Politik | Flüchtlinge

Aufnahme auf Südtirolerisch

1.284 Menschen kommen derzeit in landesweit 23 Strukturen für Asylbewerber unter. Um alte und neue Fragen zum Thema Flüchtlinge ging es am Montag im Zeilerhof in Gries.
Hellmuth Frasnelli, Arno Kompatscher
Foto: Salto.bz

“Ich bin glücklich, dass in diesem Haus Hilfe in Not geleistet wird.” Mehr hat Hellmuth Frasnelli nicht zu sagen. Der Unternehmer ist bescheiden und hält sich lieber im Hintergrund. Dafür sind es die anderen Redner, die Frasnelli am Montag Vormittag nicht genug loben können. Er hat sein Haus, den Zeilerhof im Bozner Stadtteil Gries, auf eigene Kosten renoviert und stellt ihn der Provinz kostenlos für die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung. Seit Mitte Oktober bietet der Zeilerhof oder “maso Zeiler” wie er von den Bewohnern genannt wird, bis zu 40 Personen, vorwiegend Familien, Platz. “Das, was Hellmuth Frasnelli macht, ist nicht selbstverständlich”, betont Soziallandesrätin Martha Stocker, die am Montag zu einer Pressekonferenz in den Zeilerhof geladen hat. Auf der Suche nach Unterkünften für die Flüchtlingen, die Südtirol vom Staat zugewiesen werden (zur Erinnerung: unser Land nimmt 0,9 Prozent der in Italien registrierten Asylbewerber auf), hat es auch Schwierigkeiten gegeben, vor allem mit Privatbürgern, wie Stocker berichtet: “Es hat gar einige Absagen gegeben, viele auch wegen starkem Druck aus dem Umfeld, auf den hin Private ihr Angebot wieder zurückziehen. Daher umso mehr Anerkennung für jene wie Herrn Frasnelli, der diesen sozialen Auftrag erkannt hat und nachgekommen ist.”

Dass die Frage der Aufnahme von Asylbewerbern eine gesamtgesellschaftliche ist, davon ist auch Landeshauptmann Arno Kompatscher überzeugt, der überraschend und mit etwas Verspätung in Gries eintrifft. “Mehr als eine Herausforderung ist es eine Aufgabe, die uns alle betrifft”, sagt er im Hinblick auf die Flüchtlingsfrage und wie damit umgegangen wird. Die wahre Herausforderung sei, so Kompatscher, “die rechtlichen Regeln, die das System nun einmal vorgibt, einzuhalten, aber gleichzeitig menschlich zu bleiben und nicht zu vergessen, dass jeder Mensch, der zu uns kommt eine individuelle Geschichte mit bringt und entsprechend versuchen zu helfen”. Alternativen zur Hilfe wenn Menschen zu uns kommen, die diese benötigen, gibt es für den Landeshauptmann keine: “Wir wollen uns dieser Situation stellen und damit umgehen. Das ist unsere Pflicht, die auf unseren christlich-humanistischen Werten gründet. Oder wollen wir, dass uns unsere Enkel einmal fragen werden, wo wart ihr damals? Hattet ihr Angst vor den Populisten und davor, Zustimmung zu verlieren? So wie es die 68er-Generation getan hat, als sie verstehen wollte, wie es zu Nationalsozialismus und Faschismus kommen konnte. Vor dem Hintergrund dieser Frage ist es leichter, Flagge zu zeigen.”

Um den Ängste und Sorgen, die es im Zusammenhang mit Flüchtlingen auch in der Südtiroler Bevölkerung gibt – ein Stück weit entgegen zu wirken, liefert Landesrätin Stocker am Montag eine ganze Reihe von Zahlen.

Aufnahme in Südtirol

Zur Zeit gibt es südtirolweit insgesamt 23 Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber (das Ex-Alimarkt-Gebäude in der Bozner Industriezone mit eingerechnet). 9 davon in der Landeshauptstadt, in der 57% der aufgenommenen Personen untergebracht sind. Erst vor Kurzem haben die Strukturen in Villnöss und Pfatten geöffnet, “die Verteilung der Menschen und damit die Erleichterung für Bozen wird im Jänner 2017 sukzessive fortgeführt”, kündigt Stocker an. In den 23 Aufnahmestrukturen sind aktuell 1.284 Personen untergebracht (88% Männer und 12% Frauen), darunter rund 150 ehemaliger “fuori-quota”-Flüchtlinge, die nach und nach in den zusätzlich eröffneten Einrichtungen aufgenommen werden sollen – bis zur Erreichung der derzeit vom Staat vorgesehenen Quote von 1.470 Personen. Darunter etwa jene rund 70 Personen in Familien, die zur Zeit noch in Pensionen untergebracht sind. Die meisten Asylbewerber, die Südtirol beherbergt, kommen aus Nigeria (25%), gefolgt von Pakistan (17%), Gambia (10%), Bangladesch (8%), Mali (7%), Senegal (6%), Afghanistan (5%) und Elfenbeinküste (4%). Was den Rechtsstatus der Menschen in den Einrichtungen betrifft, warten 56,6% noch auf die Vorladung zur Kommission, die den gestellten Asylantrag prüft. 31,5% haben gegen die Ablehnung ihres Antrages inzwischen Rekurs eingereicht, 3,8% wurde die Ablehnung mitgeteilt. Die restlichen Personen genießen einen besonderen Schutzstatus und haben daher Anrecht auf Aufnahme.
Rund ein Zehntel der 1.284 aufgenommenen Menschen, nämlich 125, sind “besonders schutzbedürftig”, das heißt entweder Minderjährige, traumatisierte Personen mit psychischen Beeinträchtigungen, Opfer von Folter und Gewalt oder Menschenhandel, schwangere Frauen, Alleinerzieher, behinderte oder ältere Menschen.

