Umwelt | Klimaschutz

Naht das Ende des fossilen Zeitalters?

Die IEA lässt mit einem Bericht zur globalen Energieversorgung bis 2050 aufhorchen, in dem eine radikale Reduzierung des fossilen Energiekonsums gefordert wird
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Der im Mai von der Internationalen Energieagentur (IEA)* veröffentlichte Bericht „Net Zero by 2050“ fordert eine drastische Transformation der weltweiten Energieversorgung. Die Studie wurde auf Antrag der britischen Regierung, die bei der diesjährigen UNO-Klimakonferenz in Glasgow im November den Vorsitz hat, erstellt und zeigt ein mögliches Szenario von erforderlichen Maßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 auf.

Die IEA berät die Regierungen der Mitgliedsländer in den diversen Bereichen der Energiepolitik. Ihr jährlicher Energie-Ausblick (World Energy Outlook) hat einen großen Bekanntheitsgrad und wird von Regierungen, Institutionen und Unternehmen als Entscheidungsgrundlage für zukünftige Investitionen herangezogen. In den vergangenen Jahren hat die IEA in ihrem jährlichen Outlook die zukünftige Rolle der Erneuerbaren Energien im Energiemix unterschätzt, was von Wissenschaftlern, Investoren und anderen Gruppen, die eine rasche Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen für notwendig erachten, immer wieder kritisiert wurde. Der neue Bericht stellt eine entscheidende Trendwende dar, die viele Experten überrascht hat.

Die Kernbotschaft des umfangreichen IEA-Berichts ist, dass der Verbrauch fossiler Energien Erdöl, Gas und Kohle drastisch reduziert werden muss. Im Gegenzug müssen erneuerbare Energien stark ausgebaut und zusätzliche Maßnahmen, wie die Steigerung der Energieeffizienz zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen ergriffen werden. Die bisherigen Klimazusagen der Regierungen seien nicht ausreichend, um das Netto-Nullemissionsziel** bis 2050 zu erreichen. Laut IEA Direktor Fatih Birol sei „der Weg zur Transformation der globaler Energiesysteme bis 2050 schmal, aber das Ziel noch erreichbar" und erfordere von allen Beteiligten - Regierungen, Unternehmen, Investoren und Bürger – große Anstrengungen. Zur Bewältigung der Klimakrise sei eine Kooperation aller Länder unbedingt notwendig. “Die Erreichung der Pariser Klimaziele sei eine der größten Herausforderungen, vor der die Menschheit derzeit steht“.

Wie stark muss der fossile Energieverbrauch bis 2050 reduziert werden, um die Klimaziele zu erreichen?

Verglichen mit 2020 muss der Anteil der fossilen Energien im Jahr 2020 von 78% auf 22% im Jahr 2050 sinken, während der Anteil Erneuerbarer Energie im gleichen Zeitraum von 16% auf 67% wachsen muss, die restlichen 11% entfallen auf Atomenergie. Als Folge starker Effizienzsteigerungen in allen Sektoren wird der weltweite Energieverbrauch trotz steigender Bevölkerung und wachsender Wirtschaft bis 2050, verglichen mit 2020, um -7% sinken.

Die wichtigsten Säulen der Dekarbonisierung***

Im Folgenden werden einige der wichtigen Ziele und Maßnahmen des IEA-Berichts auf dem Weg zur Klimaneutralität aufgezeigt.

Der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen (Kohle, Erdöl und Gas) muss so schnell wie möglich erfolgen. Schon ab dem heurigen Jahr soll es keine Investitionen in neue Projekte im Erdöl-, Gas- und Kohlesektor mehr geben. Ab 2025 soll es keinen Verkauf von Heizkesseln für fossile Energie mehr geben.  Ab 2035 sollen keine PKWs mit Brennstoffmotoren mehr auf den Markt kommen. Bis 2050 soll der Erdölverbrauch um -75% und der Gasverbrauch um -55% zurückgehen und der Kohleverbrauch um fast -90% zurückgehen. Die CO2-Emissionen des verbleibenden fossilen Energieverbrauchs müssen kompensiert oder durch entsprechende Technologien abgesondert und gelagert werden (Kohlenstoffabscheidung und -speicherung; englisch: carbon capture and storage-CCS)

Der Kohlenstoffabscheidung und -Speicherung (CCS) nimmt im IEA – Szenario eine wichtige Rolle ein. Bis 2050 sollen 7,6 Gigatonnen CO2 jährlich abgeschieden und gelagert werden, heute sind es gerade einmal rund 0,04 Gigatonnen CO2.

