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Warten, bis der Arzt kommt

Um durchschnittlich 2,5 Tage sind die Wartezeiten für Facharztvisiten in den Krankenhäusern seit 2009 gestiegen. “Eine bedenkliche Tendenz”, warnen Verbraucherschützer.
Arzt im Wartezimmer
Foto: upi

Den Rekord dürfte das Krankenhaus Bozen halten. 260 Tage wartet man dort aktuell auf eine Augenvisite, 251 sind es für eine rheumatologische Visite. Frustrierend, wahrscheinlich nicht nur für die Patienten sondern ebenso die Ärzte sind die langen Wartezeiten, die es für Facharztvisiten, aber auch Eingriffe und Operationen häufig auf sich zu nehmen gilt. Und sie sind, trotz Beteuerungen vonseiten der Politik und Sanitätsbetriebs über die Jahre nicht etwa kürzer geworden. “Seit 2009 sind die Vormerkzeiten für Fachvisiten durchschnittlich um 2,5 Tage gestiegen”, meldet die Verbraucherzentrale Südtirol (VZS). Dort hat man sich die Datenbank, in der seit 2009 die Wartezeiten festgehalten werden, angeschaut und die Daten vom September 2009 mit jenen vom Juli 2017 verglichen – und “eine bedenkliche Tendenz” festgestellt.

Der Vergleich der sieben Krankenhäuser Südtirols ergab: Die tatsächliche Wartezeit für eine Visite ist derzeit in Bozen am längsten und beträgt durchschnittlich 81,14 Tage. In Sterzing ist sie mit 33,7 Tagen am kürzesten. “Vergleicht man die Entwicklung der Wartezeiten von 2009 mit 2017, so ist auch hier Sterzing ‘Klassenbester’”, melden die Verbraucherschützer. Dort ist die durchschnittliche Wartezeit seit 2009 um 13,53 Tage gesunken, während sie in Brixen im selben Zeitraum um 17,39 Tage gestiegen ist. Allerdings müssten diese Ergebnisse “insoweit relativiert werden, als jeweilige Vormerkzeiten abhängig vom Krankenhaus und den jeweiligen Leistungen innerhalb eines Krankenhauses stark variieren”, gibt die VZS zu bedenken.

 

Wer hat, der kann?

Was den Verbraucherschützern zu denken gibt, ist die Möglichkeit, eine Privatvisite im Krankenhaus zu vereinbaren. Seit 2010 ist es Krankenhausärzten erlaubt, in gewissem Rahmen neben ihrer Arbeit für den Sanitätsbetrieb auch freiberuflich tätig zu sein und dafür die Strukturen der Krankenhäuser zu nutzen. Sie bieten dieselbe Dienstleistung an – für Geld, aber zu erheblich kürzeren Wartezeiten. Die VZS hat überprüft: “Im Bereich der Dermatologie betragen die regulären Vormerkzeiten zwischen 97 und 194 Tage. Eine Stichprobe hat ergeben, dass für eine entsprechende Privatvisite erste Termine bereits nach 6 Tagen frei waren, wenn man nicht zu einem bestimmten Arzt wollte.”
Die Verbraucherschützer warnen: “Es scheint, als habe die Einführung der Privatvisite anstatt die Wartezeiten zu verkürzen dazu geführt, eine Zwei-Klassen-Medizin zu etablieren. Wer es sich leisten kann, hat Zugang zu ärztlicher Versorgung in angemessen kurzer Zeit. Alle anderen müssen warten.”

