Wirtschaft | Unmut

"Wie weit muss es noch kommen?"

Was haben einige Mitarbeiter der Leitner-Firmengruppe und der Stadtrat von Sterzing gemeinsam? Sie sind besorgt und kritisieren das System Südtirol samt Landespolitik.

Es herrscht große Verunsicherung im unteren Wipptal. Wie soll es weitergehen? Diese Frage stellen sich derzeit nicht wenige. Man sorgt sich, angesichts der jüngsten Entwicklungen bei den größten Arbeitgebern in der Region, in der Privatwirtschaft ebenso wie im öffentlichen Sektor: Abwanderungen, Kürzungen, Perspektivlosigkeit – dadurch droht der Wirtschaftsstandort Sterzing zunehmend an Attraktivität zu verlieren. Und gar einige Angestellte ihre Arbeit.


Leitners Leiden

“Es gibt mehrere junge Menschen in unserem Hause, die meinen, wir sollten jetzt mit Pauken und Trompeten abziehen”, gestand der Chef der Leitner-Firmengruppe Michl Seeber in einem salto.bz-Interview im September 2014. Ein Jahr später scheint sich der Unmut im Sterzinger Leitner-Werk um nichts gelegt zu haben. Im Gegenteil, nach Seeber melden sich nun einige seiner Mitarbeiter zu Wort. Sie blicken mit Unmut über den Brenner. “In Telfs wird die Firma Leitner mit offenen Armen als Arbeitgeber und Steuerzahler empfangen. In Sterzing muss sich die Firma seit Jahren mit den Revanchismen von ein paar Möchtegernpolitikern herumschlagen”, beklagen sie. Michl Seeber selbst macht kein Hehl daraus, dass er seinem Heimatland am liebsten mit Sack und Pack den Rücken kehren würde – vor allem in Sachen Bürokratie stünde der Standort Tirol im Vergleich Südtirol um einiges besser da. Im Übrigen erwirtschaftet Leitner inzwischen nur mehr drei Prozent ihres Umsatzes in Südtirol. “Das einzige, was man hier eventuell noch abkriegt, ist die italienische Finanzkontrolle”, kritisierte Seeber noch 2014. Und gestand im selben Atemzug: “Aber ich habe halt noch diese Südtirol-Krankheit.”

Michl Seeber: Auf dem Weg der Besserung? Foto: suedtirolfoto.com/Othmar Seehauser

Doch er scheint auf dem Weg der Genesung zu sein. Denn wie die dortigen Mitarbeiter vor einigen Tagen erfuhren, wird am morgigen Montag, 30. November, mit den Bauarbeiten zur Erweiterung des Standortes in Telfs begonnen. Bereits im Frühjahr dieses Jahres hatte Seeber seine Absicht bekundet, die Nordtiroler Produktionsstätte zu “pushen”. Zehn Millionen Euro und mehr kündigte er an, für die Produktionsförderung in Telfs investieren zu wollen. Bereits auf das Tiroler Werk konzentriert wurde die Herstellung von Beschneiungsanlagen, auch alle Liftsessel des Unternehmens werden dort gefertigt. Nun soll die Produktionshalle im Osten des Telfser Leitner-Areals vergrößert werden, auf drei Etagen neue Büros und Konferenzräume entstehen. “Wir sind überzeugt, dass die räumliche Erweiterung die kontinuierliche Stärkung des Standortes Telfs fördert und freuen uns auf eine herausfordernde und weiterhin erfolgreiche Zusammenarbeit”, heißt es in einer internen Mitteilung, mit der die Mitarbeiter über den unmittelbar bevorstehenden Baubeginn informiert werden.


“Wie weit muss es noch kommen?”

Und in Sterzing? Dort hält sich Freude über den Ausbau der Produktionsstätte in Telfs in Grenzen. “Im nächsten Jahr wird eine ganze Produktionstrasse und Teile der Verwaltung von Sterzing abgezogen werden”, berichten einige Südtiroler Leitner-Mitarbeiter: “Ebenso wird die gesamte Produktionstätigkeit der Firma Demanclenko mit über 50 Mitarbeitern nach Telfs verlagert werden.” Demanclenko gehört zur Unternehmensgruppe Leitner mit Standort in Klausen und ist seit 2012 in der Produktion von Beschneiungsanlagen tätig. Ab 2016 soll sie also in Telfs produzieren. “Schade, dass das nötig ist”, heißt es unter den Südtiroler Leitner-Angestellten. Mit knapp 400 Mitarbeitern landesweit ist das Unternehmen auch der größte private Arbeitgeber in Sterzing.

Das Leitner-Werk in Telfs: Es soll “gepusht” werden.

