Society | Eltern

Rollentausch

Welche Rechte hat ein Mann, der kündigt, um für sein Kind zu sorgen? Der Fall eines Vaters, der lange im Unklaren bleibt – und die Gleichstellungsrätin beschäftigt.
Vater und Sohn
Foto: Kelli McClintock on Unsplash

“Wow, du als Mann!” “So toll, dass du das machst!” Solche Reaktionen gibt es im Freundeskreis von Simon Profanter bis heute. Vor einigen Monaten hat der 37-Jährige beschlossen, seine Arbeitsstelle zu kündigen. Aus einem Grund, der für einen jungen Gutverdiener alles andere als naheliegend anmutet: Er will sich um seinen kleinen Sohn kümmern. Was sich im Jahr 2022 nach einem modernen Märchen anhört, entpuppt sich jedoch als ein Spießrutenlauf mit lange ungewissem Ausgang für die junge Familie. Denn sie scheint derart aus der (Geschlechter-)Rolle gefallen, dass selbst Beamte, Behörden und Experten zunächst nur widersprüchliche Antworten auf die Frage geben: Welche Rechte hat ein Vater, der kündigt, weil er für sein Kind sorgen will?

 

Kinder und Familie sind Frauensache

 

Südtirol ist (noch) kein Land der Väter. Zum heurigen Vatertag am 19. März hat das Arbeitsförderungsinstitut AFI ernüchternde Zahlen publiziert. So wurden etwa im Jahr 2020 nur 82 der rund 8.200 Neugeborenen über den obligatorischen Vaterschaftsurlaub von zehn Tagen hinaus von ihren Vätern betreut. Nur wenige nehmen fakultative Elternzeit, die meist zur Gänze von den Müttern beansprucht wird – für den Vater bliebe daher nur die Möglichkeit, “auf einige Monate unbezahlte Elternzeit zurückzugreifen”, erklärt AFI-Vizedirektorin Silvia Vogliotti. Seit 2017 gibt es das Landesfamiliengeld+: Das Land Südtirol sichert Vätern, die in den ersten Lebensmonaten der Kinder zuhause bleiben, 400 bis 800 Euro im Monat zu. 465 Väter haben in den ersten fünf Jahren um das Landesfamiliengeld+ angesucht und erhalten. Und dann gibt es noch die Väter, die nach der Geburt ihres Kindes den Beruf aus freien Stücken aufgeben – genauso wie Mütter. Diese Kündigungen müssen vom Arbeitsinspektorat bestätigt werden, um sicherzugehen, dass sie auch freiwillig erfolgt sind. 

Laut Auskunft der Gleichstellungsrätin Michela Morandini haben 2021 südtirolweit 1.100 Eltern gekündigt. 216 davon, also ein Fünftel, waren Väter. Das Verhältnis von fünf (Mütter) zu eins (Vater) ist seit 2018 stabil. Vor zehn Jahren, 2012, waren gerade einmal drei Prozent der Angestellte, die aufgrund ihrer Mutter- oder Vaterschaft kündigten, Väter. Ein Trend hat sich laut Morandini hingegen über die Jahre gehalten: Frauen kündigen in mehr als zwei Drittel der Fälle, weil sich Kinderbetreuung und Beruf nicht vereinbaren lassen. Die Männer vor allem, weil sie Betrieb wechseln – sie bleiben also im Berufsleben.

 

Die Anfang Mai vorgestellte Familienstudie bestätigt gefestigte Rollenverteilungen: 61 Prozent der Mütter geben an, im Jahr 2021 irgendeine Form der Arbeitsunterbrechung (fakultativer Wartestand, Elternzeit o.ä.) in Anspruch genommen zu haben, um sich um die Kinder kümmern zu können – aber nur 22 Prozent der Väter. 94 Prozent der für die Familienstudie befragten Männer arbeiten Vollzeit. Bei den Frauen sind es hingegen 56 Prozent – zwei Drittel davon nennen als Hauptgrund für die Teilzeit: Betreuung der Kinder. Der Aussage “Kinder und Karriere sind für Mütter vereinbar” stimmen 60 Prozent der Befragten zu (18 “voll und ganz”, 42 “ziemlich”). 85 Prozent aber sagen, dass Kinder und Karriere für Väter vereinbar sind (38 “voll und ganz”, 47 “ziemlich”). Noch gravierender ist der Unterschied bei der Frage, für wen Kinder eine Arbeitsreduzierung notwendig machen: 70 Prozent sagen für die Mutter, nur 35 Prozent sagen für den Vater. Je ein Viertel der Südtiroler zwischen 18 und 64 Jahren meinte 2016, dass, “wenn Frauen einem Beruf nachgehen, dann schadet das dem Familienleben” und “Frauen sollten nur dann arbeiten, wenn es aus finanziellen Gründen notwendig ist”. Fünf Jahre später, 2021, sind es immerhin noch 19 bzw. 15 Prozent, die diese Aussagen teilen.