Seit einigen Jahren gibt es zwar ein Rückvergütungssystem – liegt die Vormerkzeit für eine nicht dringliche Visiste im jeweiligen Gesundheitsbezirk bei mehr als 60 Tagen, erstattet der Sanitätsbetrieb eine Pauschale von 50 Euro für eine Privatvisite außerhalb des Krankenhauses zurück –, dieses ändere “aber weniger an der bedenklichen Tendenz hin zur Zwei-Klassen-Medizin”, da der Betrag verglichen mit den “hohen Kosten für eine Privatvisite gering” sei, so die VZS.
Tatsächlich kostete die Rückvergütungs-Regelung den Sanitätsbetrieb – und damit den Steuerzahler – seit Mai 2014 insgesamt 1,2 Millionen Euro. Immer mehr Patienten suchen um die Rückerstattung der Kosten für Privatvisiten an: 4.809 Leistungen wurden 2014 mit 245.400 Euro rückvergütet, 2015 waren es bereits 8.141 Leistungen, für die 407.050 Euro rückvergütet wurden, und 2016 ganze 10.930 Leistungen um 546.500 Euro. Der Löwenanteil der Vergütungen betrifft dabei die Augenvisiten. Das geht aus einer Landtagsanfrage der Süd-Tiroler Freiheit hervor.

“Die Flucht zu den Privaten muss gestoppt werden”, fordert auch der CGIL-AGB-Sekretär Alfred Ebner. Für ihn hat die Verkürzung der Wartezeiten “absolute Priorität”.

 

Gründe – und Lösungen?

Worauf sind die langen Wartezeiten aber zurückzuführen? Und warum ist es bisher nicht gelungen, sie zu verkürzen? Gesundheitslandesrätin Martha Stocker nennt vier Gründe für die über die Jahre länger gewordenen Wartezeiten: den demografischen Wandel (“das ältere und folglich versorgungsintensivere Bevölkerungskollektiv nimmt zu”); die Veränderung und Zunahme der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten; das zunehmende Bewusstsein und die Sensibilität der Bevölkerung für die verschiedenen Pathologien; zu wenig materielle und personelle Ressourcen in gewissen fachärztlichen Krankenhausabteilungen.
Mehr Ressourcen für Mitarbeiter, aber auch für Informatisierung, eine verbesserte zentrale Koordination sowie der Austausch mit Patientenorganisationen sieht auch Pierpaolo Bertoli, Ärztlicher Leiter des Krankenhaus Meran als mögliche Lösungen für das Wartezeiten-Problem. So gelte es etwa, Patienten über die tatsächliche Dringlichkeit einer Visite besser aufzuklären, meint Bertoli im Morgengespräch von RAI Südtirol. Forderungen, denen Alfred Ebner zustimmt. Zu hoch eingestufte Dringlichkeiten bei Verschreibungen der Hausärzte tragen nämlich dazu bei, dass sich die Wartezeiten verlängern. Das Hauptproblem, so Bertoli, sei allerdings ein “Ungleichgewicht zwischen Angebot von fachärztlichen Leistungen und Nachfrage”.

Generaldirektor Thomas Schael, den Bertoli als Präsident der Paritätischen Kommission im Sanitätswesen berät, wird am heutigen Montag Führungskräften und Gewerkschaftsvertretern sein neues Wartezeiten-Konzept präsentieren.

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Fritz Neumair Mo., 04.09.2017 - 15:36

Die Wartezeiten könnten durch drei Maßnahmen reduziert werden:
-weniger Zuweisungen durch die Basisärzte, durch bessere Versorgung durch sie selbst,
-Förderung von niedergelassenen Fachärzten,
-bessere Motivation der Fachärzte im Krankenhaus (zB Abbau der überflüssigen Bürokratie oder u.a. mehr Wertschätzung)

Mo., 04.09.2017 - 15:36 Permalink
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Harald Knoflach Mo., 04.09.2017 - 19:13

Antwort auf von Fritz Neumair

@neumair
genau. das müsste der weg sein.
- hausärzte in südtirol sind zu zettelschreibern degradiert und das system mit der bezahlung per patientenanzahl hemmt die investitionsfreudigkeit in moderne, zeitgemäße praxen
- in österreich ist das krankenhaus die dritte station in der hierarchie. 1. hausarzt 2. hausarzt überweist an facharzt mit kassenvertrag (sprich die behandlung ist von der gesetzlichen krankenversicherung gedeckt) 3. facharzt überweist an klinik, wenn fall komplexer bzw. bereichsübergreifend ist

Mo., 04.09.2017 - 19:13 Permalink