was dem ehemaligen Industriearbeiter, engagierten Gewerkschafter und Arbeiterpriester in der öffentlichen Ursachenforschung zur Krise des Arbeitsmarktes aber zu kurz kommt, sind drei simple Wahrheiten: eine enorm gestiegene Produktivität, die vor allem Arbeitsplätze mit niederen Qualifikationsanforderungen vernichtet, die Überschwemmung mit Billigwaren aus anderen Teilen der Erde sowie  einer Sättigung des Konsummarkts. Tatsache ist laut Sticker auch: „Die Arbeit geht uns nicht aus, sie verlagert sich.“ Und zwar nicht nur in asiatische Billiglohnländer, sondern auch innerhalb unseres Wirtschaftssystems – ob von geistigen zu technischen oder von produktiven zu Pflegeberufen.

Krise des Vertrauens

Weit positiver klang die Situationsanalyse aus dem Mund Josef Negri. 25.000 neue Arbeitsplätze in den vergangenen zehn Jahren, ein Plus von 51 Prozent bei den Exporten, beste Standortvoraussetzungen wie eine „in die Wiege gelegte Doppelsprachigkeit: Mit solchen Botschaften gilt es laut dem Unternehmerverbandsdirektor Krisenmanagement zu betreiben. Denn: „Diese Krise ist nicht wirtschaftlich, sie ist vor allem eine Vertrauenskrise“, sagt er. Ein konkretes Problem, dass „wir uns nicht mehr leisten können“, sei allerdings die Tatsache, dass Unternehmen dem Staat mehr zahlen als ihren Angestellten. Denn: Wenn diese 100 Euro Lohn ausgezahlt bekommen, erhalte der Staat weitere 120 Euro. In Negris Hohenlied auf die gelebte Sozialpartnerschaft, dank der auch dieses Problem gelöst werden soll, stimmte die Generalsekretärin des SGB/Cisl Tila Mair allerdings nur bedingt ein. Zumindest solange der Unternehmerverband einen Präsidenten wie Stefan Pan habe, der in seinem Betrieb immer noch keine Bereitschaft für Betriebsabkommen zeige.

Die erste Südtiroler Gewerkschaftsbossin nahm noch einmal den konkreten Fall Hoppe her, um aufzuzeigen, dass Südtirol aufgrund seiner lange privilegierten Situation in den vergangenen Jahrzehnten gewisse weltweite Veränderungen komplett verpasst habe. „Nur so konnte es passieren, dass in einem Betrieb mit zwölf Betriebsräten nicht wahrgenommen wurde, was vor sich geht“, meinte sie. Eine Blindheit, die nur damit zu erklären sei, dass „unsere Leute bis vor kurzem in der Überzeugung gelebt habe, dass sie ihr ganzes Leben in dem Betrieb bleiben können, in dem sie in jungen Jahren zu arbeiten beginnen“. Diese Verwöhntheit von Arbeitgebern wie Arbeitnehmern hat laut Tila Mair dazu geführt, dass niemand auf die derzeitige Krise vorbereitet war – und es nun entsprechend schwierig sei, so schnell auf die neue Situation zu reagieren, wie sie es verlangen würde. Klar ist laut Mair: So wie es bisher war, wird es nie mehr sein.

Neue Werte

Dass dies nicht unbedingt negativ sein muss, zeigt sich an der persönlichen Lebensgeschichte von Helga Pedrotti. Die derzeitige Direktorin des Seniorenwohnheims Leifers wechselte in ihrem Arbeitsleben zwischen unterschiedlichen Tätigkeiten wie Eventmanagerin, Geschäftsführerin oder Tangolehrerein und arbeitete für verschiedene Arbeitgeber wie die Verbraucherzentrale, das Haus der Familie oder die Arbeitnehmer in der SVP. Eine moderne Interpretation von Arbeit, in der Schlagworte wie lebenslanges lernen, Selbstverwirklichung und Lust an der Arbeit eine wichtige Rolle spielen. Und in der selbst zwischenzeitliche erwerbslose Perioden sehr fruchtbar waren, wie Pedrotti hervorhob. Weit mehr als für ihren persönlichen Weg, der kein Patentrezept darstelle, plädierte die Tausendsassa bei der Podiumsdiskussion für ein gesellschaftliches Umdenken bei der Wertung von Arbeit. Sprich: Menschen müssen aufhören, sich über ihre Erwerbsarbeit zu definieren bzw. den gesellschaftlichen Status von anderen daran zu messen. Erst dann könne Arbeit generell einen Wert erhalten – unabhängig von ihrer finanziellen Entlohnung.