14,1% der aufgenommenen Asylbewerber, an die 190 Personen, haben derzeit ein Arbeitsverhältnis. “Südtirol liegt damit über dem europäischen Durchschnitt”, kommentiert Landeshauptmann Kompatscher. Hauptbeschäftigungsbereiche sind der Tourismus, die Landwirtschaft und der Reinigungssektor. Asylbewerber dürfen grundsätzlich ab dem 60. Tag nach Asylantrag arbeiten. Zu den 190 arbeitenden Asylbewerbern kommen 60 bis 80, die in gemeinnützigen Projekten in den Gemeinden involviert sind. Außerdem gibt es einen geringen Prozentanteil (3,6%), der nicht arbeitsfähig ist.
“Auch die Integration funktioniert besser, wenn diese Menschen eine Arbeit haben”, ist Landesrätin Stocker überzeugt. Neben Sprachkursen – derzeit werden rund 3.090 Stunden im Monat für Deutsch- und Italienischkurse abgehalten – soll daher ein Kompetenzcheck mit den Asylbewerbern durchgeführt werden. “Wenn einmal feststeht, wo die Kompetenzen der Einzelnen liegen, kann auch die richtige Aus- oder Weiterbildung folgen, damit die Menschen tatsächlich das leisten können, was die Arbeitgeber im Land erwarten und in jene Berufe einsteigen können, wo Bedarf an Arbeitskräften besteht.”

Hilfe auf Durchreise

Im Zeilerhof dabei war auch Claude Rotelli, Direktor von Volontarius. Neben der Führung von 13 der 23 Aufnahmestrukturen – das Ex-Alimarket wird gemeinsam mit Weißem und Rotem Kreuz geleitet –, sind die Freiwilligen von Volontarius auch an den Bahnhöfen am Brenner und in Bozen tätig. “Zwischen Jänner und November 2016 haben wir in Bozen 6.032 Personen betreut”, berichtet Rotelli. Das waren weniger als noch im Vorjahr, aber die Schwierigkeiten haben nicht abgenommen, “zumal ein Großteil derer, die am Bahnhof landen, Familien und unbegleitete Minderjährige sind”. 237 Familien mit insgesamt 312 minderjährigen Kindern hat Volontarius in den ersten 11 Monaten des Jahres 2016 am Bozner Bahnhof betreut. In derselben Zeit wurden in der Struktur für unbegleitete Minderjährige in der Romstraße 67 Kinder und Jugendliche aufgenommen. “38 davon sind aber so genannte ‘autodimissionari’, die nur wenige Tage dort verbracht haben und dann auf eigene Faust weitergereist”, erklärt Rotelli. Derzeit sind in der Romstraße 16 Minderjährige untergebracht. Zur Situation am Brenner liefert Rotelli die Zahl derer, die Volontarius bis November dort betreut hat: 15.130 Personen.

“Die große Arbeit ist noch nicht getan”, mahnt Rotelli gegen Ende der Pressekonferenz, “es stehen neue Herausforderungen, die es anzugehen gilt”, meint er und wirft einen Blick auf den Landeshauptmann. “Ein Thema, das auf uns zukommt ist die Frage, was mit jenen Menschen geschehen soll, deren Asylantrag abgelehnt wird”. Rechtlich gesehen verlieren diese Personen ihr Recht auf Aufnahme und stehen, wie bereits geschehen, von einem Tag auf den anderen auf der Straße. “Wir laufen Gefahr, dass diese Menschen von Flüchtlingen zu Obdachlosen werden”, warnt Rotelli und meint, in Richtung Arno Kompatscher gewandt: “Die Politik, sowohl auf lokaler aber auch staatlicher Ebene muss dafür eine Antwort finden.” Dass der Ausgang des Asylverfahrens wie ein Damoklesschwert über viele Menschen, die Südtirol aufgenommen hat, hängt, ist dem Landeshauptmann bewusst. “Wir werden alles versuchen, um es zu keiner Notsituation kommen zu lassen”, verspricht er. Und erinnert daran, dass die Devise, “im System, aber auch menschlich zu bleiben” laute: “Und das gilt nicht nur jetzt an Weihnachten, sondern auch im nächsten Jahr”.