Politik | Schengen

Neue Kontrollen im alten Kontinent?

Die Grenzübergänge zwischen Nord- und Südtirol bleiben offen – vorerst. Doch an eine Lösung auf EU-Ebene glaubt derzeit kaum jemand. Stocker: "Müssen uns vorbereiten."

Dieser eine Satz, den der österreichische Bundeskanzler am Wochenende fallen ließ, sorgte international für Aufsehen. Im Rahmen eines Interviews mit der Tageszeitung Österreich meinte Werner Faymann: “Wir haben Schengen temporär außer Kraft gesetzt, es gilt die Ausweispflicht.” Sogleich übernahm die italienische Nachrichtenagentur ANSA die Meldung, andere italienische und europäische Medien zogen nach.

Am Sonntag dann bemühte sich das Kanzleramt darum, die Wogen zu glätten und konkretisierte: Von den verstärkten Grenzkontrollen seien nur die südlichen Grenzübergänge betroffen – und das bereits seit vergangenem Herbst. Am Brenner soll indes alles bleiben wie bisher. Vorerst. Denn noch vor Faymann hatte sich am Freitag der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter zu Wort gemeldet. Auf einer Pressekonferenz sagte er, dass er ein Aussetzen des Schengenabkommens an der Grenze zwischen Nord- und Südtirol am Brenner sowie in Sillian in Osttirol und am Reschenpass nicht länger ausschließe. Sollte sich der Flüchtlingsstrom nach Italien verlagern, müsse man über diese Maßnahme “diskutieren”, so Platter.

Harsche Kritik an den Gedankenspielen der nördlichen Nachbarn kommt in Südtirol gleich von mehreren Seiten. So bezeichnete SVP-Parteiobmann Philipp Achammer eine mögliche Wiedereinführung von Grenzkontrollen zwischen Nord- und Südtirol als “großen Rückschritt und Rückfall in alte Zeiten”. Gleichzeitig bekräftigte er erneut die Forderung nach einer gesamteuropäischen Lösung, so sei etwa ein funktionierendes und gerechtes europäisches Asylsystem “überfällig”. “Nein zu Grenzkontrollen innerhalb Tirols” sagt auch der Südtiroler Heimatbund. Vielmehr müsse man auf einen “offenen Dialog zur ansatzweisen Lösung – und zwar im menschlichen Sinn” setzen, schreibt SHB-Obmann Roland Lang. Verständnis für die mögliche Abschottung Österreichs und Tirols zeigt Pius Leitner von den Freiheitlichen. Es wäre zwar bitter, wenn auch Südtirol von verstärkten Grenzkontrollen betroffen sei, “aber man muss unsere Tiroler Landsleute jenseits des Brenners, des Reschens und Winnebachs sowie Österreichs verstehen, wenn sie angesichts der europäischen Untätigkeit selber aktiv werden”, so Leitner.

Während am Brenner und an den anderen Grenzübergängen zu Nordtirol derzeit also noch offene Grenzen und keine Ausweispflicht bestehen, ist man bei den zuständigen Stellen im Land bereits in Alarmbereitschaft versetzt. Die Worte Platters und Faymanns interpretiert Soziallandesrätin Martha Stocker als “Hilferuf”. An eine gesamteuropäische Lösung für die Handhabung der Flüchtlingsströme glaubt sie angesichts der anhaltenden Untätigkeit – etwa was die Verteilung der Menschen in der gesamten EU betrifft – derzeit nicht. Doch wie Stocker im Gespräch mit dem Alto Adige meint, sei auch Alarmismus fehl am Platz. Trotzdem will sie nicht unvorbereitet sein, falls der Ernstfall eintreten und die Tiroler Grenzübergänge tatsächlich geschlossen werden sollten: “Wir müssen uns auf verschiedene Szenarien einstellen, denn ein Europa mit verstärkten Grenzkontrollen ist nicht unrealistisch.”