Wirtschaft | 4-Tage-Woche

„Es gibt keinen Einileger“

Vier Tage arbeiten und fünf gezahlt bekommen – kann das klappen? Bei der Brunecker Raffin GmbH sagt man nach drei Jahren ganz klar: Ja.
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Foto: Raffin GmbH

Begonnen hatte alles mit der Idee einer Frau. „Probiert es doch mit der 4-Tage-Woche“, meinte Carolina Kugler, die Frau des geschäftsführenden Hauptgesellschafters der Raffin GmbH Markus Raffin, als ihr Mann und sein Partner Christoph Gasser wieder einmal Sorgen wälzten. Der Grund? Ihr damals 10-köpfiger Handwerksbetrieb, der in den Bereichen Heizung, Sanitär und Elektroinstallationen tätig ist, hatte wie der Rest der Branche zunehmende Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden. „Das Handwerk hat mittlerweile ein Imageproblem“, sagt Christoph Gasser, geschäftsführender Gesellschafter der GmbH. „Als ich vor 15 Jahren meine Lehre absolvierte, gab es noch Klassen mit 25 Lehrlingen. Heute kommt man oft nicht einmal auf die Hälfte“. Darüber hinaus habe die nächste Generation andere Ansprüche an die eigene Arbeit. Geld sei längst nicht mehr alles, stattdessen forderten junge Menschen mehr Flexibilität und Lebensqualität ein. Wie also den eigenen Betrieb vor diesem Hintergrund fit für die Zukunft halten, war die große Frage, vor der die beiden Geschäftspartner standen. Bis plötzlich die Idee der 4-Tage-Woche im Raum stand – und  Raffin und Gasser genauso begeisterte wie herausforderte. Gemeinsam arbeiteten die beiden ein Konzept aus. Sie drehten und wendeten das Projekt, betrachteten es aus wirtschaftlicher, rechtlicher und technischer Perspektive. Bis dato hatte kein Südtiroler Handwerksbetrieb ein solches Modell gewagt. „Was, wenn der Umsatz einbricht?“, war einer der vielen Zweifel, die die Geschäftsführer anfangs bremsten. An einem bestimmten Punkt hörten sie auf, Fragen zu stellen und beschlossen, ein einjähriges Pilotprojekt zu starten. „Sollte es nicht klappen, kehren wir eben wieder zum alten System zurück“, war der Plan der beiden. Drei Jahre später will niemand mehr zurück zu fünf Tagen. Denn: der Umsatz ist nicht zurückgegangen, sondern Jahr für Jahr weiter gestiegen. Die Mitarbeiterzahl hat sich von zehn auf über 20 verdoppelt und die Produktivität hat spürbar angezogen, heißt es aus der Geschäftsleitung. „Unser Team erlebe ich höchst motiviert, jeder einzelne ist mit vollem Einsatz dabei; und das spiegelt sich auch in zufriedenen Kunden“, so Gasser. Und wie erleben die Mitarbeiter selbst den 4:3 Arbeitsrhythmus? Ein Gespräch mit Johannes Reichegger (Service und Reparaturen, Abteilung Elektro), Andreas Nagler (Baustellen, Abteilung Elektro), Philipp Winkler (Baustellen, Abteilung Heizung-Sanitär) und Stephan Mittermair (Service und Wartungen, Abteilung Heizung-Sanitär).

Salto.bz: Vier Tage arbeiten und fünf gezahlt bekommen: ein Traum, denken sich viele. Habt ihr das große Los gezogen oder stellt man sich das Ganze schöner vor als es ist?

Johannes Reichegger: Ich bin von Beginn an bei der Firma mit dabei und als sie uns die Idee anfangs vorstellten, war ich selbst ziemlich überrascht: wenn ich vier Tage arbeite, soll ich gleich viel verdienen wie davor mit 5 Tagen? Aber ja, wir machen jetzt eben vier Tage lang neun Stunden am Tag - statt vorher acht - und werden für 40 gezahlt und versichert.