 

Zwei tauschen Rollen

 

Ein weiteres Ergebnis der Familienstudie: Mütter bleiben viel viel öfter daheim, wenn die Kinder krank sind, bereiten ihnen das Essen zu, ziehen die Kinder an, helfen bei den Hausaufgaben, bringen sie zur Kinderbetreuung, in den Kindergarten, zur Schule, zu Freizeitaktivitäten. Viele Aspekte der Kinderbetreuung scheinen noch selbstverständlich als Verantwortung der Frau wahrgenommen zu werden. Zu viele, findet Simon Profanter. Im April 2021 ist der 37-jährige Kastelruther erstmals Vater geworden. Ende des Jahres kündigt er seinen Job in der Privatwirtschaft. “Ich wollte immer schon Kinder haben und viel Zeit mit ihnen verbringen. Das ist mir viel wert”, erklärt er. “Warum soll ich auf seine ersten Schritte und Worte, die schönen Momente, die viele Väter verpassen, verzichten?” Es ist eine bewusste Entscheidung, die Profanter mit seiner Ehefrau Verena Gschnell schon vor der Geburt trifft. Ein traditionelles Rollenverständnis von der Mutter, die sich zu Hause um Haushalt und Kind kümmert und dem Vater, der das Geld heim bringt, haben beide nie gehabt. “Wir haben gemeinsam, für uns, beschlossen, dass Verena nach der obligatorischen Mutterschaft wieder arbeiten geht und ich eine Zeit lang zuhause bleibe.” Künftig wollen die Eltern ihre Arbeitszeiten dann so gestalten, dass sie sich beide gleichermaßen um ihren Sohn kümmern können.

 

In Italien gilt für angestellte Mütter für die Zeit der Schwangerschaft und bis das Kind ein Jahr alt ist ein Entlassungsverbot. Beschließt eine Frau in diesem Zeitraum dennoch zu kündigen, muss sie zum einen keine Kündigungsfrist einhalten. Dafür bekommt sie eine Entschädigungszahlung. Und zum anderen hat sie Anrecht auf das Arbeitslosengeld NASpI. Geregelt ist das in Art. 54 und 55 des Legislativdekrets Nr. 151 von 2001.

Nachdem für Simon Profanter feststeht, dass er vorerst “nur” Vater sein will, informiert er sich beim Patronat seines Vertrauens. Dort hat man noch keinen Fall wie seinen bearbeitet. Auf Nachfrage teilt das Nationale Fürsorgeinstitut INPS/NISF mit: Auch dem Vater steht das NASpI zu, wenn er im ersten Lebensjahr des Kindes kündigt. Selbst die nicht eingehaltene Kündigungsfrist dürfte ihm ausbezahlt werden, erfährt Profanter. Kurzum: Er darf als Vater dieselben Rechte wie eine Mutter wahrnehmen. Sich dessen sicher, informiert er seinen Arbeitgeber, setzt die Kündigung in Gang und reicht das notwendige Bestätigungsformular beim Arbeitsinspektorat ein.

 

Gleich nur in seltenen Fällen?

 

