Gesellschaft | Schicksal

Bleiben, ja. Aber wo?

Vater, Mutter, zwei minderjährige Kinder. Eine kurdische Flüchtlingsfamilie weiß nach ihrem positiven Asylbescheid nicht, wohin sie soll.
vor dem Zeilerhof
Foto: Salto.bz

Ihre Geschichte ist eine wie viele. Anfang 2016 beschließt Wrya Anwar. zu fliehen. Er ist Kurde und lebt mit seiner Familie in Ebril. Ebril ist die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan. Anwar ist dort als Journalist tätig. Nach regimekritischen Berichten droht ihm eine Gefängnisstrafe. Er hat Angst, und macht sich mit seiner Frau und den beiden gemeinsamen Kindern auf den Weg. Über die Türkei und das Mittelmeer erreichen die vier Italien. Über Verona landen sie im April 2016 schließlich in Bozen. Dort stellt Anwar einen Antrag auf Asyl.

Während die Familie auf den Bescheid wartet, kommt sie im Zeilerhof im Bozner Stadtteil Gries unter. Der Unternehmer Hellmuth Frasnelli hat das Gebäude für die Aufnahme von Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. Geleitet wird die Struktur vom Verein Volontarius.
“Seit einem Jahr und einem Monat sind wir hier”, berichtet Anwar. Er spricht gutes Deutsch. Weil er im Irak mehrere Jahre mit den Vereinten Nationen gearbeitet habe, erklärt er.
Anwar spricht ruhig, er wirkt gefasst. Doch er ist verzweifelt. “Ich weiß nicht mehr weiter.” Dabei könnte er Grund haben, aufzuatmen.

Am 12. Juli 2017 erhält er den Asylbescheid. Genau an dem Tag, an dem er seinen 40. Geburtstag feiert. Der Bescheid ist positiv. “Ich und meine Frau haben eine Aufenthaltsgenehmigung für fünf Jahre bekommen”, bestätigt Anwar.
Doch mit der guten Nachricht kommt auch eine weniger gute: Laut Gesetz können Asylwerber mit positivem Asylbescheid noch sechs Monate in den Einrichtungen verweilen. Für Anwar und seine Familie bedeutet das: Bis 12. Jänner 2018 dürfen sie im Zeilerhof bleiben.

Das wird Anwar und seiner Frau am 17. Juli 2017 von Volontarius schriftlich mitgeteilt. Doch wohin sollen die vier? Auf diese Frage hat die Familie bis heute keine Antwort. Ausnahmsweise habe man ihnen erlaubt, weitere zwei Wochen im Zeilerhof zu verbringen, sagt Anwar. Die laufen heute aus. Eine Bleibe haben sie immer noch nicht. Eine Wohnung habe er trotz eifriger Suche nicht gefunden, meint der Familienvater.

“Bei einem Treffen mit Volontarius und den Sozialdiensten hat man uns gesagt, dass wir für zehn bis 14 Tage in einem Hotel untergebracht werden und dann in ein Haus in Bruneck umziehen sollen”, fasst Anwar zusammen. Doch ins Hotel hätten nur seine Frau und die beiden minderjährigen Kinder dürfen, er selbst wäre auf der Straße gelandet. Für Anwar unvorstellbar: “Es geht doch nicht, dass ich von meiner Familie getrennt werde!” Man habe ihm versichert, mit dem Hotel sprechen zu wollen, dass auch er dort untergebracht werden kann. Doch bei einem weiteren Treffen am gestrigen Donnerstag seien ihm plötzlich “völlig andere Sachen” gesagt worden.

“Ich soll mit einer Aufenthaltsgenehmigung auf der Straße landen? Das sagt kein Gesetz. Als mein kleiner Sohn das gehört hat, hat er zu mir gesagt, ‘dann will ich auch auf die Straße, ich will bei dir bleiben’.” Fünf Jahre ist der Kleine alt, der auf dem Schoß des Vaters sitzt. Soeben hat er ihn vom Kindergarten abgeholt. Der große Bruder ist acht Jahre alt und geht zur Schule.

Ob sie denn überhaupt nach weg von Bozen möchten? Ihm sei das eigentlich nicht wichtig, winkt Anwar ab. Hauptsache er kann bei seiner Familie bleiben. Die Mutter hat inzwischen Arbeit gefunden, in einer Schulmensa. Außerdem besucht sie die Berufsschule in Bozen. Auch sie spricht etwas deutsch, die Kinder haben inzwischen auch italienisch gelernt. Was das Schicksal für die kurdische Familie bereit hält, weiß sie nicht. Bis 12 Uhr müssen sie heute den Zeilerhof verlassen. So steht es auf den beiden Zetteln, die Anwar und seine Frau in den Händen halten.