Philipp Winkler: Ich bin so wie Johannes von Beginn an dabei, ich war der erste Fixangestellte im Unternehmen. Und ich muss sagen, für mich war die Sache auch ziemlich komisch. Man hat uns fast ein bissl überfallen mit dem Projekt und ich habe anfangs echt nicht gewusst, was ich davon halten soll. Also, ich habe mir einfach nicht vorstellen können, wieso man für weniger Stunden gleich viel Geld verdienen soll.

Sie haben gedacht, wo ist der Einileger?

Philipp Winkler: Ganz genau.

Und wo war er?

Philipp Winkler: Bis jetzt habe ich ihn nicht gefunden (lacht).

 

 

Doch die Arbeit ist ja nicht weniger geworden, die Umsätze sind ja sogar gestiegen. Das heißt, Ihr arbeitet gleich viel oder sogar mehr in weniger Zeit?

Johannes Reichegger: Ich bin selbstständig unterwegs und muss eben schauen, mir die Kunden so einzuteilen, dass ich alles schaffe. Natürlich kann man das auch als Nachteil sehen: es entsteht schon immer wieder ein zeitlicher Druck. Doch wenn ich sehe, dass es einfach nicht zu schaffen ist, komme ich auch schon mal an einem Freitag. Aber das entscheide ich selbst. Und wenn ich unter der Woche einmal dringend einen freien Tag brauche, und es machbar ist von der Einteilung her, kann ich beispielsweis auch statt den Freitag den Mittwoch frei nehmen. Die Flexibilität ist da, aber immer in Rücksprache und es darf kein Kunde zu kurz kommen.

Wenn man mit anderen Firmen redet, haben die auch alle Stress. Ob 4 Tage oder 7 Tage, der Stress ist einfach da. Aber vielleicht lässt man sich mehr drauf ein, wenn man weiß, dass man danach wieder drei Tage rasten kann. Die Motivation steigt schon, wenn es mehr Erholungszeit gibt.

Andreas Nagler: Ich war zuerst bei einer Firma mit einer 50-h-Woche, noch dazu in Bozen mit zusätzlichen Anfahrtszeiten. Ich habe dann hierher gewechselt, weil ich mehr Freizeit wollte. Ich habe zwei Kinder und da kommt mir die 4-Tage-Woche sehr entgegen. Natürlich, die Einteilung von den Arbeiten auf den Baustellen muss man halt gut organisieren. Wir haben unterschiedliche Teams, manche arbeiten von Montag bis Donnerstag, anderen von Dienstag bis Freitag. Logisch gibt es dann immer wieder Schwierigkeiten, wenn sich Arbeiten auf Montag oder Freitag verschieben. Doch, dann muss man halt ein bissl hin- und herschieben und generell läuft alles relativ gut.

Doch stressiger ist es schon?

Philipp Winkler: Ach stressiger… Wenn man mit anderen Firmen redet, haben die auch alle Stress. Ob 4 Tage oder 7 Tage, der Stress ist einfach da. Aber vielleicht lässt man sich mehr drauf ein, wenn man weiß, dass man danach wieder drei Tage rasten kann. Die Motivation steigt schon, wenn es mehr Erholungszeit gibt. Ich gehe beispielsweise gerne auf den Berg, und das kann ich jetzt öfter tun. Und das hilft total, den Kopf freizubekommen.

Stephan Mittermair: Es ist eben wie ein kleines Zuckerle, dass man von der Firma bekommt, entweder montags oder freitags frei zu haben. Ich bin beispielsweise mit einem kleinen Trupp unterwegs, wir sind für die Instandhaltung von Fernheizwerken sowie Neuanschlüsse und Schweißereien zuständig. Und von einigen Ausnahmen abgesehen, kriegen wir das schon hin, uns mit vier Tagen einzuteilen.

