Books | Salto Gespräch

"Es fehlt ein Teil von und in mir"

Am 27. Dezember 2018 wurde Maria Magdalena Oberhollenzer erdrosselt aufgefunden. Ein Gespräch mit ihrem Zwillingsbruder über das Buch zur Schwester.
Josef v. Sand
Foto: Gerd Eder

salto.bz: Heute vor zwei Jahren wurde Ihre Zwillingsschwester in St. Georgen bei Bruneck tot aufgefunden. Sie haben über sie und ihr Leben ein Buch geschrieben. Wann war Ihnen klar, dass sie diese Geschichte zu Papier bringen wollen? 

Josef v. Sand: Recht bald. Nach der manchmal verzerrten Berichterstattung der ersten Monate wollte ich meiner Schwester ihre Würde und ihr „Leben“ zurückgeben.

Es sind die kleinen Weggabelungen oder Stellschräubchen in einem Leben die alles hätten verändern könnten.

Wie verlief ihre Kindheit? Sie waren sogar – so schreiben Sie – als Adoptivkinder für Silvius Magnago und seiner Frau Sophia im Gespräch…

Unsere Kindheit als uneheliche Kinder der sechziger im vorigen Jahrhundert war sehr entbehrungsreich und in meinen Erinnerungen trüb. Das mit der Adoption hatte mir eine Tante erzählt. Es wären wahrscheinlich gute Eltern geworden. Es sind die kleinen Weggabelungen oder Stellschräubchen in einem Leben die alles hätten verändern könnten. In die Eine, aber auch andere Richtung. Auch das ist eine Botschaft in meinem Buch.

 

Wie hat sich der Kontakt zu Ihrer Schwester im Lauf der Jahre entwickelt? 

In der Kindheit und in Jugendtagen, waren wir sehr eng. Später hat jeder sein Leben gelernt zu leben. Mein ambivalentes Verhältnis zu Alkohol hat für so manche heftige Diskussion gesorgt. Es geht schwer in meinen Kopf hinein dass Menschen ihre Leben, Existenzen, Familien und Gesundheit auf dem Altar des „Lepses“ opfern. 

Wie viel Nähe? Wie viel Distanz? Wie wesentlich waren solche Fragen in Ihrer Zwillingsbeziehung?

Wir waren ja Zweieiige Zwillinge. Also sehr verschiedene Charaktere. Und doch wenn ich an mein Gefühl denke, nach ihrem tragischen Tod, es ist als wäre dir etwas genommen, etwas entrissen worden, es ist als fehlt ein Teil von und in mir.


Wie erinnern Sie sich an das Weihnachtsfest 2018, an das letzte Gespräch mit Ihrer Schwester? 

Es gibt wenig für dass ich dankbarer bin als für diese vier Minuten am 24.12.18 in denen wir telefoniert hatten. Gegen meine Gewohnheit hatte ich sie angerufen, in der Hoffnung sie halbwegs klar anzutreffen. Es war ein angenehmes herzlich-erwärmendes Gespräch. Diese Minuten trage ich als meinen persönlichen Schatz und als Abschied in mir.

Wie ging Ihre Schwester mit „Hilfe“ um? Nahm sie sie an? Lehnte sie ab?

Marlene hat alle Hilfen die materielle Möglichkeiten boten bekommen. Wenn ich einen roten Teppich ausbreite, wäre es Sinnvoll über ihn zu gehen. Also sich helfen zu lassen. Manchmal hatte ich das Gefühl sie zieht es vor den steinigen unsicheren Weg gehen zu wollen. Sie hat Hilfe nur angenommen wenn sie kurz vor dem Ertrinken war. 

Im Buch findet sich auch ein Abdruck eines Interviews mit Psychiater, Psychotherapeut, Suchtforscher und Gerichtsgutachter Reinhard Haller. Was sagen Ihnen seine Feststellungen?

Ich habe das Interview auf einem Flug von irgendwo her gelesen und für mich war sehr schnell klar, dass dieses Gespräch in der Welt, das ist was ich abgedruckt haben möchte. Es hat mir in Ansätzen Antworten, auch wenn sie mich nachdenklich gestimmt haben gegeben, wie Täter ticken können, um deren Beweggründe zu verstehen. Es war nicht einfach vom Axel Springer Verlag die Zusage zu bekommen. Monetäre Zuwendungen haben geholfen. Im Klartext, Geld gegen Abdruckgenehmigung.

 

Sie haben sich sehr persönlich von Ihrer Schwester verabschiedet. Nicht in Südtirol. Nicht nach katholischen Vorgaben. Wie kam es dazu?

Es war unerträglich zu sehen dass ein Familienmitglied 295 Tage in der Pathologie eingefroren liegt und keiner zu keinem Zeitpunkt wusste, wann wir den letzten Weg mit meiner Schwester gehen dürfen. Meine Buddhistische Trauerfeier in Thailand war sehr befreiend, als der alte weise Mönch gesagt hat sie kann jetzt ins Licht. Die Seele ist freigegeben worden. Die christliche Trauerfeier hatten wir im November 2019 in unserer Heimatgemeinde. Da ich von nur einer Energie ausgehe, nennen sie es Gott der nur in verschiedensten Namen gerufen wird, ging das für mich vollkommen in Ordnung.

Was hätten Sie Ihrer Schwester noch gerne erzählen wollen?

Was für eine schwierige Frage. Erkenne den Wert des Lebens, deines Lebens, in jedem Augenblick. Es ist und es wird das größte und wichtigste Geschenk sein und bleiben dass wir haben. Verschenke es nicht, wirf es nicht weg. Pass auf dich auf. Bitte. Leben ist jetzt.