Zwei Drittel der gesamten Energieversorgung werden im Jahr 2050 von Erneuerbaren Energien (Solar-, Wind- und Bioenergie, sowie Energie aus Geothermie und Wasserkraft) gedeckt werden. Solarenergie wird 2050 mit 20% und Windenergie mit 17% den größten Beitrag zur weltweiten Energieversorgung leisten. Schon bis 2030 sollen Solar- und Windenergie, verglichen mit 2020 um ein Vierfaches steigen.  

Am stärksten wird der Anteil Erneuerbarer Energien bei der weltweiten Stromgewinnung zunehmen. Im Jahr 2020 betrug der Anteil 29%, 2030 soll der Anteil bereits über 60 % ausmachen und im Jahr 2050 auf 90% steigen.

Schon im Jahr 2030 soll der weltweite Verkauf von Elektro-PKWs auf über 55 Millionen erhöht werden, 2050 sollen Elektroautos den Großteil der PKWs ausmachen. Im Transportsektor sollen die CO2 Emissionen bis 2030 um 20% und bis 2050 um 90% sinken.

Die Energieeffizienz muss massiv gesteigert werden, um das Energiebedarfs-Wachstums möglichst gering zu halten. Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz müssen in allen Bereichen, im Industrie- und Gebäudesektor, bei elektrischen Geräten und im Transportsektor rasch umgesetzt werden. Die Energieintensität****, ein Maß für die Energieeffizienz, muss bereits bis 2030 jährlich um 4% sinken.

Zu einem umfassenden Umbau des Energiesektors sind auch Änderungen im Verhalten der Menschen notwendig. Durch Reduzierung von übermäßigem und verschwenderischen Energieverbrauch kann jeder einzelne einen wichtigen Beitrag zur Energiereduzierung leisten. Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel, Car-Sharing, Nutzung der Eisenbahn anstatt Kurzstreckenflüge, mit dem Fahrrad zur Arbeit sind nur einige Beispiele zur Verringerung der CO2-Emissionen.

Die Nutzung von Bioenergie***** soll laut IEA bis 2050 stark ausgebaut werden. Bioenergie kann im Transportsektor, im Gebäudesektor und im Stromsektor genutzt werden. So sollen im Jahr 2050 flüssige Biokraftstoffe 45 % des weltweiten Flugkraftstoffs ausmachen. 

Die auf Wasserstoff basierte Energiegewinnung, die derzeit im Energiesektor noch eine sehr geringe Rolle spielt, soll laut Plan der IEA bis 2050 versechsfacht werden.

Die IEA verweist in ihrem Bericht auch auf die Notwendigkeit eines beschleunigten Ausbaus zur Förderung von Rohstoffen, die für den Erneuerbaren Energie-Sektor wichtig sind, wie Lithium, Kobalt, Nickel oder seltene Erden.

Der 2050 noch notwendige Erdölbedarf wird zu einem großen Teil zur Herstellung nicht brennbarer Produkte in der Petrochemischen- und Chemischen Industrie verwendet werden. Als Folge sinkender Nachfrage und daraus resultierender niedriger Ölpreise wird die Erdölproduktion vorwiegend in Ländern mit niedrigen Erdöl-Produktionskosten erfolgen (z.B. in den OPEC-Länder im Nahen und Mittleren Osten).

Laut IEA werden die Investitionen in saubere und erneuerbare Energie Millionen neuer Arbeitsplätze schaffen und das globale Wirtschaftswachstum ankurbeln.