Einige der Beschäftigten werfen der Politik grobe Versäumnisse vor, die dafür gesorgt hätten, dass der Abzug von Personal und Produktion der Leitner aus Südtirol munter voranschreite. “Der Herr Landeshauptmann, leider nur ein verglühender Stern, hat sich seit dem Wahlkampf in Sterzing nicht mehr blicken lassen und ist für dieses Thema scheinbar auch nicht zugänglich”, wird kritisiert. Man springt Michl Seeber in seiner Kritik am System Südtirol zur Seite: “Wir Mitarbeiter fragen uns wirklich, wie weit es noch kommen muss, damit die Politiker endlich einsehen, dass nicht die Zankereien um den Flughafen oder ihre Gehälter oder sonst was fundamental sind, sondern dass die Unternehmer einfach nicht mehr an Südtirol glauben!


System Südtirol unter Beschuss

Doch nicht nur in der Privatwirtschaft macht man sich Sorgen um die Zukunft des Standorts Sterzing und die dortigen Arbeitsplätze. Auch der Stadtrat der Fuggerstadt ist “sehr besorgt”. Die Gemeindevertreter stehen den Entwicklungen im Gesundheitswesen skeptisch gegenüber und kritisieren – ebenso wie die Leitner-Mitarbeiter – die Landespolitiker. In einer öffentlichen Stellungnahme verurteilen Bürgermeister Fritz Karl Messner und seine fünf Stadträte “leere, allgemeine Versprechungen”, die immer noch aus Bozen zu vernehmen seien, “wie beispielsweise die Bekräftigung der Landespolitik ‘Wir stehen zu allen sieben Krankenhäusern’”.

Auch die Drohung von Generaldirektor Dr. Thomas Schael, ab 1. Jänner 2016 die Geburtenstationen in Sterzing und Schlanders schließen zu wollen, ist weiterhin eine Kampfansage an diese Krankenhäuser und scheint sich gegen die Bemühungen der Südtiroler Parlamentarier mit Hans Berger und Co. zu richten, die sich ernsthaft für den Erhalt der Geburtenstationen auf der Ebene des Gesundheitsministeriums einsetzen. Der Stadtrat von Sterzing empfindet dies umso problematischer, da Schael immer wieder zum Ausdruck bringt, dass er nur im Auftrag der politischen Vorgaben handle.
(Stadtrat Sterzing)

“Wir fordern klare Aussagen zum Erhalt des Krankenhauses mit allen derzeitigen Abteilungen und Primariaten”, schreiben Messner & Co. auf der Webseite der Gemeinde Sterzing. Sie bezeichnen die derzeitige Situation in der Gesundheitspolitik als “allgemeine Verunsicherung”. Dazu kommen die jüngsten Aussagen zur Arbeitszeitregelung, die nun auch noch die Erste-Hilfe-Stationen in den kleinen Krankenhäusern in Diskussion brächten und “ein weiteres Mal dem Fass den Boden ausschlagen”.

Sterzings Stadtrat mit Bürgermeister Fritz Karl Messner (3. v.r.): allgemeine Verunsicherung.

“Es geht hier nicht um irgendetwas, sondern es geht um die lebensrettende Erstversorgung”, warnen die Sterzinger Stadtpolitiker. Doch nicht nur darum, sondern auch um Arbeitsplätze: “Die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Krankenhaus Sterzing brauchen Sicherheit und Zukunftsperspektiven. Wenn man die qualifizierten Arbeitsplätze im Gesundheitswesen in Frage stellt, stellt man die gesamte Wirtschafts-, Struktur- und Regionalförderung in Frage”, so die Kritik des Stadtrats. “Spezialisierte Fachärzte wandern ab, das Krankenhauspersonal ist demotiviert und frustriert, auch was die Sorge um den Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes anbelangt, vor allem jene, die keine Fixanstellung haben”, bemängelt auch der KVW Wipptal.

Gemeinsam sprechen sich Stadtrat und der Arbeitnehmerverband für eine Gesundheitspolitik aus, die “die Bedürfnisse und Vorstellungen der Bevölkerung des Wipptales ernst nimmt”. Darum scheint es derzeit im Wipptal vordergründig zu gehen: Man will ernst genommen werden, samt Sorgen, Befürchtungen und Unsicherheiten, die die Mitarbeiter der größten Arbeitgeber – privat wie öffentlich – haben. Es geht nicht um mehr, aber auch um kein bisschen weniger.

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Christian Mair So., 29.11.2015 - 11:04

"Michl Seeber selbst macht keinen Hehl daraus, dass er seinem Heimatland am liebsten mit Sack und Pack den Rücken kehren würde – vor allem in Sachen Bürokratie stünde der Standort Tirol im Vergleich Südtirol um einiges besser da."

Jenseits der Forderung nach Doppelstaatsbürgerschaft, wird die Frage nach einer dynamischen Autonomie lauter werden.
Kann durch eine Kondominiumslösung österreichisches Recht in die Landesrecht umgesetzt werden?
Vor allem aber zeigt das Beispiel den unzureichenden politischen Integrationsprozess der EU. Zur Lösung derartiger Probleme bedarf es mehr Europa.

So., 29.11.2015 - 11:04 Permalink