Ab 1. Jänner 2022 arbeitet Simon Profanter nicht mehr, verbringt die Tage mit seinem Sohn. Die Mühlen der INPS mahlen langsam – und so scheint sein Antrag auf Arbeitslosengeld Ende März immer noch als “in Bearbeitung” auf. Dann erreicht Profanter eine Nachricht, die ihn aus allen Wolken fallen lässt: Als Mann bzw. Vater stehe ihm weder die Auszahlung der nicht eingehaltenen Kündigungsfrist noch das Arbeitslosengeld NASpI zu. Das teilt ihm das Lohnbüro des ehemaligen Arbeitgebers mit. Irritiert sucht er Rat bei einer Gewerkschaft. “Dort hat man mir gesagt, dass man die Information des Lohnbüros leider bestätigen müsse”, berichtet Profanter. Inzwischen lädt ihn das Amt für Arbeit zum Vermittlungsgespräch, das für alle in die Arbeitslosenliste Eingetragenen verpflichtend ist. In Bozen schildert er der Beamtin seine Situation und die gegensätzlichen Informationen. “Sie war verwundert, sagte mir, dass ich nicht der erste Mann in dieser Lage sei und mir die Unterstützungsleistungen sehr wohl zustünden”, erinnert er sich. Die Verunsicherung wächst. “Wir reden immer von Gleichberechtigung, davon, dass Stereotypen und Rollenbilder aufgebrochen werden müssen – und dann soll es einem Vater nicht frei stehen, anstatt seiner Frau daheim beim Kind zu bleiben und dafür Unterstützung zu bekommen?”

Mehrere von salto.bz kontaktierte Experten, darunter die ehemalige Gleichstellungsrätin und SGBCisl-Gewerkschafterin Ulrike Egger, bestätigen: Aus Art. 55 des Legislativdekrets 151/2001 ergibt sich ein Anrecht des Vaters, der vor dem ersten Geburtstag des Kindes freiwillig kündigt, auf die Auszahlung der nicht eingehaltenen Kündigungsfrist und die Arbeitslosenunterstützung, einzig dann, wenn er den “congedo di paternità” beansprucht hat. Diese Freistellung des Vaters von der Arbeit, die der Mutterschaft gleichgestellt ist, ist nur möglich, wenn sich die Mutter nicht um das Kind kümmern kann – weil sie verstorben ist, schwer krank oder wenn dem Vater das alleinige Sorgerecht zugesprochen worden ist. Das ist bei Profanter nicht der Fall.

 

Erleichterung und Meldung nach Rom

 

Wie aber können INPS und Arbeitsamt des Landes zu einem Schluss kommen und Gewerkschaften, eine ehemalige Gleichstellungsrätin und ein Arbeitsrechtsberater zu einem anderen? “Es ist unglaublich kompliziert”, sagt Felix von Wohlgemuth, der sich als Rechtsanwalt im Bereich Arbeitsrecht spezialisiert hat. Mit einer Lesart des Art. 55 will er vorab aufräumen – nämlich der, dass diesem ein für Männer diskriminierender Ansatz zugrunde liege. “Diese Regelung fußt auf dem Schutz der Mutter wegen der körperlichen Belastung infolge der Geburt und nicht auf einem sozialen Gedanken.” Wenn nun nicht die Mutter, sondern der Vater kündigt, um sich um das Kind zu kümmern, gelte von Wohlgemuth folgendes: “Er muss die Kündigungsfrist nicht einhalten, bekommt sie aber nicht ausbezahlt.” Soweit stimmt er mit Lohnbüro und Gewerkschaften überein. Was hingegen das Arbeitslosengeld NASpI angeht, sieht der Arbeitsrechtler die Lage anders. “Bei der Frage, ob es zusteht oder nicht, ist das INPS am Hebel.”

 

Den hat das Fürsorgeinstitut rund um Ostern umgelegt – und Profanter das Arbeitslosengeld ausbezahlt. Damit hat das Hin und Her, die Ungewissheit ein Ende. In Kastelruth herrscht Erleichterung. “Als Familie freuen wir uns, dass wir nun Klarheit haben”, sagt Simon Profanter. “Und als Vater finde ich es nur gerecht, dass mir das Arbeitslosengeld auch zusteht. Wer weiß, vielleicht werden andere Männer ermutigt, einen ähnlichen Schritt zu tun, wenn sie wissen, dass sie abgesichert sind.”

Für die nicht eingehaltene Kündigungsfrist kriegt der Vater allerdings keine Entschädigungszahlung. Das bestätigt ihm Michela Morandini, sie verweist auf ein entsprechendes gerichtliches Urteil in Monza von Februar 2020. Anders als von Wohlgemuth ist die Gleichstellungsrätin aber sehr wohl der Meinung, dass es sich hier “um eine Form der Diskriminierung” handelt, die “auf eine kulturelle Haltung hinweist, nach der Mamis immer noch die besseren Eltern seien”. Sie hat inzwischen eine Meldung an die nationale Gleichstellungsrätin in Rom gemacht, um eine Gesetzesänderung herbeizuführen “und eine wirkliche Gleichstellung herzustellen”, so Morandini.