Was bedeutet der IEA Plan für die großen Produzenten von fossiler Energie und für die großen Ölkonzerne?

Länder im Nahen Osten oder Russland, deren Wirtschaft stark vom Export fossiler Energien abhängt, müssen sich stark umorientieren und ihre Wirtschaft diversifizieren.

Auch die großen Öl/Gas-Konzerne müssen ihr Geschäftsmodell und ihr Investitions-Portfolio drastisch ändern, weg von fossilen Energien und hin zu Erneuerbarer Energie. Einige der großen europäischen Öl/Gas-Konzerne, wie BP, Total, und Eni haben diesbezüglich schon wichtige Schritte eingeleitet, während die großen amerikanischen Ölmultis noch stark in fossile Energie investieren. Joe Bidens Energiepolitik lässt hoffen, dass es auch bei den amerikanischen Öl/Gas-Konzernen zu großen Veränderungen in Richtung erneuerbare Energien kommt.

Fazit

Obwohl die Internationale Energieagentur den Ländern keine Vorschriften in Sachen Klimapolitik machen kann, so ist ihr Einfluss nicht zu unterschätzen. Wie viele der geforderten Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden können, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall ist der IEA Bericht ein bedeutender Beitrag auf dem Weg zur Erreichung der Klimaziele und ein wichtiger Input für die Verhandlungen des UNO-Klimagipfels im kommenden November. Auf der 26. UNO-Klimakonferenz (COP26) in Glasgow wird sich zeigen, wie ernst es den Ländern bei der Bekämpfung der Klimakrise ist.

*Die IEA wurde 1974 von den OECD Ländern als Reaktion auf das damalige Arabische Öl-Embargo und den ersten Ölpreisschock gegründet mit dem Ziel die zukünftige Erdölversorgung zu sichern. Im Laufe der Jahre hat sie ihre Perspektive deutlich erweitert. Energieversorgung in allen Aspekten ist nun das Anliegen der IEA, wie Energieeffizienz, Erneuerbare Energien, moderne Technologien zur sauberen Energiegewinnung. Bekannt ist die Agentur für ihren jährlichen und viel beachteten Energieprognose-Bericht (World Energy Outlook)

**Klimaneutralität oder Netto-Null-Emissionen (englisch: net zero emissions =NZE) bedeutet, dass einerseits der Ausstoß der Treibhausgase massiv reduziert wird und die restlichen Treibhausgas-Emissionen vollständig kompensiert werden müssen, es also insgesamt zu keinem Konzentrationsanstieg der Treibhausgase kommt. Die nach massiver Reduzierung des fossilen Energieverbrauchs noch verbleibenden CO2 Emissionen werden durch Kohlenstoff-Senken kompensiert werden (z. B. durch Anpflanzung von neuen Wäldern, welche CO2 binden). Eine zusätzliche Möglichkeit zur Reduzierung von CO2-Emissionen bietet die Abspaltung von CO2 in Gas- und Kohle-Kraftwerken und die „dauerhafte“ Einlagerung des CO2 in unterirdische Lagerstätten (englisch: carbon dioxid capture and storage=CCS).

*** Dekarbonisierung bedeutet die Abkehr der Energiewirtschaft von der Nutzung kohlenstoffhaltiger (= fossiler) Energieträger.

**** Die Energieintensität ist eine Kennzahl für die Energieeffizienz, die den Primärenergieverbrauch einer Volkswirtschaft in Bezug zum erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukt setzt. Je weniger Energie benötigt wird, um eine Einheit des BIPs zu erwirtschaften, desto effizienter ist eine Wirtschaft in Bezug auf Energie.

***** Bioenergie entsteht durch Umwandlung von Biomsse in Strom, Wärme oder Kraftstoffe. Sie kann sowohl in festem, flüssigem, als auch in gasförmigem Zustand zur Verfügung stehen. Bioenergie kann aus pflanzlichen Rohstoffen wie Holz und Holzabfällen, Pflanzen, Feldfrüchten, Bioabfällen, Stroh, Gülle etc. hergestellt werden.