Gesellschaft | Polemik

Wer kommt zu uns?

Kriegs-, Regime-, Klima-, Armuts-Flüchtlinge, Politisches-Asyl-Suchende, arbeitssuchende Einwanderer, Abenteurer? Ist Differenzieren, die Realität anschauen, ein Tabu?
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Silvia Rier schreibt in ihrem Beitrag "Vom Schweigen", den ich insgesamt gut finde, schlussfolgernd auf das Zitat: "(...)ja eigentlich gar keine Flüchtlinge sind, sondern Menschen auf der Durchreise", die Bemerkung: "Aber hallo!" In einem Diskussionsbeitrag ist sie unter anderem der Meinung: "Denn 1. sind, zu Anfang, die Menschen, über die wir hier sprechen, erst mal: Flüchtlinge, und dabei spielt es keine oder, wenn schon, eine vernachlässigbare Rolle, ob sie Kriegs-, Regime-, Klima- oder Armutsflüchtlinge sind." Sie geht auf jeden Fall davon aus, dass es Flüchtlinge und nicht nur Einwanderer, Migranten sind, die über Italien – alle anderen Wege sind ja verschlossen – in die vermeintlichen reichen, sozialen und sicheren Länder Europas gelangen wollen. Sie erklärt also eine Differenzierung zwischen Einwanderern, Gastarbeitern, Politisches-Asyl-Suchende und Flüchtlinge zum Tabu. Und dagegen habe ich etwas! Denn Europa hat mit Migranten und Gastarbeitern eine jahrzehntelange Erfahrung.
Mit Flüchtlingen weniger: im geringeren Maße an der innerdeutschen Zonengrenze und im Zusammenhang mit dem Prager Frühling. Stärker dann im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg.
Laut letztem Heft von "Der Spiegel" sind z. Z.  ein Drittel der in Deutschland um politisches Asyl Ansuchenden, Albaner, Kosovaren und Serben. Sie werden als nicht berechtigt und störend angesehen.
Nun das ist Deutschland. Zu uns in Italien kommen ja vor allem Afrikaner. Aber sind diese wirklich alle Flüchtlinge? Nein!
Auch die Migranten aus Afrika sind nicht vorwiegend Flüchtlinge. Dazu ein Auszug (zwei Fragen und Antworten)  von einem Interview – erschienen im Geo-Magazin – mit dem renommierten Kenianischen Autor Binyavanga Wainaina, der laut eigenen Aussagen, die Situation auch im Westen Afrikas gut kennt:
"Warum nehmen so viele Afrikaner das Risiko auf sich, auf der Flucht zu sterben, nur um womöglich aus Europa wieder abgeschoben zu werden?
Es gibt ein Grundbedürfnis nach Bewegung. Jede Gesellschaft kennt Märchen, in denen junge Männer sich aufmachen, um sich anderswo zu erproben. Bevor du eine Familie gründest, erfahre, was deine Muskeln und dein Hirn leisten kann. Und: Diejenigen, die durch die Sahara gehen, sind keine hinterwäldlerischen Analphabeten, sondern gebildete, offene Leute, die sich Gedanken über ihre Zukunft machen.
Was macht das langweilige Europa denn so attraktiv für diese jungen Afrikaner?
Nachdem sie dort ein paar Jahre Berufsfahrer waren oder Alten den Hintern gewischt und gleichzeitig ihre Papiere in Ordnung gebracht haben, sind sie frei und können hier und dort sein. All die neuen Häuser in Dakar sind mit Geld der Emigranten gebaut. Ich bin sicher, dass 80%  von ihnen illegal nach Europa gegangen sind. Die Leute auf dem afrikanischen Kontinent sind im Aufbruch. Sie haben sich frei gemacht vom Stillstand und den engen Rahmen der Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit. Und die Konsequenzen werden fundamental sein. (…) In zehn Jahren wird dieser Kontinent nicht wieder zu erkennen sein."
Bemerkenswert ist, dass der Autor nicht von Flüchtlingen spricht, sondern von Migranten. Ebenso verwendet er ohne Tabu die Bezeichnung illegale Einwanderung. Er stellt das Ganze vor allem als ein Phänomen des Aufbruchs und nicht der Armut, der Verzweiflung und der Flucht dar. Ich glaube, diese Sichtweise kann einiges Entdramatisieren. Ich spreche hier nicht von Kriegsflüchtlingen und anderen Menschen in große Not. Ich glaube aber auch, dass man die Augen nicht vor der Realität verschließen darf  und dass Dramatisieren und Schuldzuweisungen der Sache nicht dienlich sind.