Meine Frau und ich können uns den Haushalt besser aufteilen, sie wird logisch auch entlastet.

Wie sind die Reaktionen der Kunden wenn man sagt: Am Freitag arbeite ich nicht?

Stephan Mittermair: Das ist kein großes Problem. Ich arbeite vor allem für Großkunden wie die Stadtwerke Bruneck und die haben Freitagnachmittag sowieso zu. Aber wie gesagt: wenn es irgendwo pressiert, wenn eine Reparatur zu machen ist, dann springen wir schon ein.

 

Im Wesentlichen ist der Trick, das Ganze hinzubekommen, also eine gute Organisation?

Johannes Reichegger: Ja, der Haupttrick ist die Organisation. Man ist dazu gezwungen, sich gut zu organisieren, sonst schafft man es nicht, die Zeit effizient zu nutzen.

Andreas Nagler: Ich glaube, je mehr Stunden du machst, desto eher tendiert man dazu, auch einmal Zeit zu verlieren. Wenn ich 40 Stunden arbeite, mache ich vielleicht 4 davon auch nicht viel. Wir müssen dagegen mehr aufs Gas steigen, weil wir ja den Freitag frei haben wollen.

Aber irgendwann muss man halt auch Stopp sagen, wenn es zu viel Arbeit wird?

Johannes Reichegger: Ja, wenn man immer nur Ja und Amen sagt, geht es natürlich nicht. Es gibt ja auch viele Betriebe, in denen von Montag bis Samstag gearbeitet wird. Das muss jeder selbst wissen, wie er das machen will. Wie gesagt: Wenn es brennt, sind wir auch immer bereit, mehr als vier Tage zu arbeiten, aber das muss halt die Ausnahme bleiben. Denn wenn man sich so einen Rahmen vorgibt, wäre schon gut, ihn einzuhalten.  

Und was hat sich in Eurem Leben verändert mit einem zusätzlichen Tag?

Andreas Nagler: Vor allem habe ich mehr Zeit für meine Kinder, die sind 6 und 11 Jahre alt. Meine Frau und ich können uns den Haushalt besser aufteilen, sie wird logisch auch entlastet.

Das heißt, die Frau freut sich auch über die 4-Tage-Woche?

Andreas Nagler: Ja sicher.

Und was haben Sie jetzt im Haushalt zusätzlich übernommen?

(alle lachen) Andreas Nagler: Wir teilen uns generell alles auf. Aber jetzt habe ich eben mehr Zeit dafür.

Johannes Reichegger: Ich habe auch noch kleine Kinder, meine sind 4 und 7 Jahre alt. Und vor allem über den Sommer, wenn die Partnerin auch bei der Arbeit ist, hat man wirklich einen Tag mehr Zeit mit den Kindern. Man braucht keinen Urlaub zu nehmen, braucht niemanden suchen, der auf die Kinder aufpasst. Das ist wirklich einer von den großen Pluspunkten.

Stephan Mittermair: Es ist einfach fein, mehr Zeit zu haben, für Hobbies, für den Berg. Aber auch, um einkaufen oder in die Bank oder Versicherung zu gehen. Gerade für solche Amtswege hat man sich sonst immer extra frei nehmen müssen. Jetzt brauchen wir viel weniger Urlaubstage für Erledigungen, also die bleiben alle für den richtigen Urlaub.

Sprich, Ihr seid mittlerweile absolut für die 4-Tage-Woche?

Stephan Mittermair: Ich kann nur sagen, ich fühle mich wie das blühende Leben. Das Betriebsklima ist super, die Chefitäten sind jung. Die verstehen auch die Bedürfnisse, die jeder hat, und haben erkannt, dass ein zusätzlicher freier Tag viel wert ist. Das ist wirklich ein Entgegenkommen.

Und dann geht man gerne arbeiten?

Stephan Mittermair: Genau! Es hat noch keinen Tag gegeben, wo ich nicht gerne arbeiten gegangen bin.